Treffsichere Kugeln und Mondmilch gegen Überforderung

Am Donnerstag präsentierten die Bregenzer Festspiele die Uraufführung des Stücks „Mondmilch trinken“ vom Dramatikerpreisträger Josef Maria Krasanovsky im Theater Kosmos.
Josef Maria Krasanovsky hat die treffsicheren Kugeln, die Max in der Oper „Der Freischütz“ vom Teufel erhält, aus dem Kontext heraus und in die Gegenwart gebracht, von wo aus sie in alle Richtungen fliegen und am Ende im Weltall landen. Am Donnerstag wurde sein Stück „Mondmilch trinken“ in Koproduktion mit dem Klagenfurter Ensemble und dem Theater Kosmos im Rahmen der Bregenzer Festspiele uraufgeführt.

Deals im Alltag
Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler hangeln sich von Episode zu Episode und liefern in vielen Figuren und kleinen Portionen die große Last des Lebens, die es mit sich bringt, ein Mensch zu sein. Schon von Beginn an lächeln sie aus der Perspektive von überdrehten Kugeln mit Helm und blauem Trainingsanzug über das Workout hinweg und fordern auf, sich nicht herauszunehmen von der gesellschaftlich erzwungenen Zugehörigkeit: „Jetzt gehören mal alle dazu!“

Thematisiert wird die „Echtheit“ der Personen, die in der Welt keinen Zweifel lässt an ihren Gefühlen und der Wahrhaftigkeit von Angst, Krieg und Tod. Es sind all die vielen „großen und kleinen Deals“, mit denen jeder Einzelne den Alltag bestreitet, die Krasanovsky im Text zusammenbringt und energiereich aneinanderreiht. Aber zum Glück gibt es Mondmilch als Rezept für eine überfordernde Welt, die ohne Beruhigungsmittel nicht mehr ertragbar ist.

In seinem Stück wird das Publikum direkt angesprochen mit provokanten Forderungen darüber, wie man leben soll, um in die Ordnung der Welt zu passen. Dabei werden auch die Gefühlslagen der Figuren des „Freischütz“ miteinbezogen, etwa wenn eine Kugel plötzlich nicht mehr als Kugel „dazugehören“ will, sondern sich als Polygon – ähnlich wie Max – gegen die vorgegebenen Normen stellt. Eine große Sehnsucht nach dem Selbst wird an die Oberfläche geholt und pathetisch ausgebreitet. Ganz tief sucht der Autor die Wahrheiten „im Keller“ und bringt dabei Dinge hervor, die entweder in Vergessenheit geraten sind oder weiter im Vermeidungsmodus bleiben. Die Schüsse treffen auf das Artensterben, die Klimakrise oder explodieren als mit Schwefeldioxid gefüllten Ballons im Himmel, um die Erde zu kühlen.

Über den Wettbewerb
Die Theaterallianz vergibt den Preis für zeitgenössische österreichische Dramatik seit 2020 in Kooperation mit den Bregenzer Festspielen. Zum Thema „Deal or no deal“, (angelehnt an den Freischütz) konnte Josef Maria Krasanovsky mit „Mondmilch immer trinken jetzt/dein Solarplexus ist mir egal“ überzeugen.
Absurdes
Zynisch, selbstkritisch und mit viel Witz wird diese Abrechnung mit der westlichen menschlichen Gesellschaft präsentiert, wobei die Inszenierung sowie das Bühnenbild (ebenfalls von Krasanovsky) oft ins Absurde abdriftende Überraschungen bereithalten: Die letzten drei Kakapo-Papageie sprühen im Zirkusdirektor-Outfit mit Klosprays um sich. Parlamentsabgeordnete philosophieren in einer Fernsehshow über die weitreichende Sinnlosigkeit des Lebens, die für alle im Krankenbett endet – „irgendwann stirbt alles aus“ – und auf der Leinwand wird groß das Foto eines aus Bangladesch adoptierten Mädchens projiziert, das vom für seine Nazi-Vergangenheit umstrittenen Nobelpreisträger Knut Hamsun den Heimat-Begriff lernen soll. Wenn die blaue Wand fällt, öffnet sich ein weißer futuristischer Raum, der den Zufallscharakter der einzelnen Elemente noch verstärkt.
