Kultur

Ein Denkmal für die gemeinsame Zeit vor dem Fernseher

18.06.2025 • 15:42 Uhr
Design ohne Titel - 1
“Das gemeinsame Fernsehschauen im Wohnzimmer und das Darüber-Reden haben eine Qualität, die nicht zu unterschätzen ist”, Liddy Scheffknecht.
FURXER/Shourot

Liddy Scheffknecht zeigt im ORF Landesstudio mit ihrem Kunstwerk „living room (closing)“, wie die Familie damals um ein Medium versammelt war.

Wir kennen sie aus unserer Kindheit. Diese magischen Pop-up-Bücher, die man aufklappen kann und die so eine 3D-Welt zum Vorschein bringen. Klappt man sie wieder zu, verschwindet diese Welt wie durch Zauberhand im Buch und wird flach gepresst. Die Künstlerin Liddy Scheffknecht nutzte diesen Effekt und erschuf ein überdimensionales Buch aus Karton mit einem Fernseher, einer Couch, einer Kommode und einem Beistelltisch. Zusammengehalten werden sie durch Papierklebeband. So steht dieses Werk im Rondell des ORF-Funkhauses und wirkt wie gerade durchs Dach abgesenkt. Mit den vier Kanten widersetzt es sich offensichtlich der runden Ästhetik des Raums.

Maurice Shourot
Shourot

Der Fernseher als Beziehungsmaschine

Der Titel der Installation bringt es auf den Punkt: Das Wohnzimmer, früher Ort der Zusammenkunft um den heiligen Gral Fernseher, wird in einer feierlichen Schlussveranstaltung zu Grabe getragen. Sieht man einmal von live Events wie dem Song Contest oder der Fußball-WM ab (und dort ist es auch eher das öffentliche Wohnzimmer „public viewing“), scheint das zwischenmenschliche Element Fernsehschauen eher im Abnehmen begriffen. Das Buch wird also zugeklappt, die neue Ära mit den verschiedensten Streamingplattformen hat längst begonnen. Der ORF weiß das auch und bietet mit „ORF on“ eine digitale Plattform an. Aber der gemütliche Fernsehabend, an dem tausende Familien gleichzeitig „Wetten, dass..?“ anschauten, diese Zeiten sind vorbei. Daher wirkt der Fernseher im Wohnzimmer heutzutage mehr als dekorativer Einrichtungsgegenstand. Geschaut wird am Computer, am Handy oder am Tablet. Die Skulptur von Scheffknecht wird so zum Sinnbild für eine medial und kulturell transformierte Alltagsrealität. „Ich sehe die Vereinzelung beim Medienkonsum als durchaus kritisch. Das gemeinsame Fernsehschauen im Wohnzimmer und das Darüber-Reden haben eine Qualität, die nicht zu unterschätzen ist“, so Liddy Scheffknecht. „Der Medienkonsum verändert sich und damit auch die Gewohnheiten. Das ist vorerst einmal wertfrei und ich will nicht der alten Zeit hinterhertrauern. Was mir aber schon Sorge bereitet, ist, dass gut aufbereiteter Journalismus, wie der des ORFs, unter Jugendlichen immer weniger konsumiert wird.“

Die Realität verschieben

Liddy Scheffknechtwurde 1980 in Dornbirn geboren und lebt und arbeitet in Wien.  Sie studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien sowie an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Ihre künstlerische Praxis bewegt sich zwischen Skulptur, Installation, Fotografie und Video. Thematisch befasst sie sich mit Zeit, Wahrnehmung, Alltagsästhetik und gesellschaftlichen Veränderungen medialer Räume.  Dabei verwendet sie häufig einfache, vergängliche Materialien und schafft daraus präzise Arrangements, die physisch wie metaphorisch die Realität verschieben.

Maurice Shourot
Herbert Alber mit Liddy Scheffknecht und Lisi Hämmerle.Shourot

Preisgekrönt

Seit 2006 ist sie mit ihren Arbeiten regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, u.a. 2024 in der Galerie 22,48 m2 in Paris, 2022 in The Fest (MAK Wien), 2021 in Unerkannt – Bekannt (Kunstmuseum Appenzell), 2020 beim minus20degrees – Festival in Flachau, 2018 in der Galerie Lisi Hämmerle, 2016 in der Galerie Georg Kargl Fine Arts in Wien oder dem Kapellhaus Baku in Aserbaidschan. Für ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Staatsstipendium für bildende Kunst des BMKÖS, dem outstanding artist award für künstlerische Fotografie sowie einem Artist-in-Residence-Aufenthalt an der Nida Art Colony in Litauen. Zudem erhielt sie den NWW Design Award.

Daniel Furxer