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Mensch muss sich artgerecht ernähren

18.07.2020 • 19:09 Uhr
Die Menschen müssen anfangen, den Boden anders zu bewirtschaften.      <span class="copyright">Shutterstock</span>
Die Menschen müssen anfangen, den Boden anders zu bewirtschaften. Shutterstock

Menschen müssen Boden anders bewirtschaften.

Die Weltbevölkerung steigt rasant, immer mehr Menschen wollen am Wohlstand teilhaben. Gleichzeitig breiten sich stetig chronische Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Krankheiten aus. Der Biologe und Arzt Martin Grassberger ist überzeugt, dass zwischen diesen „leisen Epidemien“ und der Zerstörung der Natur ein Zusammenhang besteht. Er hat darüber das Buch „Das leise Sterben. Warum wir eine landwirtschaftliche Revolution brauchen, um eine gesunde Zukunft zu haben“ geschrieben.

Warum brauchen wir eine landwirtschaftliche Revolution, um eine gesunde Zukunft zu haben?
Martin Grassberger: Zunächst möchte ich betonen, dass der Titel meines Buches – wie alle Buchtitel – die Problematik vereinfacht darstellt. Das Thema ist sehr komplex. Es geht in keiner Weise darum, ausschließlich der Landwirtschaft Schuld zuzuweisen. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen aber, dass wir die Art, wie wir unsere Lebensmittel produzieren, was wir produzieren und die Weise, wie wir unseren Boden behandeln, grundlegend ändern müssen, um in eine gesunde Zukunft gehen zu können.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Gesundheit des Bodens und unserer menschlichen genau?
Grassberger: In den letzten Jahren hat sich immer mehr dargestellt, dass viele chronische Krankheiten zumindest eine Verbindung, wenn nicht vielleicht sogar die Ursache in einem gestörten Darmmikrobiom haben.

Was ist ein Mikrobiom?
Grassberger: Das Mikrobiom ist die Gesamtheit aller Bakterien, genauer gesagt aller ihrer Gene. Die Wissenschaft hat in diesem Zusammenhang einen Begriff aufgegriffen, der nicht neu ist, nämlich „Holobiont“. Ein Holobiont ist ein Gesamtlebewesen. Ein Mensch besteht nicht nur aus seinen etwas mehr als 20.000 Genen, sondern auch noch aus den bis zu einer Million Genen seiner Bakterien, die sich unter anderem im Darm befinden.

Das Darmmikrobiom (hier die Bakterien im Dünndarm) spielt für die Gesundheit eine wichtige Rol<span class="copyright">  Shutterstock</span>le.
Das Darmmikrobiom (hier die Bakterien im Dünndarm) spielt für die Gesundheit eine wichtige Rol Shutterstockle.

Und das Darmmikrobiom spielt eine wichtige Rolle für die Gesundheit?
Grassberger: Ja. Das Darmmikrobiom ist erst in letzter Zeit intensiv beforscht worden. Weil wir jetzt erst die Möglichkeiten haben, über molekulare Untersuchungstechniken Bakterien sichtbar zu machen, die wir unter dem Mikroskop nicht sehen und auch nicht im Labor züchten können. Dabei hat sich herausgestellt, dass es eine unglaubliche Vielzahl an Bakterien gibt. Die müssen mitberücksichtigt werden. Werden sie nicht richtig ernährt oder durch zu viele chemische Eingriffe beeinträchtigt, wirkt sich das auf den gesamten Menschen aus. Sie spielen eine Rolle im Zusammenhang mit Krankheiten, bei denen wir das nie gedacht hätten. Neurologischen Beschwerden, Demenz bis hin zu Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Richtige Ernährung ist wichtig?
Grassberger: Ja. Hier zeigt sich schon die erste Verbindung zur Landwirtschaft. Wir sollten möglichst unbehandelte Lebensmittel zu uns nehmen. So, wie wir das noch vor 100 Jahren getan haben. Pestizidbehandeltes hingegen, tut uns nicht gut. Auch industriell hergestellte Lebensmittel nicht. Sie enthalten jede Menge Zusatzstoffe, die zwar als harmlos gelten, weil sie nicht unmittelbar giftig für uns sind. Aber für die Bakterien sind sie nicht günstig. Dazu gehören auch Süßstoffe.

Alles sollte so naturbelassen sein, wie möglich?
Grassberger: Richtig. Wobei die Wissenschaft noch weit entfernt davon ist, die Zusammenhänge ganz zu verstehen. Aber es gibt eindeutige Hinweise, dass unser Lebensstil, der gesamthaft sehr chemiegetrieben ist, nicht günstig zu sein scheint. Wir nehmen ja auch über Kosmetika oder Medikamente chemische Stoffe auf. Es gibt Situationen – schwere Krankheiten, zum Beispiel – in denen es wichtig ist, dass sie zum Einsatz kommen. Aber wir sollten weit weniger verwenden. Wir wissen mittlerweile auch, dass Antibiotika, wenn sie mit Pestiziden zusammentreffen, zu schnelleren Resistenzen führen.

Darmbakterien, Grassberger
Darmbakterien, Grassberger

Was auch problematisch ist.

Grassberger: Eine weitere Verbindung zur Landwirtschaft und eine Parallelität ist, dass auch Pflanzen ein Mikrobiom haben, auch Holobionten sind. An ihren Wurzeln – fast analog zu unserem Darm – sitzen ebenfalls Bakterien, die ihnen ein Überleben oder ein Gesundbleiben ermöglichen. Die brutalste Form der Landwirtschaft, jedes Jahr tief den Pflug anzusetzen und vielleicht auch noch Herbizide einzusetzen, führt dazu, dass auch im Boden das Bakteriengleichgewicht und die Mikroben, das sind auch viele Pilze, gestört werden. Die Biodiversität nimmt ab, das System wird instabil. Ein Teufelskreis aus mehr benötigten Schädlingsbekämpfungsmitteln und mehr Einsatz von Düngemitteln beginnt.

So wird der Boden zerstört?
Grassberger: Die Humusschicht, die biologische Materie des Bodens. Die nachfolgenden Generationen werden sich schwertun, noch Landwirtschaft betreiben zu können. Über den Aufbau von Humus kann außerdem CO2 aus der Atmosphäre gebunden werden. Hier zeigt sich eine Verbindung zum Klimawandel. Boden, der viel Humus aufweist und immer grün bewachsen ist, kann zudem Starkregenfälle gut aufnehmen und bleibt fruchtbar. Boden, der massiv mechanisch bearbeitet wird, wird weggeschwemmt.

Was passiert, wenn man düngt?
Grassberger: Um die Hektarerträge zu ermöglichen, die wir zu erwirtschaften versuchen, werden Mineraldünger eingesetzt. Die sind zwar natürlichen Ursprungs, enthalten vor allem Kalium und Phosphor. Doch sie sind weltweit nur begrenzt vorhanden, produzieren sich nicht neu. Manche Forscher behaupten, dass wir bei Phosphat bereits den Förderungshöhepunkt überschritten haben. Wenn wir weitermachen wie bisher, werden diese Stoffe unseren Nachkommen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Nimmt die Biodiversität ab, beginnt ein Teufelskreis aus mehr benötigten Schädlingsbekämpfungsmitteln und mehr Einsatz von Düngemitteln.  <span class="copyright">Shutterstock</span>
Nimmt die Biodiversität ab, beginnt ein Teufelskreis aus mehr benötigten Schädlingsbekämpfungsmitteln und mehr Einsatz von Düngemitteln. Shutterstock

Was gilt es also zu tun?
Grassberger: Das führt uns wieder zum Bodenleben. Bodenpilze sind in der Lage, aus dem Phosphatgestein, das sich auch bei uns im Boden befindet, das Phosphat zu mobilisieren und der Pflanze zur Verfügung zu stellen. Die Pflanze versorgt sie im Gegenzug mit zuckerhaltigen Substraten. Diese Symbiosen bestehen seit Jahrmillionen. Und erhalten das System gesund. Wenn man den Boden permanent mit chemischen Mitteln behandelt, greift man in dieses Geschehen ein. Genauso wichtig ist es, von der Konzentration auf wenige Sorten wegzukommen. Weltweit wird der Kalorienbedarf zu zwei Dritteln aus Weizen, Mais, Reis und Soja gedeckt, wo es doch so viele andere Lebensmittel gäbe.

Welche zum Beispiel?
Grassberger: Wir wissen, dass Wurzelgemüse, Blattgemüse aber auch Früchte, Sämereien, Nüsse einen extrem positiven Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Das ist nichts Neues. Es stellt sich nur jetzt über die bekannte Verbindung über das Mikrobiom dar, warum das so ist.

Die Lösung wäre also, wieder weniger intensiv regionales und saisonales Gemüse anzubauen?
Grassberger: Kleinstrukturierte, regionalen Humus aufbauende Kreislaufwirtschaft mit weitgehendem Verzicht auf Ackergifte sollte betrieben werden. Ich muss dazusagen, dass ich kein Vegetarier bin. Es geht nicht darum, dass wir alle vegan werden und die Tierhaltung abschaffen. Die derzeitige Form der intensiven Tierhaltung ist problematisch. Wenn Tiere richtig gehalten werden, können sie sogar zu einer positiven Bodenbiologie beitragen. Auch jedes Nutztier hat ein Mikrobiom. Man kann Krankheiten verhindern, indem man es artgerecht ernährt. Aber auch der Homo sapiens sollte eben artgerecht ernährt werden und zwar mit dem, was in der Natur bei uns zur jeweiligen Jahreszeit wächst.

Martin Grassberger studierte Medizin und Biologie in Wien. Er betreibt in NÖ regenerativ-ökologischen Pflanzenbau. <span class="copyright">Privat</span>
Martin Grassberger studierte Medizin und Biologie in Wien. Er betreibt in NÖ regenerativ-ökologischen Pflanzenbau. Privat

Was wäre noch wichtig?
Grassberger: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU nimmt viel zuwenig Rücksicht darauf, wie gut es dem Boden geht und was darauf angebaut wird. Es geht vorrangig darum, wie viel Fläche jemand bewirtschaftet. Je größer die Fläche, desto mehr Direktzahlungen. Das gehört dringend geändert in Richtung Bodenaufbau und gesunde Lebensmittel. Die Landwirte müssen zudem für ihre Produkte ordentlich bezahlt werden. Die Menschen möchten zwar gerne Bio, greifen dann aber doch zum Billigsten.

Warum wird auf Aufrufe zu mehr Klima- und Umweltschutz weniger, als auf anderes reagiert?
Grassberger: In meinem Buchtitel steht auch „Das leise Sterben“. Die Abnahme der Bodenbiodiversität ist ein schleichender Prozess und fällt nicht auf. Die Äcker geben immer noch genug her. Nur wer genau schaut, sieht, dass sich jetzt schon etwas verändert. Man muss längere Zeiträume betrachten und das ist offensichtlich nicht in der Software des Menschen gespeichert. Wir sind Kurzzeit-Befriedigungs-Sucher und -Denker. Kombiniert mit einem gewissen Egoismus.

Aber ein gewisses Bewusstsein ist bereits vorhanden.
Grassberger: Ja. Es gibt auch bereits viele Projekte – Bioläden, Vermarktungsgemeinschaften, Ab-Hof-Verkauf – die angenommen werden. Darauf kann man aufbauen. Die Veränderung muss aber weitreichender sein. Während des Corona-Shut-Downs wurde den Menschen die Problematik der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln bewusst. Leider finden jetzt viele schnell in ihren alten Lebensrhythmus zurück. Ich appelliere, die Lehre aus Corona im Kopf zu behalten und zu versuchen, das Leben danach auszurichten. Ein lebenslang gesund ernährter Körper kann auch mit Viren – auch dem Covid-19-Virus – besser umgehen. Vor allem entwickelt er viel seltener chronische Erkrankungen, unter denen viele, wenn nicht fast alle, die an Corona verstorben sind, gelitten haben.

"Das leise Sterben“ wurde in der Kategorie Naturwissenschaften/Technik zum Wissenschaftsbuch 2020 gewählt      <span class="copyright">  Privat</span>
"Das leise Sterben“ wurde in der Kategorie Naturwissenschaften/Technik zum Wissenschaftsbuch 2020 gewählt Privat

zur Person

Univ.Prof.DDr. Martin Grassberger studierte Medizin und Biologie in Wien, ist Facharzt für Gerichtsmedizin. Er lehrt unter anderem an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien und an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Universität Wien Humanbiologie, Evolutionäre Medizin, Forensische Medizin und Pathologie. Grassberger ist Autor zahlreicher Publikationen und betreibt in NÖ regenerativ-ökologischen Pflanzenbau.

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