Kultur

“Tanz ist” feiert 30-jähriges Jubiläum

12.06.2024 • 23:00 Uhr
"Tanz ist" feiert 30-jähriges Jubiläum
Günter Marinelli im Spielboden Dornbirn.Klaus Hartinger

Günter Marinelli blickt im Jubiläumsjahr zurück auf 30 Jahre Festivalgeschichte des Internationalen Tanz- und Performance-Fes­tivals „Tanz ist“.

Angefangen habe alles durch einen Zufall und mehr aus Spaß, sagt Günter Marinelli. Eine Freundin aus der Ballettschule in Lauterach ist nach dem Start ihrer internationale Karriere in New York nach Vorarlberg zurückgekommen. „Wir haben uns getroffen und gesagt: ‚Du wir gehen ins Festspielhaus und machen was.‘“ – Diese 1994 entstandenen „Performancenächte“ mit Marinellis eigenen Werken, der Tänzerin aus Altach, Renate Graziadei, und Freunden seien „in Vorarlberg etwas völlig Neues“ gewesen und sofort „sehr erfolgreich“.

1997 wurde das eigenständige Tanzfestival Teil des Bregenzer Frühlings, 1998 entschied sich Marinelli dann aber „gegen die Routine eines großen Theaterhauses“ und für seine eigenen Projekte. „Am Spielboden hatten wir einfach die Offenheit und die Möglichkeit, uns künstlerisch zu entfalten und unsere Idee auch zu entwickeln“, so Marinelli.

"Tanz ist" feiert 30-jähriges Jubiläum
1998 wanderte das Festival in den Spielboden Dornbirn. Klaus Hartinger

Nähe und Kontinuität

Heuer feiert das „tanz ist“-Festival sein 30-jähriges Bestehen, Künstlerinnen und Künstler aus 37 Ländern aus der ganzen Welt haben in Dornbirn performt und beim Festival ihre Spuren hinterlassen. „Es ist ein Projekt und es gibt viele Höhepunkte. Es hat sehr ungewöhnliche Dinge gegeben, wo wir sehr viel riskiert haben“, erinnert sich Marinelli etwa an die Solisten des Grazer Opernballetts. „Auf der Opernbühne sind sie immer so weit weg und die Zuschauer sollen einmal wirklich ganz nah sehen, was die leisten.“ Generell sei es Teil des Konzepts, dass das Publikum durch die Nähe zu den Künstlern direkt im Geschehen sei, was eine ganz andere Intensität herstellt. Zudem setzt Marinelli bei Choreografinnen und Choreografen auf Kontinuität, „weil es schön ist, dass man die Entwicklung mitverfolgen kann“. Chris Harding (Liquid Loft) habe beispielsweise fast alle seine Produktionen am Spielboden gezeigt.

"Tanz ist" feiert 30-jähriges Jubiläum
Auch für die nächsten Jahre hat Marinelli noch einige Ideen. Klaus Hartinger

In den letzten 20, 25 Jahren habe sich im Tanz in der grundlegenden Einstellung und in der Ästhetik „enorm viel verändert“, sagt Marinelli und beschreibt, wie sich auch die globale Geschichte und eben das, was auf der Welt passiert, im Tanz ausdrückt. „Tanz ist immer ein Zeitspiegel. Also eine Reflexion von Zeit, von Zeitentwicklungen, vom Zeitgeschehen auf verschiedenen Ebenen.“ Heute stehe das körperliche Vermögen und die Ausbildung wieder sehr im Vordergrund. „Ein Tänzer muss sehr vielseitig leisten, es reicht bei Weitem nicht mehr, einfach Technik zu haben. Das war früher genug. Es war nicht so wichtig, was man gedacht hat, das hat niemanden interessiert – heute schon. Die Persönlichkeit ist heutzutage ganz wesentlich – Was strahlt der Mensch auf der Bühne aus?“

Künstlerisch verbunden

Mit einem Blick auf die letzten 30 Jahre hat Marinelli zum Jubiläum jene Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die das Festival geprägt haben und dabei unterschiedliche Aspekte ins Programm gebracht. „Wir sind kein großes Projekt, aber im Kleinen haben wir natürlich diese Tanzgeschichte auch mitvollzogen.“ Die Idee war, in den nur vier verschiedenen Vorstellungen, das ganze Festival zu reflektieren, ohne daraus eine Retrospektive zu machen.

Darunter ist etwa das belgische Künstlerduo „Demestri & Lefeuvre“, „weil die belgische Szene für mich privat immer so eine ganz wichtige Inspirationsquelle war“. Demestri & Lefeuvre zeigen in ihrem neuen Werk „Troisième“ eine ganz eigene Betrachtungsweise und ein spezielles Bühnenset, bei dem das Publikum im Kreis um die Künstler sitzen.

Ein Anliegen sei ihm auch die kanadische Tänzerin Angélique Willkie gewesen – „eine ausgereifte Künstlerpersönlichkeit“, die mit „Confession Publique“ ein autobiografisches Solo von Mélanie Demers präsentiert. Es sei „eine sehr persönliche Erzählung von einem Erlebnis mit Gewalt und Rassismus, das Demers selbst nie zeigen wollte. „Das so auf die Bühne zu bringen, ist mutig, gewagt und sehr intensiv. Es ist auch eine Zeitspiegelung auf einer ganz anderen Ebene“ und erfordere ein enormes Können, um so schwierigere Themen zu kanalisieren, beschreibt Marinelli. Das Stück sei jedoch „in keiner Weise provokativ“, es sind ja in Wirklichkeit die subtilen Dinge, die tiefer berühren als eine Provokation.“

Krieg und freies Leben

Wichtig sei auch der britische Tänzer und Choreograf James Wilton, der in Vorarlberg eine „einmalige Jugendarbeit“ geleistet habe und auch heuer mit 70 Jugendlichen Workshops veranstaltet. Seine Tanz-Produktion „Lore“ orientiert sich an keltischen Mythen, die in Vorarlberg durch die starke Naturprägung sehr beliebt und bekannt seien. Nur bei der heutigen Premiere wird die Japanerin Aiko Kazuko Kurosaki mit der Outdoor-Performance „Why“ zu erleben sein. Darin thematisiert Kurosaki den Wahnsinn vom Krieg in Bezug auf die Hiroshima- und Nagasaki-Problematik. „Es war mir wichtig, dass wir damit noch ein Zeichen setzen“, sagt Marinelli und betont die Besonderheit der Kunst, die ganz unterschiedliche Thematiken so verbinden könne.

Eine intensive und „fast familiäre“ Zusammenarbeit verbinde Marinelli mit der Wiener Performance-Company „Liquid Loft“ die dem Festival „wirklich einen Qualitätsmaßstab vorgegeben“ habe. „Wir haben da Produktionen gemacht, die man eigentlich in dem Rahmen gar nicht machen kann“ – Produktionen, die zwei Tage später bei der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen haben, „erstaunlicherweise, denn der Spielboden ist auch von den technischen Bedingungen her kein Tanzhaus. Es gibt keine österreichische Company, die so auf der ganzen Welt reüssiert hat wie Liquid Loft.“

Zur Eröffnung des Festivals heute Abend performt Liquid Loft mit der Live-Band Bulbul „living in funny eternity _ L.I.F.E“ – eine für das Wiener Burgtheater inszenierte multimediale Produktion und ein „Meisterwerk an zeitgenössischer Choreografie“, so Marinelli.

„tanz ist“: heute bis 23. Juni, Spielboden, Dornbirn.