Schuberts Geist sitzt an der Klaviatur

Mit Elisabeth Leonskaja, Paul Lewis und Quatuor Modigliani ging das weltgrößte Schubert-Festival am Wochenende zu Ende.
Innerhalb weniger Stunden sechs Klaviersonaten von Franz Schubert zu hören, wird bei der Schubertiade möglich: Bei der kurzen Oktober-Schubertiade in Hohenems waren die russische Wahlwienerin Elisabeth Leonskaja und der britische Pianist Paul Lewis zu erleben, dazwischen entführten das französische Quatuor Modigliani und das „halbe“ Hagen Quartett mit Mozart, Verdi und Tschaikowsky nach Italien.
Natürliches Spiel
Seit 1985 kehrt Elisabeth Leonskaja mit schöner Regelmäßigkeit zur Schubertiade zurück und begeistert mit ihrem so bescheiden wirkenden Auftreten und ungeheuer tief gehenden Interpretationen. Sie nimmt ihr Publikum mit auf die Reise durch Schuberts Wanderungen am Klavier, die in der e-Moll-Sonate D 566 wie ein Rezitativ beginnen, sich zu brausenden Oktavgängen steigern und im zweiten Satz den Fluss der Liedmelodien strömen lassen. Das Schubertspiel der Pianistin wirkt wunderbar natürlich, ungekünstelt, als flösse Schuberts Geist durch ihre Finger auf die Klaviatur.
In der groß angelegten c-Moll-Sonate D 958 hat Frau Leonskaja den langen Atem, die Vielfalt der Stimmen und Beleuchtungen, der Pausen und Bögen ausklingen zu lassen. In der „Gasteiner Sonate“ D 850 ist vor allem der schwingend rhapsodische zweite Satz mit seinen ausgedehnten Modulationen herausgehoben, im Scherzo kommt das so typisch Wienerische, das sich nicht aufschreiben, sondern nur erleben lässt, in ganz feinen Rubati zum Tragen. Über dem trockenen Puls der Begleitung breitet die Pianistin im Schlussrondo die Fülle der Varianten mit Humor und Charme aus – was zunächst wie eine Spieluhr klingt, wird immer mehr angereichert.

Struktureller Zugang
Mit zwei Sonaten aus dem Jahr 1817 gestaltete Paul Lewis den ersten Teil seiner Klaviermatinee am Sonntagvormittag: Auch sein Schubertspiel wirkt rund, authentisch, mit viel Liebe zu den Farbwechseln, den klangvollen Akkordballungen und der allem innewohnenden Melodienfülle. Das Thema im zweiten Satz der a-Moll-Sonate D 537 wird in große Bögen verwandelt in der großen vorletzten Sonate D 959 auftauchen, hier wirkt es noch kernig, kompakt, kleinräumiger.
Vielleicht ist der Zugang von Paul Lewis zu Schuberts Sonaten eher von der Struktur her gedacht, doch ebenso mit Freude an den Kontrasten und aufblitzenden Fanfarenklängen. Mit großer Ruhe breitet der Pianist, der auch von Alfred Brendel geprägt wurde, die weiten Atembögen der G-Dur-Sonate D 894 aus, hebt aus dem Nichts an und füllt die Akkorde mit gebündelter Kraft.
Hier nimmt der britische Lockenkopf mit seiner Konzentration und Anschlagskultur für sich ein – lediglich im oberen Register klingt der Flügel etwas dürr. Die Konzentration auf Schubert ist, bei aller Liebe zum Festival, vielleicht auch für den Pianisten eine Herausforderung, welche Farben und pianistischen Rausch er außerdem zu erzeugen weiß, zeigte er in der Zugabe, einem der Lieder ohne Worte op. 38/3 von Felix Mendelssohn.

Selten zu hören
Mit ihrem „italienischen“ Programm setzten die Musiker des französischen Quatuor Modigliani gemeinsam mit Veronika und Clemens Hagen (im zweiten Konzertteil) am Samstagabend andere Schwerpunkte: Italienisch, weil der 16 Jahre junge Mozart sich während der Vorbereitung auf „Lucio Silla“ in Mailand die Zeit mit der Komposition von Streichquartetten vertrieb und auch Giuseppe Verdi sein einziges Kammermusikwerk während einer Zwangspause in Neapel komponierte, 100 Jahre nach Mozart übrigens.
Der russische Komponist Peter Tschaikowsky ließ seine Erinnerungen an eine glückliche Zeit in Florenz ebenfalls in ein lebensbejahend überschäumendes Kammermusikwerk einfließen. Eingebettet in zwei flinke und schön gearbeitete Außensätze gestaltete Primarius Amaury Coeytaux das Adagio im Mozart-Quartett KV 156 als ausdrucksvolle Arie mit Seufzerfiguren und großem Atem. Giuseppe Verdis Streichquartett bekommt man selten zu hören, es wirkt so, als könnte man den Melodien Texte unterlegen und bekäme ein hochromantisch beziehungsreiches Opernensemble: Dramatik im ersten, Sinnlichkeit im langsamen Satz, ein dämonisch wirkender Rundtanz im Scherzo und eine furiose Stretta im Finale zeigte das französische Quartett mit warmem Klang und manchmal orchestralen Mitteln auf.
Im Zusammenwirken der Modiglianis mit der Bratschistin und dem Cellisten vom Hagen Quartett entwickelte sich mit Tschaikowskys „Souvenir de Florence“ ein rauschendes Streicherfest voll blühender Melodien, feiner Solostimmen, einem russischen Volkslied und einer musikantisch gearbeiteten Fuge. 24 Saiten im Höhenflug!
Von Katharina von Glasenapp