Von der Piefke-Saga in den Bregenzerwald

„Aus seinem Leben“, ein Stück von Felix Mitterer über Franz Michael Felder, feiert am Samstag Premiere.
Ich schrie bei der Geburt so gotterbärmlich, zeigte mich so unzufrieden mit der Welt, dass man sich sorgte, ich möchte dem Bruder in den Himmel nachfolgen und ein Engel werden“, berichtet ein fiktionaler Franz Michael Felder im ersten Akt von „Aus seinem Leben“, dem neuen Buch des berühmten Tiroler Autors Felix Mitterer. Ausgehend von „Aus meinem Leben“, der Autobiografie des Schoppernauer Dichters und Volksbildner Felder, entwarf der Autor der Piefke-Saga eine Ode an den seinerzeit umstrittenen „Sonderling“. Mit künstlerischer Freiheit zeichnete er einen Felder, den es so nie gab. Es ist keine Dokumentation, sondern Grundlage für ein gleichnamige Theaterstück. „Aus seinem Leben“ feiert diesen Samstag Premiere im Vorarlberger Landestheater.

Hallende Schicksalsschläge
Dem 1839 in Schoppernau geboren Sohn einer Bauernfamilie war nur ein kurzes Leben vergönnt. Keine 30 Jahre alt, verstarb Felder ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Anna Katherina, Nanni genannt. Er hinterließ fünf Kinder und einen literarischen Schatz, der bis in die Gegenwart strahlt. Der Bauer litt zeitlebens unter einer schwachen Gesundheit und herben Schicksalsschlägen. Als er einen Arzt aufsuchte, der sein krankes Auge behandeln sollte, schnitt ihm dieser in einer verpfuschten Operation das Gesunde auf. Schwach an Sehkraft, erschloss er sich die Welt als eifriger Leser und Diskutant. Schon früh mit der Kirche im Konflikt, wurde der Bauer ein Anhänger des deutschen Sozialisten Ferdinand Lassalle.

Eigensinn für Gemeinschaft
Gemeinsam mit seinem Schwager Kaspar Moosbrugger gründete der Schoppernauer die frühsozialistische Vorarlberg‘sche Partei der Gleichberechtigung. Diese überlebte ihn aber nicht. „Durch den frühen Tod von Nanni und Felder verwandelten sich alle politischen Bemühungen zu Asche“, schildert Jürgen Thaler, seit 1999 das Felder-Archiv in Bregenz leitet. Laut dem Literaturwissenschaftler war Felder kein Ideologe. Stattdessen setzte er auf Dialog: „Seine Idee war, so lange mit den Leuten reden, bis sie erkennen, in welchen Abhängigkeiten sie leben und arbeiten. Gegen die Öffentliche Meinung für den eigenen Verstand, mit Eigensinn für die Gemeinschaft.“
Die gesellschaftspolitisch nachhaltigste Tat Felders war in Thalers Augen die Gründung des Käsehandlungsvereins. Die Genossenschaft diente den Bauern als Mittel zur Selbsthilfe und Ermächtigung, gegen den monopolistischen Großhändler Gallus Moosbrugger, der auch als Käsegraf bekannt war. Mit seinen 60 Pferden belieferte er die ganze Monarchie. Moosbrugger war sehr wohlhabend und als Geldverleiher tätig. Von den in seiner Schuld stehenden Bauern verlangte er horrende Zinsen, die sie kaum zurückzahlen konnten.
„Durch den frühen Tod von Nanni und Felder verwandelten sich alle politischen Bemühungen zu Asche.“
Jürgen Thaler, Franz-Michael-Felder-Archiv
„Ein Bauer als Dichter“
Felder setzte sich nicht nur für finanzielle, sondern auch geistige Unabhängigkeit ein. So wurde sein eigenes Haus Sitz einer Volksbibliothek, wo sich die Bevölkerung zum Lesen und Diskutieren traf. Zwischen der landwirtschaftlichen Arbeit und dem öffentlichen Wirken, nahm sich der Schoppernauer Zeit, um selbst als Autor tätig zu sein. Vier Bücher und unzählige Briefe hat er verfasst. Vermittelt durch den Leipziger Germanisten Rudolf Hildebrand erschien sein Essay „Ein Bauer als Dichter“ 1867 in der „Gartenlaube“. Dadurch wurde der Bregenzerwälder der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Die Veröffentlichung seiner Autobiografi „Aus meinem Leben“ erlebte der Autor nicht mehr.

Der älteste Sohn wurde Priester
„Kaspar Moosbrugger war klar, dass Felder ein außergewöhnlicher Mensch war. Er kümmerte sich sofort nach dessen Tod um seinen Nachlass, das heißt vor allem auch um die Briefschaften. Wenn Felders Freunde die Qualität seiner Autobiografe nicht erkannt hätten, dann hätten sie nicht Jahrzehnte darum gekämpft, dass sie endlich veröffentlicht wird, was erst 1904 geschah“, berichtet Thaler. Vor der Publizierung bat man seine Kinder um Zustimmung: „Jakob Felder, der älteste Sohn, der Priester wurde, sträubte sich zunächst, wohl weil er dachte, dass sein Vater mit der Kirche in dem Buch abgerechnet hat.“ Der Literaturwissenschaftler vermutet, dass er die Autobiografie seines Vaters bis dahin nicht gelesen hat. Felder hatte ein konflikthaftes Verhältnis zur Kirche und sie zu ihm. Er wurde als Freimaurer und Glaubensfeind bekämpft und sah sich mehrmals gezwungen, aus Schoppernau zu fliehen. Sogar ein eigens Grab wurde ihm in seiner Heimatgemeinde verwehrt. So wurde er im nahen Au beigesetzt.
Vereinnahme und Verbreitung
Seit seinem Tod wurde er von fast allen politischen Bewegungen des Landes vereinnahmt. Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und Liberale – sie alle beanspruchten Felder für sich. „Felders Leben und Werk bietet aber in der Tat für viele Ideologien Anknüpfungspunkte. So geht es aber vielen historischen Landesdichtern, von Rosegger bis Goethe. Das ist ihr Schicksal von dem man sie befreien muss“, ist sich Thaler sicher.
Als er 1999 Archivleiter wurde, war „Aus meinem Leben“ kaum erhältlich. Er selbst wurde erst während seines Studiums in Wien auf den Autor aufmerksam: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ So soll es auch Mitterer ergangen sein, als er die 1984 vom Residenz Verlag veröffentlichte Ausgabe der Autobiografie las, die mit einem Vorwort von Peter Handke erschien. Mittlerweile ist sein Werk samt Briefen leicht zugänglich, „Aus meinem Leben“ sogar auf Englisch und Französisch.
Mitterer wurde 1991 von Walter Fink, Nachfahre Felders und seit 2022 Obmann des Felder-Vereins, gefragt, ob er ein Stück über den Schoppernauer schreiben wolle. Auf die ursprüngliche Absage folgte 2022 ein „vielleicht“. „Wenige Tage später kam die Zusage“, schreibt Fink. Von Regisseur Stefan Otteni und Dramaturgin Juliane Schotte überarbeitet, wird die Geschichte im Vorarlberger Landestheater in Kooperation mit dem Theaterverein Bizau in Szene gesetzt.