„Europa muss zusammenrücken“

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Stephanie Fenkart aus Hohenems, Direktorin des International Institute for Peace in Wien, über die Bedeutung politischer Lösungen für den globalen Frieden und Europas Rolle in aktuellen Konflikten.
Seit 2016 sind Sie Direktorin des International Institute for Peace in Wien. Was sind aktuell die größten Herausforderungen für den globalen Frieden?
Stephanie Fenkart: Diese liegen in den zahlreichen Konflikten, die wir aktuell erleben. Gleichzeitig sehen wir, dass das multilaterale System, das diese Konflikte eigentlich eindämmen sollte, zunehmend in die Kritik gerät oder gar unwirksam bleibt.
Welche Rolle sollte die internationale Gemeinschaft im Nahostkonflikt spielen?
Fenkart: Das ist ein sehr komplexer Konflikt. Die internationale Gemeinschaft war schon in der Vergangenheit nicht in der Lage, einen stabilen Frieden zu erreichen. Besonders tragisch ist, dass die Zwei-Staaten-Lösung nicht ernsthaft genug forciert wurde. Die Situation ist durch die extreme Position der Hamas und der rechten israelischen Regierung verkompliziert worden. Wenn man keine politische Lösung anstrebt, eskalieren Konflikte zwangsläufig.
Was bewerten Sie, dass solche Konflikte auch in unsere Gesellschaften getragen werden?
Fenkart: Das ist verständlich. Migrantinnen und Migranten aus diesen Regionen haben einen anderen Blick auf die Situation. In vielen muslimischen Ländern gibt es andere Informationen und Bilder über das Geschehen in Gaza, was zu einer großen Frustration führt, wenn sie sehen, dass der Westen – auch Österreich – oft pro-israelisch handelt. Gleichzeitig führt das zu Problemen wie einem Anstieg antisemitischer Handlungen.
„Ohne eine Zwei-Staaten-Lösung wird es keinen stabilen Frieden im Nahen Osten geben.“
Stephanie Fenkart, Direktorin IIP

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine dominiert die geopolitische Landschaft. Wie sehen Sie die Zukunft dieses Konflikts?
Fenkart: Dieser findet nicht nur auf militärischer Ebene in der Ukraine statt, sondern ist ein umfassender Angriff Russlands auf den Westen. Putin hat klargemacht, dass er sich im „immerwährenden Krieg gegen den Westen“ befindet. Dieser wird nicht nur mit militärischen Mitteln geführt, sondern auch im Cyberraum, in der Energieversorgung und durch Desinformation.
Gibt es Frieden mit Russland?
Fenkart: Nein, wir befinden uns in einem andauernden Konflikt. Der Krieg findet auf vielen Ebenen statt, und dabei bleibt er oft unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs. Desinformation führt zu Polarisierungen in der Gesellschaft und beeinflusst auch politische Wahlen.
Diese nicht bewaffneten Kriegshandlungen haben auch Auswirkungen auf den sozialen Frieden in Vorarlberg. Wie können wir sicherstellen, dass Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt trotzdem gelingen?
Fenkart: Das ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Es braucht einen „Whole of Society“-Ansatz, der bei der Sensibilisierung beginnt und bis hin zu systemischen Interventionen reicht, etwa der Moderation von Social-Media-Kanälen und der Förderung von Gegenargumenten zu Fake News. Bildung und kritisches Denken sind entscheidend, aber auch eine wertebasierte Gesellschaft, die die Menschenrechte und demokratischen Werte in den Vordergrund stellt.
Welche Risiken birgt der Aufschwung rechter Bewegungen für die Demokratie in Europa?
Fenkart: Das hat tiefgreifende Auswirkungen, denn diese Bewegungen spielen gezielt mit den Ängsten der Menschen, vor allem im Zusammenhang mit Migration, ein komplexes Thema, das instrumentalisiert wird, um die eigene Agenda voranzutreiben. Gleichzeitig brauchen wir Migration – etwa im Gesundheitsbereich, wie die COVID-Pandemie gezeigt hat.
Was erwarten Sie von der kommenden US-Wahl in Bezug auf die globale Sicherheitsarchitektur?
Fenkart: Die US-Wahl wird entscheidend sein. Doch unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt, wird sich die geopolitische Aufmerksamkeit der USA zunehmend in Richtung China verlagern. Europa spielt für die USA eine immer geringere Rolle, und das wird sich nicht ändern – weder unter Trump noch unter Harris. Die USA befinden sich in einem neuen „Kalten Krieg“ mit China.

Wie können wir auf technologische Entwicklungen, die solche Spannungen fördern, reagieren?
Fenkart: Die Polarisierung wird stark durch Desinformation vorangetrieben. Soziale Medien spielen eine große Rolle, und der Einsatz von KI, Bots und Trollfabriken erschwert die Situation. Wir hinken den Entwicklungen oft hinterher und müssen Mechanismen entwickeln, um gegen gezielte Desinformation vorzugehen.
Wie beeinflusst Technologie die geopolitischen Spannungen?
Fenkart: Neben der Desinformation spielt auch die Entwicklung autonomer Waffensysteme eine immer größere Rolle. Diese Technologien bieten zwar Vorteile, etwa im Bereich der Minenräumung oder des Katastrophenschutzes, bergen aber auch enorme Risiken. Vollautonome Waffensysteme, die ohne menschliches Zutun entscheiden, wer lebt und wer stirbt, sind eine gefährliche Entwicklung. Wir müssen solche Technologien sorgfältig regulieren, um Missbrauch zu verhindern.
Sie sind Vorsitzende des Balkanforums in Pristina. Was kann Europa tun, um den Frieden dort nachhaltig zu sichern?
Fenkart: Die Situation auf dem Balkan hat sich in den letzten Jahren leider eher verschlechtert. Nationalistische und autoritäre Tendenzen nehmen zu, und Konflikte werden teilweise bewusst aufrechterhalten, um Machtpositionen zu sichern. Europa könnte viel tun, indem es eine glaubwürdige Erweiterungspolitik verfolgt. Es wäre wichtig, dass Europa seine Versprechen einhält und den Beitrittsprozess ernsthaft vorantreibt.
Wie können wir in Österreich und Vorarlberg den Dialog zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen wiederherstellen und stärken?
Fenkart: Es ist wichtig, die Gespräche auf eine persönliche Ebene zu bringen, wo weniger Aggressivität herrscht und die Menschen sich wirklich zuhören. Der Schlüssel zu einem besseren gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, die Ängste und Sorgen der anderen Seite ernst zu nehmen und nach gemeinsamen Lösungsansätzen zu suchen.
Glauben Sie, dass andere Konflikte genug Beachtung finden?
Fenkart: Leider nicht. Der Fokus der westlichen Welt liegt auf den Konflikten, die uns direkt betreffen, wie der Krieg in der Ukraine oder die Situation im Nahen Osten. Ees gibt viele andere Konflikte, die genauso schwerwiegend sind, wie zum Beispiel im Sudan oder in Äthiopien, über die kaum jemand spricht. Diese Ignoranz hat Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit. Länder im Globalen Süden sehen oft, dass der Westen nur eingreift, wenn seine eigenen Interessen auf dem Spiel stehen.
Haben wir in Europa verlernt, den Frieden zu schätzen?
Fenkart: Vor allem in Ländern wie Österreich haben wir uns daran gewöhnt, in Frieden und Wohlstand zu leben, ohne uns groß Gedanken über Krieg und Konflikte zu machen. Länder wie Polen oder die baltischen Staaten haben diesen Frieden vielleicht nicht so selbstverständlich genommen, da ihre Nähe zu Russland ihnen immer bewusst gemacht hat, dass dieser Frieden fragil ist. In Österreich jedoch herrscht oft die Vorstellung, dass uns nichts passieren kann – eine Einstellung, die gefährlich werden kann.
Europa muss stärker zusammenrücken, sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch. Wir müssen unabhängiger werden, etwa in der Verteidigungsindustrie, und gleichzeitig unsere demokratischen Werte und Menschenrechte bewahren. Dies erfordert langfristiges Denken und ein politisches Engagement, das über den eigenen Tellerrand hinausgeht.

Zur person
Mag. Stephanie Fenkart MA
Mag. Stephanie Fenkart ist seit 2016 Direktorin des International Institute for Peace (IIP) in Wien. Die gebürtige Hohenemserin arbeitet an globalen Friedensprozessen, Konfliktprävention und der Bekämpfung von Desinformation. Zudem ist sie Vorsitzende des Balkanforums in Pristina und setzt sich mit ihrer Arbeit für den Dialog in Krisenregionen ein.