Von Sturm zu Trost: Brahms in Schwarzenberg

Bei der Schubertiade gestalteten Igor Levit und Renaud Capuçon ein Brahms-Programm voller dramatischer Kontraste.
Lieben Sie Brahms? Diese berühmte Roman-Frage konnten der französische Geiger Renaud Capuçon und der deutsche Pianist Igor Levit am Montag mit der Interpretation aller drei Violinsonaten von Johannes Brahms und mit ihnen das Publikum im Angelika-Kauffmann-Saal eindeutig mit „ja“ beantworten.
Nach dem heftigen Unwetter, das auch über den Bregenzerwald hineingebrochen war und das Natur und Menschen danach nicht nur zerzaust, sondern auch frisch geputzt wirken ließ, hörte man auch in der Musik des deutschen Wahlwieners Brahms Licht und Schatten, Dramatik und Versöhnung.

Marathonkonzert
Igor Levit, der gerade in München drei Konzerte mit dem außergewöhnlichen 80-Minuten-Marathonkonzert von Ferruccio Busoni gegeben und am Vorabend einen anspruchsvollen Soloklavierabend bei der Schubertiade gestaltet hatte, fühlt sich auch bei Brahms und seinem kompakten, oft vollgriffigen und manchmal herb sperrigen Klaviersatz wohl. Wunderbar leuchten die Melodiestimmen, die in eine bewegte Begleitung oder Akkorde eingebettet sind – und Liedmelodien strömen zuhauf, vor allem durch die ersten beiden Sonaten op. 78 und op. 100! – aber auch die intensiven Steigerungen und Aufschwünge sind in einen warmen, niemals knalligen Klang gefasst.

Süß und melancholisch
Renaud Capuçon, der französische Geiger mit dem herrlich blühenden Guarneri-Instrument, begeistert immer wieder mit seiner Hingabe und konzentrierten Versenkung. Süß und melancholisch schwingen sich die Melodiebögen auf, die manchmal in Doppelgriffe verpackt sind, mit langem Atem baut er sie auf und lässt sie zurücksinken, zwischen dem ungemein satten Klang der tiefen Lage und der silbrigen Höhe breitet er ein reiches Spektrum an Farben aus. Capuçons Bogentechnik fasziniert ebenso wie die Qualität seines sinnlichen Geigentons.
Im Miteinander der beiden Künstler erlebt man ein organisches Geben und Nehmen mit feiner dynamischer Abstimmung, großartigen Steigerungen und musikantischer Balance. Stellvertretend für Vieles seien die Schleierklänge im ersten Satz der G-Dur-Sonate oder die filigrane Bewegung mit hell-dunkel-Schattierungen im Finale genannt. In der A-Dur-Sonate leuchten die Melodien, die Brahms hier verwoben hat, im Mittelsatz kontrastieren legatissimo gestaltete Linien mit gespenstisch huschenden Passagen, bevor sich der dritte Satz aus tiefer Lage in stets entwickelnden Themen emporschwingt. Die viersätzige d-Moll-Sonate op. 108 ist dramatisch in den nachschlagenden Figuren des Kopfsatzes und einer vorwärtsdrängenden Bewegung, die immer wieder aufgefangen wird. Das Adagio gestalten die Künstler als entrückten Trostgesang, dem das irrlichternde Scherzo und der charaktervolle Sturm des Finales eindrucksvoll gegenüberstehen. Der ungemein dichten Interpretation dieser drei Sonaten wollten die Künstler nichts mehr draufsetzen, sie genossen aber den begeisterten Applaus.
Am heutigen Abend springt der Tenor Ilker Arcayürek für den erkrankten Patrick Grahl ein und gestaltet an der Seite von Daniel Heide den Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, bevor er am Freitag auch den anderen Zyklus „Winterreise“ gestaltet.
Katharina von Glasenapp