Van der Bellen appelliert für ein standhaftes Europa

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach bei der Eröffnung der 79. Bregenzer Festspiele vor seiner Sorge um Europa und den Weg in eine gelungene Zukunft.
Vom Fluch, in interessanten Zeiten zu leben, und der Macht, ihn zu brechen, handelte die Rede, mit der Bundespräsident Alexander Van der Bellen die 79. Bregenzer Festspiele eröffnete.
Vom Wert der Kunst in unsicheren Zeiten und der ihr zugrunde liegenden Krise der Gesellschaft sprachen seine Vorredner Festspielpräsident Hans Peter Metzler und Vizekanzler Andreas Babler.
Die Sorgen des Staatsoberhaupts
Es scheint, als wäre nicht der Rechtsstaat, sondern das Recht des Stärkeren auf dem Vormarsch. Es scheint populärer zu werden, Demokratie für zu träge, zu langsam, zu kompromissorientiert zu halten“, mahnte das Staatsoberhaupt das prominente Publikum. Sichtlich besorgt warnte er Vertreter aus Politik, Kirche, Kultur und Wirtschaft vor dem Verlust der Errungenschaften zurückliegender Jahrzehnte, ohne Österreich mit einem Wort zu erwähnen: „Dabei haben wir Europäer gemeinsam in den letzten Jahrzehnten unter großen Um- und Aufbrüchen, friedlich und zum Wohl aller bewältigt und eine gemeinsame Basis entwickelt. Aber an dieser gemeinsamen Basis wird kräftig gerüttelt, von außen wie innen.“
Gründe für die Krise nannte Van der Bellen keine. Vielmehr vertiefte er seine Gegenwartsdiagnose mit weiteren Bedrohungsszenarien: sich rasant entwickelnde künstliche Intelligenz, Klimawandel und der Krieg „am Rande Europas“ – „Man kommt ja gar nicht mehr nach mit dem Wegschauen“.
Drei Prinzipien
Wie die teuflische Geschichte der Festspiel-Oper „Der Freischütz“ zeige, lasse sich jeder Fluch brechen „wenn die konstruktiven Kräfte sich sammeln, zusammenarbeiten“. Ein Schritt, der nicht von selbst passiert, so Van der Bellen, sondern aktive Entscheidung und politisches Handeln voraussetzt. Drei Prinzipien gab das Staatsoberhaupt dem Publikum mit: „Die Realität anerkennen, wie sie ist, lebenslang lernen und in Bewegung bleiben.“ Was zunächst wie ein Appell an individuelle Resilienz klang, wurde im weiteren Verlauf seiner Rede zum flammenden Plädoyer für ein selbstbewussteres, strategisch denkendes Europa. Warum, fragte Van der Bellen, sollten wir nicht ein europäisches Hochgeschwindigkeits-Bahnprojekt umsetzen, das Hauptstädte verbindet? Eine europäische künstliche Intelligenz entwickeln? Eine gemeinsame Rüstungsinitiative?

Den Begriff der „interessanten Zeiten“ deutete der Präsident schließlich um, weg vom Unheilvollen hin zum Ansporn. Interessant solle heißen: fordernd, anregend, inspirierend.

Minus 30 Prozent
Humorvoll hingegen begann die Rede von Festspielpräsident Hans-Peter Metzler mit einem Seitenhieb. Als ihm Intendantin Lilli Paasikivi mit den Worten „Jetzt hast du zehn Minuten Zeit“ das Wort übergab, übernahm er lachend: „Schön wär’s, Lilli. Minus 30 Prozent. Ich fürchte, ich hab nur sieben.“ Damit spielte er klar auf die von Bund, Land und Stadt Bregenz gekürzten Förderungen der Festspiele an. Ohne Pathos, aber mit spürbarer Dringlichkeit erinnerte er daran, dass die Bregenzer Festspiele einst aus bürgerlicher Initiative entstanden seien, getragen vom Glauben an die verbindende Kraft der Kunst. Als Festspiele dem Leitmotivverpflichtet, das Beste zu holen, ohne elitär zu sein, sieht der Festspielpräsident die Kunst mit wachsender Verantwortung konfrontiert. Denn obwohl sie in Millionenhöhe zur Wertschöpfung beitrage, Arbeitsplätze schaffe, liege ihre besondere Kraft in der Stärkung des Gemeinwesens. Das sei ein Vermögen von unschätzbarem Wert, gerade in unsicheren Zeiten. Umso sicherer seine Freude, dass mit Lilli Paasikivi eine „ebenso erfahrene wie visionäre Persönlichkeit“ als neue Intendantin gewonnen werden konnte. Mit George Enescus „Œdipe“ als Eröffnungsoper, habe sie ein Werk gewählt, das zwar selten gespielt werde, aber zentrale Themen der Oper enthalte: Schicksal, Identität, Schuld und Erkenntnis.

Umso sicherer seine Freude, dass mit Lilli Paasikivi eine „ebenso erfahrene wie visionäre Persönlichkeit“ als neue Intendantin gewonnen werden konnte. Mit ihrer Entscheidung, George Enescus „Œdipe“ als Eröffnung zu wählen, habe sie ein Werk gewählt, das zwar selten gespielt werde, aber zentrale Themen unserer Zeit verhandle: Schicksal, Identität, Schuld und Erkenntnis.
Sauerstoff der Demokratie
Sein Nachredner, Vizekanzler Anderas Babler, war nicht gewillt, konkrete Worte über Kulturpolitik und Kürzungen von sich zu geben. Vielmehr erinnerte der Sozialdemokrat an die ökonomischen Umstände hinter der Krise der Demokratie.

Während der Bundespräsident in seiner Rede den Umgang Europas mit der Wirtschaftskrise vor mehr als 15 Jahren lobte, kritisierte Babler die wirtschaftliche Realität: „Die reichsten fünf Prozent in Österreich besitzen so viel wie die übrigen 95 Prozent.“ Er beobachte, dass sich immer mehr Menschen vom Land vergessen fühlen, resignieren, ihr Vertrauen in die Demokratie schwindet.
Ökonomische Ungleichheit spiegle sich nicht nur materiell wider, vielmehr führe sie zu einem schwindenden Sinn für Gemeinschaft, einer schwindenden Fähigkeit, sich ineinander hineinzuversetzen. „Statt Empathie wird der Egoismus kultiviert“, klagte der Vizekanzler.
Die Wüste des Sozialen werde zum „Nährboden für die gefährlichen Früchte des Autoritären“, einem Keim, der freien Lebensentwürfen die Grundlage entziehe. Dabei bekräftigte er den Wert von Vielfalt und Träumen als Sauerstoff der Demokratie: „Bei steigenden Preisen schrumpfen die Träume“. Babler sehe es daher als essenzielle Aufgabe der Politik, dass „in Österreich wieder groß geträumt werden“ kann: „Die Zukunft unserer Demokratie hängt genau davon ab. Sie hängt davon ab, wie wir miteinander umgehen.“