Kultur

Sie dokumentiert das queere Leben in Istanbul

13.09.2024 • 07:00 Uhr
Cansu Yildiran
Eine Suche nach Selbstbestimmung zwischen Angst und Ekstase. Yildiran

Für Präsident Erdogan sind die queeren Menschen der Türkei Terroristen, dabei versuchen sie einfach, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Istanbuler Künstlerin Cansu Yıldıran hat ihnen ein fotografisches Denkmal gesetzt.

Vom Paradox sicherer Orte handelt die neue Ausstellung der allerArt Bludenz im Kunstraum Remise. Die Arbeiten der preisgekrönten Istanbuler Fotografin Cansu Yıldıran gewähren Einblicke in das queere Leben der türkischen Metropole und zeigen Menschen, deren Räume der Sehnsucht immer käfigähnlicher werden.

Patriachat und Genozid

Ihre Kindheit verbrachte die 1996 in Istanbul geborene Künstlerin im nordöstlichen Bergland der Türkei. Jeden Sommer zog die Familie ins Hochland, wo Bauern eine Alpwirtschaft betreiben, wie wir sie aus Österreich kennen. Traditionell ist es Frauen dort verboten, ein eigenes Haus oder Land zu besitzen. Yıldırans Vorfahren waren Pontusgriechen. Während der türkischen Staatsgründung wurden zahlreiche Angehörige dieser Volksgruppe deportiert, getötet und vertrieben. Mit dem patriarchalen Privileg und der genozidalen Geschichte ihres Landes konfrontiert, wuchs in der Tochter der ersten Zahnärztin des Ortes ein kritisches Bewusstsein heran, dem sie fotografisch Ausdruck verleiht.

Cansu Yildiran
Die Künstlerin im Selbstporträt.Yildiran

Der gescheiterte Widerstand der liberalen Kräfte

Schon als Jugendliche reiste Yıldıran regelmäßig nach Istanbul, wo sie mit 18 Jahren ein Kunststudium begann. Dort fanden ein Jahr zuvor die Gezi-Park-Proteste ihren Ausgang, die sich über fast das ganze Land ausweiteten. Der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen Regierung und Polizeigewalt wurde durch letzterer exzessiv niedergeschlagen. Für die liberale Bevölkerung der Türkei war dies eine bittere Niederlage.

Cansu Yildiran
Das beklemmende Motiv in schwarz-weiß drückt Verlassenheit aus.Yildiran

Die Geborgenheit der selbstgewählten Gemeinschaft

Die Künstlerin begreift sich zeitlebens als Heimatsuchende. Nie wirklich fündig werdend, entdeckte sie eine Spur von Heimat in der queeren Gemeinschaft der Stadt. Lesben, Schwule und Transsexuelle geben sich dort eine Geborgenheit, die ihnen in der ländlichen Türkei verwehrt blieb. Stets mit der Kamera unterwegs, wurde Yıldıran zur Archivarin der Szene.

Cansu Yildiran
Intime Sorgen. Yildiran

Ihre Bilder gingen um die Welt

Seitdem hat die Fotografin zahlreiche Preise gewonnen. Bereits mit 20 Jahren wurde sie für die World Press Photo Joop Swart Masterclass ausgewählt. Beim von MTV präsentierten All Out Photo Award 2021 erzielte die Künstlerin den ersten Platz in der Kategorie “Resistance”. Ihre Bilder gingen um die Welt und wurden unter anderem in Amsterdam, New York, Kopenhagen und Wien ausgestellt.

Cansu Yildiran
Leidenschaft und Liebe im Verborgenen.Yıldıran

Als wären sie Terroristen

Die fortschreitende Islamisierung der Türkei geht mit einem Kampf gegen sexuelle Selbstbestimmung einher. Aus Angst vor Gewalt und Unterdrückung verlassen viele das Land. “Erdogan spricht über LGBTQ, als wäre es eine Terrororganisation, die von ausländischen Agenten gesteuert wird”, kritisiert ihr Partner Serkan Kaptan. Damit lenke der Präsident von der verheerenden Wirtschaftslage des Landes ab. Yıldıran erkannte, dass außerhalb ihrer sicheren Zirkel keine positive Veränderung stattfindet. Dadurch verwandelt sich die Zuflucht zugleich in einen Käfig. Verdeutlicht wird dies in der Ausstellung durch Holzleisten, an denen die Fotografien angebracht sind. Schutz und Sperre zugleich, nimmt die dokumentierte Intimität, nach innen gerichtet, Raum ein.

Warum die Künstlerin nicht nach Bludenz kommen durfte

Die Künstlerin konnte nicht an ihrer eigenen Ausstellung teilnehmen. Monatelang bemühte sie sich um ein Visum. Trotz des Einsatzes der Kuratorin Luka Berchtold und einer zunächst zugesagten Unterstützung durch das Österreichische Konsulat in Istanbul hat sie keines erhalten. Stattdessen wurde sie von ihrem Partner Kaptan vertreten.

Serkan Kaptan
Kaptan ist studierter Ingenieur. Im Gegensatz zu seiner Partnerin erhielt er ein fünf Jahre gültiges Visa für den Schengenraum.Kaptan