Das schöne Unbehagen an der Zivilisation

„Das jüngste Gericht“ von Uwe Jäntsch ist eine künstlerische Reflexion über die Moral der Gegenwart.
Das Unbehagen an der Zivilisation tropft wie Tränen von den Lettern. Verbunden als achtmal acht Meter große Holzkonstruktion, steht das monumentale Werk von Uwe Jäntsch seit letztem Freitag in der Feldkircher Johanniterkirche zur Schau. Es trägt den Namen „Das jüngste Gericht“. Doch im Gegensatz zu Michelangelos Vorbild stiftender Arbeit fehlt hier von Gott jede Spur.
Die unmoralische Moral
An seiner Stelle thront die Moral. Sie klagt, und richtet, aber wird sich selbst nicht gerecht. Vielmehr behauptet sie, ohne zu stiften – wie Judith Reichart bei ihrer Laudatio treffend anmerkte. So sei die Moral heute nicht einfach nur ein innerer Kompass, sondern habe sich als Statussymbol tief in die Gesellschaft eingenistet. Ein Umstand, der den Künstler tief bedrückt.
Doch satt Trübsal blasen, entschied sich Jäntsch „die Absurdität des Widerspruchs in Schönheit zu fassen“. Den Anstoß gab ihm dabei Reichart. Denn als die Leiterin des Kulturservice der Stadt Bregenz privat den Künstler besuchte, fiel ihr ein Buch von Arno Egger, Kurator der Johanniterkirche, vor Augen. So entstand die Idee, „Das jüngste Gericht“ im alten Kirchenschiff zu zeigen. Ein Ort so passend, wie das Amen zum Sonntag.
Auf 500 Brettern wird die Welt gerichtet
„Damit mich niemand stoppen konnte, habe ich es in zwei Monaten heraus gestampft“, verkündet Jäntsch mit verschmitzten Stolz. Zentral unterstützt wurde er dabei nicht nur von Reichart und Egger. Sondern auch die Bludenzer Fabrik Klarenbrunn und Kunsthandwerker Thomas Rösler. Unter dessen Anweisung wurde in Zusammenarbeit mit Costanza Lanza di Scalea, der Frau des Künstlers, der Holzaufbau aus 500 Lettern Vorarlberger Fichtenholz errichtet.
Diese Grundlage bemalte der Künstler in dreieinhalb Wochen Dauerarbeit. Bei klirrender Kälte wirkte er kaum schlafend Tag und Nacht in der einstigen Kultstätte. Lies die Bretter den selbst gemischten Acryllack saugen. „Drei Stunden vor der Eröffnung bin ich fertig geworden. Ich hatte noch genug Zeit, um mich zu rasieren, war dann aber total fertig.“

An diesem Abend war die Kirche, in der 1983 zuletzt Gottesdienst gehalten wurde, zum Bersten voll. Zahlreiche Schaulustige aus dem ganzen Land ergötzen sich freudig am Werk. Dessen symbolische Sprache trifft einen Nerv der Zeit. Er zeugt davon, wie stark die Kraft religiöser Motive durch die vermeintlich säkulare Gesellschaft hallt. „Wir alle gehen von der Kirche weg, aber in uns allen steckt die religiöse Erziehung. Nur ziehen wir sie jetzt in den Raum der Politik“, klagt Jäntsch ohne böse Miene.
Smog schmückt den Säntis. Eine gesellschaftliche Entwicklung, die geordnete Unvernunft hervorbringt. So auch in „Das jüngste Gericht“. Dessen Bodensatz zeigt unförmige Gesichter, die nur zur Seite schauen können. In ihrer Mitte pocht ein feuriges Herz, das fast am Kreuz erstickt. Über ihm residiert höllisch anmutend der Traum des Kleinbürgertums. „Der American Dream fährt auf dem schönsten Kreisverkehr. Er umringt die Vorsorge-Immobilie samt Wunsch-Pool und maßgeregeltem Baum“, lacht der frohsinnige Autodidakt. Die Ambivalenz der Ordnung setzt sich mit den Norm-Rosen fort, links und rechts von ihnen Fabriken als qualmender Quell von Reichtum. Atemberaubend wandeln sich dessen Ausdünstungen in malerische Wolken, die links die drei Schwestern und ganz rechts den Säntis schmücken. Über ihnen ruht ein himmlischer Chor klagender Frauen, deren Tränen bis zur Erde fallen.

Dabei überzeugt das Werk durch eine gleichermaßen plakative wie subtile Formsprache. Sie erlaubt mannigfaltige Deutungen jenseits der Intention des Künstlers und lädt zur stets neuen Betrachtung ein. Diese ist bis zum 14. Juni möglich. Was danach mit dem Kunstwerk passiert, ist unklar. Denn Jäntsch rechnet nicht damit, einen Käufer für das monumentale Werk zu finden. Anfragen einzelner Interessenten, Teile der Arbeit zu kaufen, hat er bisher in den Wind geschlagen. Fest steht jedenfalls, dass er das Schallen der Kirchenglocke jetzt schon vermisst. Vermutlich weil sie ihm die Zeit angibt, aber im Gegensatz zu Moralisten ihm überlässt, was er damit macht.