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Wolfsvideo-Filmer Jagschitz zum Abschuss: “Schade!”

31.01.2024 • 18:40 Uhr
Mit seinem Handy filmte Thomas Jagschitz den Wolf in Bludenz. <span class="copyright">Hartinger</span>
Mit seinem Handy filmte Thomas Jagschitz den Wolf in Bludenz. Hartinger

Thomas Jagschitz filmte mit seinem Handy den Wolf, der nachts durch das Wohngebiet in Bludenz spazierte. Doch weder er noch die Anwohner sind wegen des Tiers in Panik. Auch zum beschlossenen Abschuss gibt es viele Gegenstimmen.

Thomas Jagschitz aus Nüziders hat das virale Video in der Nacht auf Mittwoch gefilmt, in dem ein mutmaßlicher Wolf durch die Südtiroler Siedlung in Bludenz spaziert. Die NEUE hat mit ihm und Anwohnern in der Gegend gesprochen.

Zuerst für Hund gehalten

Jagschitz berichtet, wie es zur Wolfssichtung kam: “Ich bin im Auto von Nüziders kommend in Richtung Bludenz gefahren. Beim Spar (Anm.: neben dem Hotel Einhorn) sah ich auf einmal, wie ein Hund gemächlich die Straße gekreuzt hat. Als ich näher gekommen bin, stellte ich fest: Das ist kein Hund, das schaut für mich aus wie ein Wolf.”

Er versuchte, das Tier filmen und fuhr ihm dafür etwa 10 Minuten hinterher. “Dann hab ich die Polizei verständigt und ihr das Video übermittelt. Außerdem habe ich es drei Freunden geschickt.” Angst habe er keine gehabt, als er den Wolf verfolgte, so Jagschitz: “Vielmehr war ich fasziniert. Mir war klar, dass der Wolf sich mehr vor mir fürchtet.”

Die Aufnahmen übermittelte Jagschitz der Polizei. <span class="copyright">Hartinger</span>
Die Aufnahmen übermittelte Jagschitz der Polizei. Hartinger

Auf dem Weg zur Polizeistation trug sich eine amüsante Begegnung zu. “An der Straße stand eine Dame, etwa Mitte vierzig. Zu der hab ich gesagt: “Da oben ist ein Wolf!” Sie hat es am Anfang nicht ganz geglaubt, aber dann ist sie doch ein bisschen schneller weiter gegangen”, lacht Jagschitz.

Dass ein Bescheid zum Abschuss des Wolfes erteilt wurde, findet Jagschitz nicht gut: “Es ist schade. Was, wenn er sich lediglich verirrt hat? Ist das notwendig, dass man ihn abschießt?” Er ist sich allerdings bewusst, wie emotional aufgeladen das Thema ist: “Jedes Wort dazu führt lediglich zu einem Shitstorm.”

Keine Angst vor dem Wolf

Am Mittwochnachmittag hörte sich die NEUE unter den Anwohnern in der Südtiroler Siedlung um. Das Handyvideo von Thomas Jagschitz haben die allermeisten gesehen, Angst vor einem Wolf hat aber niemand. Vielmehr sind die Leute zu Scherzen über das Thema aufgelegt.

Domenic und Klaudia Ganahl, die vor der Tür von einem Siedlungshaus sitzen, wirken entspannt. Sie begegneten dem Tier nicht. “Ich habe nur das Video gesehen, das in einer Gruppe umherging”, berichtet Domenic. “Ich hab zu meinem Sohn gesagt, sonst sitze ich immer draußen. Als er [der Wolf] vorbeikam, bin ich gerade nicht da gewesen”, lacht seine Mutter Klaudia. Unsicher fühle sie sich nicht, “sicher nicht wegen einem Wolf”.

Klaudia und Domenic Ganahl <span class="copyright">Hartinger</span>
Klaudia und Domenic Ganahl Hartinger

Domenic ist sogar froh, dass Wölfe im Land zurück sind: “Sie gehören hier her, sie waren früher schon da.” Klaudia fügt hinzu: “Auf dem Video sieht man ja, dass der Wolf gleich davongerannt ist. Schlimmer ist es, wenn die Wölfe Tollwut haben, dann muss man aufpassen.” Beide sprechen sich klar gegen einen Abschuss des Tieres aus.

zum Abschuss freigegeben

Die am Mittwochmorgen bekannt gewordene Wolfssichtung hielt auch die Behörden auf Trab. Zunächst galt es abzuklären, ob es sich bei dem Tier tatsächlich um einen Wolf handelt. Dafür wurde im Laufe des Vormittags unter anderem bei Besitzern von Wolfshunden und Huskys kontrolliert, ob eventuell Tiere entlaufen sind. Am frühen Nachmittag kündigte die Landesregierung dann an, einen Abschussbescheid zu erlassen. Zuvor hatte auch Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger die sofortige Entnahmefreigabe gefordert.

Hubert Schatz, Wildbiologe des Landes, erklärte auf Anfrage, dass sich der Wolf offensichtlich in die Stadt verirrte, es habe scheu und verängstigt gewirkt. Die Wahrscheinlichkeit für Beobachtungen wie nun in Bludenz steige mit der Zunahme der Wolfspopulation in einer Region, erklärte Schatz. In Gebieten, wo Wölfe leben, komme so etwas aber immer wieder vor, zum Beispiel, wenn das Tier von einer Talseite zur anderen quert.

Und was tun, wenn man bei einem Abendspaziergang tatsächlich einem Wolf begegnen sollte? Man solle sich ähnlich verhalten wie bei einem herrenlosen Hund: Durch Ansprechen auf sich aufmerksam machen, das Tier durchaus auch mit strengen Worten wegschicken, dann renne der Wolf normalerweise weg. Selbst solle man sich ruhig zurückziehen.

Video von Sohn bekommen

Auch Ulrike Frei, die am Nachmittag an der Siedlung vorbeispaziert, ist alles andere als beunruhigt. “Ich bin nicht nervös, ich habe ja keine Schafe”, lacht die Passantin. Sie werde auch am Abend wieder da entlangspazieren. Das vielbesagte Video habe sie von ihrem Sohn geschickt bekommen.

Ulrike Frei fürchtet sich nicht vor dem Wolf. <span class="copyright">Hartinger</span>
Ulrike Frei fürchtet sich nicht vor dem Wolf. Hartinger

Weiter oben in der Siedlung trifft man eine Gruppe an, die sich gerade über den Wolf unterhalten. “Ich habe keine Angst, nicht einmal in der Nacht”, sagt Elisabeth Salcher. Maria Dobler ergänzt: “Solang die Wölfe vereinzelt auftreten, muss man nichts machen.” Martin Dobler kommentiert die Aufnahmen von Thomas Jagschitz: “Der Wolf hat im Video mehr Angst vor dem Auto, als wir vor ihm haben.”

Der Wolf ist Gesprächsthema Nummer eins, auch bei Elisabeth Salcher und Martin und Maria Dobler. <span class="copyright">Hartinger</span>
Der Wolf ist Gesprächsthema Nummer eins, auch bei Elisabeth Salcher und Martin und Maria Dobler. Hartinger

Auf Durchreise

Hansjörg Klotz ist der Schwiegervater von Thomas Jagschitz, der das Video filmte. Schon fast 60 Jahre lang ist er bei der Bergwacht des Alpenvereins. “Ich bin praktisch ein Wolfsexperte”, schmunzelt er, als ihn die NEUE in der Südtiroler Siedlung antrifft.

Klotz vermutet, dass der Wolf, den sein Schwiegersohn filmte, auf der Durchreise war: “Wahrscheinlich ist er aus der Schweiz und über Nenzing und das Tal in den Wald oberhalb der Siedlung gewandert.” Den Abschussbescheid kritisiert er: “Das ist die falsche Strategie.”

Hansjörg Klotz ist der Schwiegervater von Thomas Jagschitz, der den Wolf filmte. <span class="copyright">Hartinger</span>
Hansjörg Klotz ist der Schwiegervater von Thomas Jagschitz, der den Wolf filmte. Hartinger

Er mutmaßt, dass es sich bei dem Tier um einen einzelnen Wolf handelt. “So ein Einzelwolf ist oft hilflos und für den Menschen nicht gefährlich”, befindet Klotz. Sein Tipp, wenn es zu einer Begegnung mit einem Wolf kommt: “Wichtig ist, Abstand zu halten und langsam zurückzugehen. Auf keinen Fall sollte man Wölfe füttern!”

Auch im Kindergarten keine Panik

Im Kindergarten Don Bosco, der unterhalb der Südtiroler Siedlung liegt, hat man die ganze Aufregung nur am Rande mitbekommen. “Ein Elternteil zeigte das Video”, so eine Pädagogin. “Auch eines der Kinder hat davon gewusst und erzählt. Aber wir sind alle entspannt.”

Anika Neumann kritisiert, dass das Wolfsthema so groß gemacht wird. <span class="copyright">Hartinger</span>
Anika Neumann kritisiert, dass das Wolfsthema so groß gemacht wird. Hartinger

Anika Neumann hat durch die sozialen Medien vom Wolfsvideo erfahren. Auch sie habe keine Angst, erklärt sie: “Mit dem müssen wir jetzt leben, denke ich.” Sie finde es gut, dass der Wolf wieder zurückkommt. “Ich bin auch auf gar keinen Fall dafür, dass er jetzt abgeschossen wird”, betont sie. Die Aufmerksamkeit auf den Wolf sieht sie negativ: “Ich finde es nicht gut, dass die ganze Thematik jetzt so groß gemacht wird.“

Mitarbeit: Hannah Swozilek