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„Bin ich für sie als Mama gut genug?“

11.05.2025 • 09:00 Uhr
„Bin ich für sie als Mama gut genug?“
Fritsche befürchtet, dass ihre Tochter Mia schon als Kind zu viel Verantwortung übernehmen muss.Hartinger

Die Krankheit ME/CFS hat das Leben von Sabrina Fritsche auf den Kopf gestellt. Ihre größte Sorge ist nicht ihr eigener Zustand – sondern das Wohl ihrer sechsjährigen Tochter Mia.

Von Katja Grundner

„Ich will, dass meine Tochter eine normale Kindheit hat. Dass sie einmal sagen kann, dass sie mit der Mama schöne Sachen erlebt hat“, sagt Sabrina Fritsche unter Tränen. Ihre Tochter ist das Wichtigste in ihrem Leben – doch wegen ihrer Krankheit quält sie oft das Gefühl, ihr nicht zu genügen. „Deshalb gehe ich stets über meine Grenzen, wenn es der Körper zulässt. In dem Wissen, dass ich mich nach der Aktivität gleich wieder in einem dunklen Zimmer hinlegen muss“, sagt die 45-jährige ME/CFS-Patientin.

„Bin ich für sie als Mama gut genug?“
Das Interview kostete Fritsche viel Energie.Hartinger

Schwere Schicksalsschläge

Während eine Infektion der häufigste Auslöser für die Krankheit darstellt, begann die Krankheitsgeschichte von Fritsche mit der Geburt ihrer nun sechsjährigen Tochter Mia. „Meine Hausärztin meinte, dass es nur eine postpartale Depression sei. Aber ich war mir sicher, dass das nicht sein kann. Ich hatte Entzündungen im ganzen Körper“, erzählt die Sulnerin. Nach der Schwangerschaft verlor sie drastisch an Energie – viele alltägliche Dinge konnte sie plötzlich nicht mehr bewältigen. Um Mia kümmerten sich vor allem Fritsches heutiger Ex-Mann und ihre Mutter.  

Später kam eine Borreliose-Diagnose hinzu, bei der Fritsche eine intensive Antibiotika-Therapie begann. Unter der Therapie verschlechterte sich ihr Zustand und eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus wurde festgestellt, das als Auslöser der ME/CFS-Erkrankung gilt. Im Frühjahr 2022 infizierte sich Fritsche außerdem mit dem Coronavirus. „Da ist dann gar nichts mehr gegangen“, betont sie. Im Laufe der Zeit gab es laut Fritsche viele Ärzte, die ihr nicht helfen konnten, und viele belastende Sprüche, die sie sich anhören lassen musste.

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„Erst letztes Jahr habe ich durch einen Internisten von ME/CFS erfahren. Er war einer der wenigen Ärzte, der sich damit auskannte“, erklärt Fritsche. Endlich passten ihre Symptome zu einem Krankheitsbild: ihre schwere körperliche Erschöpfung, die durch Schlaf nicht besser wird, grippeähnliche Beschwerden, sogenannter „brain fog“, der sich durch Konzentrationsprobleme und verlangsamtes Denken äußert, und Reizüberempfindlichkeit. „Bei uns ist alles ruhiger und dunkler als bei anderen“, veranschaulicht Fritsche.

„Bin ich für sie als Mama gut genug?“

ME/CFS mit Kind

Am Morgen versucht Fritsche zusammen mit Mia aufzustehen und sie in den Kindergarten zu bringen. Manchmal ist dies nicht möglich, sodass Mias Vater oder eine ihrer Omas einspringen müssen. „Nachdem ich sie in den Kindergarten gebracht habe, muss ich gleich wieder heim und mich ins Bett legen. Oft bis die Kleine wieder zuhause ist“, erklärt Fritsche. Am Nachmittag wird mit Mia etwas Ruhiges im Haus unternommen, wie beispielsweise Malen. „Wenn es mir nicht gut geht, darf sie fernsehen. Am Anfang hatte ich immer ein schlechtes Gewissen dabei. Ich war nämlich so eine Mama, die immer stolz gesagt hat, dass mein Kind nie fernsieht“, sagt Fritsche bedrückt.  

Manchmal gelingt es der Mutter, selbst Auto zu fahren oder mit Mia gemeinsam etwas außerhalb der eigenen vier Wände zu unternehmen. Etwa ins Schwimmbad zu gehen – jedoch nur mit Begleitung und an einem ruhigen Platz abseits des Trubels. Andere Male muss sie sogar Arzttermine absagen. „Es ist ganz unterschiedlich. Man weiß am Abend nie, wie es einen am Morgen gehen wird. Man kann eigentlich nichts planen“, berichtet Fritsche. „Wenn mich jemand im Schwimmbad sieht, kann sich diese Person nicht vorstellen, dass ich so krank bin. Sie weiß nicht, dass ich nur zwei Stunden im Schwimmbad sitze und danach wieder ein paar Tage im Bett liegen muss. Es geht mir nie ganz gut.“ Manche Betroffene kämpfen mit noch gravierenderen Einschränkungen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Bis zu 80.000 Menschen in Österreich leiden an ME/CFS, 15.000 davon sind haus- oder bettgebunden.
  • ME/CFS gab es bereits vor Corona. Die chronische Multisystemerkrankung wird vor allem durch Infektionen wie z.B. Covid-19 und dem Epstein-Barr-Virus getriggert.
  • Im Rahmen einer gemeinsamen Recherche von ORF, Dossier und APA mit 56 Betroffenen zeigte sich, dass bei drei Viertel der Fälle die ärztlich bestätigte Diagnose ME/CFS oder Post-Covid von den PVA-Gutachtern nicht übernommen wurde. Stattdessen wurde eine psychische Diagnose gestellt – auch die Neurasthenie, die in der Wissenschaft als veraltet gilt.

„Mein Kopf will immer schöne Dinge mit dem Kind erleben, aber…“, sie bricht den Satz ab und beginnt neuerlich zu weinen. „Aber der Körper kann meistens nicht“, beendet sie den Satz emotional. Auch wenn Fritsche ihre gesamte Energie in das Betreuen ihrer Tochter investiert, schwingt in ihren Worten immer wieder ein schlechtes Gewissen mit. „Man probiert natürlich, eine gute Mama zu sein. Vor allem beim ersten Kind hat man eine hohe Erwartungshaltung und will alles perfekt machen. Aber es ist alles anders gekommen“, stellt sie fest.

Gemeinsamer Muttertag

Für Fritsche wäre es körperlich am wohltuendsten, den Muttertag einfach daheim im Bett zu verbringen. In ihrem Innersten jedoch sehnt sie sich nach einem gemeinsamen Essen außer Haus. Entschieden werden kann dies nur am Tag selbst. Eines jedoch ist sicher: Mia und Fritsches Mutter werden da sein. „Ich will der Mama ein Frühstück machen und die Wäsche waschen. Den Geschirrspüler will ich auch ein- und ausräumen, das kann ich schon ganz allein“, teilt Mia begeistert mit. Dann öffnet sie ihren Kleiderkasten und flüstert: „Da habe ich ein Geschenk versteckt – eine selbstbemalte Schüssel und eine Herzkarte.“

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Fritsche würde es ohne ihre Mutter nicht schaffen.Hartinger

Nicht nur zum Muttertag, sondern jeden Tag des Jahres ist Fritsche ihrer eigenen Mutter dankbar. „Alleine würde ich das nie schaffen“, ist sie sich sicher. Ihre Mutter Margit Wachter schläft rund zweimal pro Woche im Haus ihrer Tochter und ist fast täglich vor Ort.   

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Fritsches Mutter hat Sorge um ihre Tochter und ihr Enkelkind. Hartinger

Wachter sorgt sich wie Fritsche um Mia, doch zusätzlich leidet sie mit ihrer Tochter mit. Während sie wahrnimmt, dass der Zustand ihrer Tochter meist nicht verstanden, verharmlost oder psychologisiert wird, steht die 63-Jährige hinter ihr: „Ich bin stolz auf sie, vor allem wenn sie etwas schafft, das sie nicht für möglich gehalten hätte. Sie macht es gut mit Mia und ich liebe sie von ganzem Herzen.“  

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David Burian, Mitbegründer einer Selsthilfegruppe für ME/CFS

  • Was unterscheidet ME/CFS von einer Depression? David Burian: Der Hauptunterschied ist, dass depressive Menschen nicht wollen und nicht können und ME/CFS-Patienten wollen, aber können nicht. ME/CFS-Patienten wird zum Beispiel gesagt, dass sie Sport machen und durchbeißen sollen. Aber Überbelastung kann den Körper sehr schaden. Das ist, als würde man einen Diabetiker Zucker geben. Und wenn sie die Reha abbrechen, heißt es, sie haben nicht mitgearbeitet und es werden ihnen Sozialleistungen gestrichen. Auch bei PVA-Gutachten wird ihnen die Erkrankung aberkannt, indem sie zum Beispiel als teilweise arbeitsfähig eingestuft werden oder psychologische Krankheiten als Hauptdiagnose gestellt bekommen.
  • Was ist das Problem an der Wahrnehmung der Krankheit in der Gesellschaft? Burian: Das Problem ist, dass sogar die Ärzte selbst noch zu wenig informiert sind. Und das, obwohl sie von der WHO seit 1969 als organische Krankheit anerkannt wird. Es ist der größte medizinische Skandal seit 50 Jahren.  
  • Was erwarten Sie sich von Ärzten und er Politik? Burian: Es ist wichtig, dass man Ärzte auf dem Gebiet gut aus- und weiterbildet. Deshalb haben wir am 20. Mai eine Ärztefortbildung organisiert. Von der Politik haben wir eine ganz einfache Forderung, nämlich das, was allen schwer chronisch kranken Menschen zusteht: eine adäquate Versorgung und eine adäquate soziale Absicherung. Beides ist aktuell katastrophal. Am 12. Mai wird es eine Demonstration in Bregenz geben, wo wir darauf aufmerksam machen wollen.
„Bin ich für sie als Mama gut genug?“
Burian setzt sich für ME/CFS-Patienten und -Patientinnen ein. Hartinger
„Bin ich für sie als Mama gut genug?“
„Bin ich für sie als Mama gut genug?“

(NEUE)