Literaturtage mit Tonio Schachinger

Erstmals finden heute die „Bregenzer Literaturage“ statt. Unter den Autorinnen und Autoren ist auch der Buchpreis-Gewinner Tonio Schachinger.
Für seinen Coming-Of-Age-Roman „Echtzeitalter“ wurde der 1992 geborene Schriftsteller Tonio Schachinger vorigen Oktober mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Doch bereits davor konnte der Verein Literaturinitiative Bregenz den Wiener Autor für die heuer zum ersten Mal stattfindenden „Literaturtage“ gewinnen. In der Bregenzer Achsiedlung wird er heute mit zwölf anderen Autorinnen und Autoren die eigens zum Thema Flussstadt verfassten Geschichten lesen und zwischendurch auch für Gespräche verfügbar sein.
Wiener Eliteschule
In seinem als besten deutschen Roman des Jahres 2023 ausgezeichnetem „Echtzeitalter“, schreibt Tonio Schachinger über das Aufwachsen seines Heldes Till, der an einer Wiener Eliteschule, unter der Herrschaft des Lehrers mit reaktionärem Drill auf das drohende Akademiker-Leben vorbereitet wird. Eine Welt, der der anfangs Dreizehnjährige im Computerspiel „Age of Empires 2“ entfliehen kann. Während der junge Profi-Spieler ganz plötzlich in der Online-Szene als einer der weltbesten Spieler Berühmtheit erlangt, versucht er tagsüber mit großem Aufwand, den Sanktionen des Lehrers zu entgehen. Tatsächlich ist oft nicht Till die Hauptfigur, sondern der Lehrer „Dolinar“, dessen Wesenszüge der Autor im Roman ausführlich auf den Grund geht: „Für den Dolinar gibt es keine Grautöne, sondern nur gesättigtes Weiß und lichtschluckendes Schwarz, Frauen und Männer, Kunst und Mathematik, Vergangenheit und Zukunft, Dinge, die wertvoll, und Dinge, die belanglos sind.“
Jeden Moment seiner kargen Freizeit steckt Till in seine Videospielkarriere, wo er sich mehr und mehr von Klassenkameraden und seiner Mutter entfernt und sich nicht mit dem Tod seines Vaters beschäftigen muss. Die Außenwelt wird erst dann wieder interessant, als er im sechsten Schuljahr „rechtzeitig zu rauchen beginnt“ und sich in Feli verliebt. Schritt für Schritt begleitet der Autor seine komplex ausgearbeiteten Charaktere beim Erwachsenwerden.

Ironisch-kritisch
Während Schachinger Generationenkonflikte und die unterschiedlichen Erziehungsversuche von Eltern und Lehrern authentisch in eine aktuelle Zeit verpackt, rechnet er auch ironisch mit den Gepflogenheiten der typischen österreichischen Wohlstandsgesellschaft ab. Schachinger schafft es, durch einen reflektierten Blick von außen und durchdachte Formulierungen, den Lesern Tills Gaming-Welt begreifbar zu machen, deren Computerspiele sich oft allein in der Körperhaltung des Spielenden fundamental unterscheiden. Die Sprachbilder aus den vom Lehrer aufgebürdeten Reclam-Heften werden den abkürzenden Ausdrücken und bedeutungsvollen Zahlen von „Age of Empires“ gegenübergestellt. Dabei wird die Handlung aber nicht durch zu viele Erklärungen gebremst, sondern dazu genutzt, um das Unverständnis der einzelnen Figuren zueinander und deren gegensätzliche Lebenswelten bemerkenswert zu verdeutlichen – etwa wenn eine Mutter glaubt, durch eine „Candy Crush“-Phase der Gedankenwelt ihres Sohnes näherzukommen.
Neben Schachinger wird heute auch Verena Roßbacher, die 2022 für ihren Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, vorlesen. Außerdem werden Jürgen-Thomas Ernst, Armin Thurnher, André Pilz, Cornelia Hülmbauer, Irene Diwiak, Puneh Ansari, Barbi Markovic, Anna Katharina Laggner, Susanne Tägder, Mikael Vogel und Laura Vogt an vier Orten in insgesamt 52 Kurzlesungen ihre Geschichten erzählen.
Tonio Schachinger: „Echtzeitalter“: erschienen am 14. 3. 2023 im Rowohlt Buchverlag, 368 Seiten.