Kraftvoll martialische Energie

Beim Oratorium „Paulus“ dirigierte Heinz Ferlesch neben dem Symphonieorchester Vorarlberg und den Solisten auch die Wiener Singakademie.
Bei seinem fünften Abokonzert der Saison lud das Symphonieorchester Vorarlberg (SOV) nicht nur den Wiener Dirigenten Heinz Ferlesch aufs Podium, dieser brachte auch noch seine Wiener Singakademie mit rund 80 Sängerinnen und Sängern mit. Gemeinsam mit einem ausgewogenen Soloquartett erklang zur Freude vieler Chormusikfans im Publikum das Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, das dieser als 22-Jähriger begonnen und fünf Jahre später in Düsseldorf zur Uraufführung gebracht hatte.
„Paulus“ steht immer etwas im Schatten des zweiten, noch erfolgreicheren und dramatischeren Oratoriums „Elias“, doch ist dieses Werk gleichfalls voller Schönheiten und die Liebe zu den großen Oratorien von Bach und Händel ist allgegenwärtig. 1829 hatte der 20-jährige junge Musiker in Berlin ja die Wiederaufführung der Matthäus-Passion möglich gemacht und so wundert es nicht, dass an einigen Nahtstellen Choräle eingebunden sind und die Choralmelodie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ die Ouvertüre durchzieht.

Fasziniert von Paulus
Das Wirken des ersten frühchristlichen Märtyrers Stephanus, der gesteinigt wurde, und des Christenverfolgers Saulus, der nach einem Erweckungserlebnis zum flammenden Verkünder der christlichen Lehre wurde und sich fortan Paulus nannte, hat den Komponisten intensiv beschäftigt. Er stammte ja selbst aus einer jüdischen Bankiersfamilie und war mit seinen Geschwistern getauft worden. Doch stehen nicht nur die Entwicklung von Stephanus und Paulus, die Predigt des ersteren, der Zorn und die Bekehrung des anderen im Mittelpunkt: auch der Chor präsentiert sich als aufrührerisch lästerndes, gewaltbereites Volk ebenso wie als besinnlich gläubige Gemeinde.
Es macht staunen, wie Mendelssohn die verschiedenen Gruppen und Temperamente in Tönen charakterisiert. Hier kann Heinz Ferlesch mit seiner Wiener Singakademie aus dem Vollen schöpfen, sei es in den großen Bögen der Chorfugen, sei es in kraftvoll martialischer Energie, sei es im warmen Gesamtklang der Choräle. Herausgehoben sei das wunderbare Piano des Frauenchors in der Bekehrungsszene „Saul, was verfolgst du mich“, in dem die Sängerinnen von den mystisch wirkenden Klängen der Holzbläser getragen werden. Die Singakademie kann warm und rund klingen, aber auch hell strahlen („Mache dich auf, werde Licht!“) oder sich zischend zu einer zornigen Menge vereinen, ist dabei stets ausgewogen und leuchtend in den Chorgruppen und dazu textverständlich.

Plastisch überzeugend
Mit seiner ungemein plastischen, ohne Stab formenden Dirigierweise weiß Heinz Ferlesch nicht nur seinen Chor an sich zu binden. Er überzeugt auch das SOV mit Konzertmeisterin Monika Schuhmayer und der so engagiert aufspielenden Streichergruppe, den fein ausbalancierten Holzbläsern und den warm strahlenden Blechbläsern samt Paukenakzenten. Sie alle sind höchst motivierte Partner für die Sopranistin Vera-Lotte Boecker mit ihrer leuchtenden und beweglichen Stimme (sie wird im Festspielsommer als Agathe im „Freischütz“ an den Bodensee zurückkehren) und die Altistin Patricia Nolz, der Mendelssohn allerdings eine nur undankbar kurze Solopartie zugedacht hat.
Tenor Benjamin Bruns meisterte seine Aufgaben zwischen dramatischem Auftritt und Erzählerfunktion mit großer Flexibilität, Strahlkraft und Wärme. Florian Boesch verkörperte die Titelfigur mit all ihren Wandlungen souverän in Autorität und Würde, aber auch verletzlich und seinem Schicksal ergeben: Mit seiner Bühnenpräsenz und dem warm kernigen Bariton überzeugt er, mit kleinen Abstrichen, auch in dieser facettenreichen Partie.
Am kommenden Wochenende wird sich das SOV auf die Reise nach Wien begeben, um das Werk am Sonntagvormittag (11 Uhr) im Konzerthaus noch einmal aufzuführen.
von Katharina von Glasenapp