Wahrheit und Komik im Gerichtsdrama

Nach der Absage letzten Festspielsommer wurde „Der zerbrochene Krug“ vom deutschen Theater Berlin in Bregenz aufgeführt.
Wenn der Huisumer Dorfrichter Adam sein Urteil spricht, dann zählen nicht Beweise oder Zeugenaussagen, sondern allein seine Qualitäten als Machtfigur, mit der er die Sachverhalte in ebenjene Richtung lenkt, die er gerade brauchen kann.
Menschliche Schwächen
Im Rahmen der Bregenzer Festspiele war am Dienstag das Deutsche Theater Berlin zu Gast im Kornmarkttheater und präsentierte eine lebendige und zeitgemäße Inszenierung von „Der zerbrochene Krug“ von 1811, in dem Heinrich von Kleist einen korrumpierten Dorfrichter ins Zentrum stellt, der trotz fragwürdiger Vorgehensweisen im Gericht von der Gesellschaft in seinem Tun nicht zur Verantwortung gezogen wird. Dabei versucht der Richter (hervorragend gespielt von Ulrich Matthes) nicht nur skrupellos Fakten und Tatsachen zu verschleiern, sondern geht sogar so weit, ganz bewusst einen Unschuldigen als Täter zu verurteilen. In Blankversen thematisiert Kleist die menschlichen Schwächen einer Gesellschaft auf humorvolle Weise und verhandelt dabei Machtmissbrauch aus einer neutralen Perspektive und ohne die Dinge ins Harmlose abdriften zu lassen.
Ein Ansatz, den auch die Regisseurin Anne Lenk und das Ensemble weitertragen. Jedes Wort und jeder Satz ist genau abgestimmt und mit bedeutungsvollen Pausen und der hervorragenden Mimik und Gestik der Schauspieler versehen, welche damit dialogisch wieder neue Ebenen öffnen. Sichtliches Entsetzen, aufgerissene Augen, komisch-emotionale Ausbrüche, das verschmitzte Lächeln des Richters und das stets sorgfältig scharfsinnige Auftreten einer Gerichtsrätin: Spannend bleibt das Stück nicht nur durch Kleists unterhaltsame Sprache, sondern auch dank der prägnanten Darstellung der komplexen Charaktere.

Farblich intensiv
Während der Szenenwechsel wird die Bühne schwarz und die sieben Figuren tauschen ihre Plätze – in verschiedenen Orange- und Gelbtönen sitzen sie quasi alle immer „in der ersten Reihe“ des Gerichtssaals und passen dabei farblich perfekt zum prächtigen Bühnenbild. Direkt vor dem Stillleben von Jan Davidsz de Heem sind ihre Köpfe auf Höhe der Trauben, die mit anderen Früchten auf der reich gedeckten Tafel von einem Papagei entdeckt wurden. Ganz unbekümmert nimmt er sich, was er kriegen kann, so ähnlich wie auch der Dorfrichter keine moralischen Bedenken hat.
Mit einem Lächeln überspielt Adam seine brenzlige Lage, stürzt sich enthusiastisch in die Geschichten, um von eigenen Verfehlungen abzulenken und verleiht willkürlich das Wort an die Zeugen. Voller Überzeugung im Recht zu sein, sprechen die Beteiligten greifbar über den Vorfall: eine Lappalie über den zerbrochenen Krug von Frau Marthe, den in Wahrheit der Richter selbst zu Boden gestoßen hat, als er in der Nacht aus Eves Zimmer flüchtete. Haarscharf kann schließlich die Nachbarin alle Details wiedergeben, treibende Kraft dahinter ist aber die Gerichtsrätin Walter (Lorena Handschin), die Anne Lenk als junge diplomatische Frau inszeniert, welche immer wieder subtil, aber bestimmt eingreift und den Verlauf der Verhandlung korrigiert. Wie im falschen Film bewahrt sie dennoch Haltung im Huisumer Gerichtssaal, wo sie hochschwanger und lächelnd für die erfinderischen Ausflüchte des Richters eine Engelsgeduld aufbringt.