Kultur

Geordnet rauschen die Körper im Tanz

02.06.2025 • 15:01 Uhr
CCN Ballet de Lorraine
Das Ballet de Lorraine. Mittelberger

„A Folia“ kombinierte Tanzrituale des 15. Jahrhunderts mit elektronischer Klanggewalt.

Wieder einmal brachten die Gäste auch bei der letzten Tanzperformance des Bregenzer Frühlings das Festspielhaus zum Kochen: die unglaubliche Energie der CCN – Ballet de Lorraine zeigte sich in zwei rund halbstündigen Choreographien, die 22 (im zweiten Stück 21) Tänzerinnen und Tänzer aus Nancy ließen sich hineinfallen in Maud Le Pladecs „Static Shot“ und in Marco da Silva Ferreiras „A Folia“, beides waren österreichische Erstaufführungen.

CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger

Untergründinger Puls

Static Shot beginnt fast harmlos, gehend, schlendernd, später hüpfend laufen die Menschen in zwei Diagonalen ein, bunt gekleidet, manche mit Glitzer oder mit Kopfmasken, die Basis ist ein untergründiger Puls und ein Geräusch, das wie schnelles Händeklatschen nach Art des spanischen Flamencos klingt.

CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger

Die geometrischen Linien dieses Einmarschs wiederholen sich, wie überhaupt das ganze Stück auf Wiederholungen und ihren subtilen Veränderungen beruht und einzelne irgendwann aus dem Kollektiv ausbrechen. Aus zwei Gruppen entsteht eine lange Reihe wie im Folklore-Tanz, die Bewegung wird zunehmend intensiver und ausgreifender, Stimmen, Zischen und Stampfen verstärken das Geschehen. Schließlich lässt sich die Gruppe von einer fast magisch wirkenden Kombination von Schrittkombinationen, Armbewegungen, Kopfschütteln mitreißen, als würden Kundalini-Meditation und Aerobic miteinander verschmolzen – wie sich die Tänzerinnen und Tänzer das alles merken können, bleibt ein Rätsel.

CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger

Auf dem Höhepunkt werden die Frauen von den Männern hochgerissen und über die Schultern geworfen, immer mehr baut sich die Energie auf. Wenn sich das Ensemble dann wieder zu den geometrischen Linien des Anfangs findet, wirkt das wie ein „cool down“, zu dem die Truppe nach und nach die Bühne verlässt.

Überbordende Beats

In eine archaische Welt und zu Ritualen des 15. Jahrhunderts, verbunden wiederum mit der Bewegungssprache des zeitgenössischen Tanzes, führt „A Folia“ des portugiesischen Choreographen Marco da Silva Ferreira. In der Barockmusik ist „La Folia oder Follia“ eine Basslinie, die sich stets wiederholt und über der sich die Oberstimmen in unzähligen Varianten ausbreiten können. Ähnlich arbeitet der Choreograph, der dieses Thema verwendet und von Luis Pestana in eine überbordende, kraftvolle, mit elektronischen Beats unterfütterte Tonspur verwandeln lässt. Zunächst scheinen die Tänzer aus dem Bühnennebel zu kommen, kriechen am Boden, lauschen, heben sich empor.

CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger

Fantasievolle geometrische Kostüme leuchten aus dem Dunkel empor, bevor das Folia-Thema zum ersten Mal erklingt, sammelt sich die Gruppe, scheint ein Feuer anzufachen. Wieder begeistern die ungeheure Energie des ganzen Ensembles und einzelner Solisten, die Phantasie und Präsenz. Und auf der Basis der Variationen findet auch der Choreograph unendliche Möglichkeiten der tänzerischen Begegnung, der Gruppenbilder, des johlenden Miteinanders.

CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger
CCN Ballet de Lorraine
Mittelberger

Es hat auch ein bisschen den Charakter einer Stierkampfarena, dann wiederum findet das Ensemble zu einem ruhigen Schwingen in Stille, bevor das Folia-Thema ein letztes Mal ekstatisch mitreißt. Nach dieser fulminanten Darbietung kann das Publikum nur von den Sitzen springen, jubeln, pfeifen, johlen!

Katharina von Glasenapp