Kultur

„Die richtige Challenge zur richtigen Zeit“

03.07.2024 • 19:21 Uhr
Fotos von Tobias Grabher + Opernstudiosänger der Wiener Staatsoper, Orchester-Produktion Beethovens Egmont
Mahour Arbabian, Lukas Schmidt, Jenni Hietala, Ejnar Colak, Simonas Strazdas und Tobias Grabher. (v.l.) Roland Paulitsch (2)

Mit Sängern aus dem Opernstudio der Wiener Staatsoper realisiert die Camerata Musica Reno ab Freitag die Musiktheaterproduktion „Egmont und Fidelio“.

Es ist das vierte Jahr der Camerata Musica Reno, in dem junge Musikerinnen und Musiker mit großer Motivation und hohen Ambitionen am Anfang einer professionellen Karriere stehen. Für die neue Produktion im Theater Kosmos in Bregenz dirigiert Tobias Grabher nicht mehr nur ein Ensemble, sondern zwei, denn zum ersten Mal hat er sich an die Interpretation einer Oper mit Orchester und Gesang herangewagt und dafür vier junge Vollprofis aus dem Opernstudios der Wiener Staatsoper gewinnen können. Regie führt die junge iranisch-amerikanische Musiktheaterregisseurin Mahour Arbabian.

Ausbruch aus der Tyrannei

Eine Oper im konventionellen Sinne, „also mit Bühnenbild, einem Cast aus Sängern und Opernchor und dem Orchestergraben“ lasse sich mit dem jungen Kammerorchester aber noch nicht realisieren, also hat sich Grabher ein Programm überlegt, das nicht „den ganzen Apparat“ braucht: „Meine Idee war dann, dass wir aus Egmont die Schauspielmusik realisieren. Das hat Beethoven zu einem Stück von Goethe komponiert, aber da kommen Gesangsstücke vor. Egmont bietet sich dann als Brücke zu Fidelio an, die stehen im Querbezug zueinander, denn beide Stücke drehen sich um Befreiung, Freiheit und den Ausbruch aus der Tyrannei.“ Eine große Komponente seien dabei zwei starke Frauenfiguren: „Leonore, die sich als Fidelio verkleidet, um ihren Ehemann Florestan zu befreien. Und bei Egmont verkleidet sich die Clärchen, auch als Mann. Das ist natürlich der Zeit geschuldet, dass ihre selbstermächtigende Rolle als Frau darin besteht, dass sie sich als Mann verkleidet.“

Die Geschichte von Fidelio werde im zweiten Akt erzählt: „Man sieht Florestan im Kerker und Rocco und Leonore, wie sie ihn befreien wollen, man sieht dann später, wie Florestan Dank zeigt und wie schließlich der Bösewicht Pizarro kommt, dem das Gefängnis gehört, bevor das Signal des heilbringenden Ministers ertönt – da war Beethoven von Napoleon inspiriert. Er hat in Napoleon sozusagen den Erlöser von Tyrannei gesehen – kontextualisiert kann man das auch so sehen, dass eine Form von Gerechtigkeit erscheint, die den Florestan dann aus dem Gefängnis bringt, so Grabher. Abschluss des Konzertabends ist die „Leonore-Ouvertüre“.
Beethovens Musik sei dabei „eigentlich wie eine Klangrede, die unterstreicht, was auf der Bühne passiert aber auch, welche Emotionen in den Personen vor sich gehen, und die sowohl bei Egmont als auch bei Fidelio wie eine selbstständige Sprache funktioniert.“ Grabher möchte diese Musik aktuell und brisant halten, denn „man kann Beet­hoven natürlich auch extrem langweilig aufführen“. Für die jungen Sänger, die auch für einen „lebendigen Zugang“ sorgen werden, sei die Interpretation von Fidelio „die richtige Challenge zur richtigen Zeit“.

Bis letzte Woche ging noch die Spielzeit an der Staatsoper in Wien, Anfang Mai haben die Sänger mit den Proben gestartet, mit dem vorbereiteten Konzept sind sie nun eine Woche für die Endproben mit dem Orchester in Bregenz und geben Einblicke in den Arbeitsprozess: „Mit der Regie sprechen wir darüber, wie wir die Rollen selbst interpretieren, und beim Spielen der Szenen, kann man dann (ich würde sagen streiten) Meinungen austauschen und sich dann einigen“, sagt der slowenische Bariton Ejnar Colak, der die Rolle des Don Pizarro singt. „Heute wurde mir gesagt, ich solle mich wie ein Disney-Bösewicht verhalten, und die Idee gefällt mir irgendwie.“

Universelle Figuren

Es sei zwar Schauspielerei und „man schlüpft in die Rolle hinein“, aber man müsse auch etwas von sich selbst einbringen, damit es echt ist und man sich die Rolle aneigne, beschreibt Colak. „Es ist ein großartiges Werk, was vermutlich auch daran liegt, dass die Charaktere so universell sind, dass jeder Mensch gewisse Aspekte von Florestan oder von Leonore in sich hat.“ sagt der deutsche Tenor Lukas Schmidt, der als Florestan zu erleben sein wird. „Wir alle haben gewisse Eigenschaften in uns, und es gibt keine ähnlichen Versionen. Wenn man niemanden kopiert, wird man einzigartig sein. Es ist sehr einfach“, man müsse den Zugang nur finden, ergänzt der litauische Bass Simonas Strazdas, der in Fidelio die Figur des Rocco interpretiert.

Musikalisch sei das Stück allerdings schwierig, denn Beet­hoven habe „nicht wirklich für die Stimme geschrieben“, sondern für seine Vorstellungen von Ausdruck in allgemeinen Bildern, sagt Grabher. Für die Sänger bedeutet das, gewisse Kompromisse einzugehen, wie eben „auch dort zu atmen, wo eigentlich kein Platz dafür ist“, denn „man muss einfach irgendwo atmen“, erklärt die finnische Sopranistin Jenni Hietala (Leonore und Clärchen) die große Herausforderung, die Musik von Beethoven zu singen. „Normalerweise singt man in diesem Alter nicht so ein Repertoire, aber es ist ein guter Anfang, um die Karriere in dieser Musik in kleinen Schritten zu beginnen“, sagt Hietala. „Operngesang ist ja auch immer irgendwo eine Art Leistungssport, weil das einfach ans Äußerste vom Körper geht. Der Körper ist da mehr oder weniger das Instrument. Da braucht es enorme Disziplin, um so ein Level zu erreichen, um zum Beispiel die Leonore zu singen. Also, dass Jenny Hietala mit 29 Jahren diese Rolle singen kann, ist absolut außergewöhnlich“, betont Grabher.

Fotos von Tobias Grabher + Opernstudiosänger der Wiener Staatsoper, Orchester-Produktion Beethovens Egmont
„Das ist natürlich der Zeit geschuldet, dass ihre selbstermächtigende Rolle als Frau darin besteht, dass sie sich als Mann verkleidet.“ Tobias Grabher

„Das ist das Gute hier an dem Projekt, dass wir quasi eine Rolle ausprobieren können, die erst in der Zukunft für uns realistisch wird – Fidelio auf der großen Opernbühne zu singen –, weil das wirklich nochmal ein Unterschied ist, was die stimmliche Herausforderung betrifft, sagt Schmidt. Ohne Opernhaus oder Intendanten gestalte sich die Zusammenarbeit zudem sehr frei und jeder könne sich mit eigenen Ideen einbringen, hebt die Regisseurin Mahour Arbabian positiv hervor.

Durch die Sänger sei das Orchester „nochmal 10 Prozent besser geworden, weil sie alle gehört haben: Die sind wirklich gut. Das Orchester arbeitet dann den Sängern zu“, und umgekehrt helfe auch der schöne Gesang dem Orchester bei der Interpretation der Klänge, freut sich Grabher. Aber auch die Sänger zeigten sich begeistert von der Qualität des Kammerorchesters: „Es sind wirklich junge Leute in dem Orchester und dafür spielen die auf einem absoluten Spitzenlevel.“

5. bis 7. Juli, Bregenz.