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Körperliche und selische Narben

30.05.2021 • 14:00 Uhr
Dieses Foto stellte die britische Geburtsfotografin Helen Aller im August 2016 auf ihren Social-Media-Account. Es wurde in kürzester Zeit acht Millionen Mal angeklickt.<span class="copyright"> Helen Aller</span>
Dieses Foto stellte die britische Geburtsfotografin Helen Aller im August 2016 auf ihren Social-Media-Account. Es wurde in kürzester Zeit acht Millionen Mal angeklickt. Helen Aller

Ein Kaiserschnitt kann traumatisch sein.

Sie sind eine der Protagonistinnen des Films „Meine Narbe“. Wie kam es dazu?
Heike Grabher Meyer:
Ich hatte im Jahr 2012 einen Kaiserschnitt und besuchte 2014 bei der Psychologin Judith Raunig in Wien ein Kaiserschnitt-Aufarbeitungsseminar. Sie hat mich gefragt, ob ich bereit wäre, für den Film meine Geschichte zu erzählen.

Warum hatten Sie das Gefühl, ein Aufbearbeitungsseminar zu brauchen?
Grabher Meyer:
Ich habe schon unmittelbar nach der Geburt meiner Tochter gemerkt, dass es mir psychisch sehr schlecht geht. Ich habe mit dem Kaiserschnitt gehadert, mit dem, was da passiert ist, wie mit mir umgegangen wurde. Ich habe es sofort angesprochen und wollte darüber reden, bekam aber keine Antworten.

Warum?
Grabher Meyer:
Im Krankenhaus hieß es, es sei noch so frisch, ich solle Gras darüber wachsen lassen. Es werde schon wieder. Rückblickend weiß ich gar nicht, wie ich die zwei Jahre bis zum Seminar überlebt habe. Ich habe bei anderen Hebammen, meinem Hausarzt, meinem Gynäkologen Hilfe gesucht, aber nicht gefunden. Irgendwann dachte ich, wenn keiner mich versteht, muss das Problem bei mir liegen. Ich versuchte, selbst damit klarzukommen, aber es ging nicht. Nach langer Recherche im Internet habe ich Judith Raunig gefunden. Jetzt ist es gut. Aber ein Thema ist es immer noch. Es lässt einen nie ganz los.

Ein Kaiserschnitt kann ein prägendes Erlebnis für Mutter und Kiind sein. <span class="copyright">Shutterstock</span>
Ein Kaiserschnitt kann ein prägendes Erlebnis für Mutter und Kiind sein. Shutterstock

Was war so furchtbar?
Grabher Meyer:
Es war meine erste Geburt. Ich war voller Zuversicht, doch die Geburt dauerte sehr lange, und in den anderen Kreißsälen war sehr viel los. Die Ankündigung des Arztes, dass ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden muss, kam für mich völlig überraschend. Darauf war ich in keinster Weise vorbereitet. Plötzlich musste alles ganz schnell gehen, ich musste unterschreiben, dass ich dem Notkaiserschnitt zustimme. Ich dachte, nun geht es um Leben oder Tod. Plötzlich war ich im OP, und kein Mensch hat mehr mit mir gesprochen. Die Ärzte haben sich über einen Urlaub unterhalten. Sie hatten die Ruhe weg. Es ging noch eine halbe Stunde, bis mein Kind auf der Welt war. Ich weiß bis heute nicht, warum sie meinen Mann nicht zu mir gelassen haben. Ich war total alleine, fühlte mich ausgeliefert und stand Todesängste aus.

Todesängste?
Grabher Meyer:
Du kannst dort ja nicht mehr weg. Du bist angebunden, bist bei vollem Bewusstsein. Ich habe nicht mehr verstanden, was abläuft. Du spürst den Schmerz nicht, aber wenn du merkst, wie du aufgeschnitten wirst und dein Gewebe reißt, das geht einem durch und durch. Man hat mir meine Tochter kurz hergehalten, aber ich habe sie gar nicht mehr wahrgenommen. Dann war sie weg. Sie wurde mir nicht auf die Brust gelegt, sondern sie war mit meinem Mann im Kreißsaal, dort hat man ein Bonding gemacht. Ihr ging es zum Glück gut. Ich bin in einem Zimmer wieder zu mir gekommen. Es war mitten in der Nacht. Ich wusste nicht, was passiert war. Auch nicht, wo meine Tochter ist, wie es ihr geht. Ich lag alleine da, habe gewartet und war völlig benebelt. Es war ein fürchterlicher Zustand. Mein Mann hat sie mir dann gebracht. Das war ein fremdes Kind für mich.

Sie bekamen 2016 ein weiteres Kind.
Grabher Meyer:
Ja, in einer wunderschönen Spontangeburt. Es ging ganz einfach und schnell. Jetzt habe ich einen Vergleich. Der Moment, wenn das Kind auf die Welt kommt und du es in den Arm nimmst, dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Das habe ich bei der ersten Geburt nie gehabt. Es hat einige Jahre gebraucht, zu der Verbindung zu kommen, für die es bei der zweiten Geburt nur Millisekunden brauchte.

Wie haben Sie den Mut gefunden, sich erneut einer Geburt zu stellen?
Grabher Meyer:
Es war mein inneres Wissen, dass das zweite Kind noch zu mir gehört. In die zweite Geburt bin ich ganz anders hineingegangen. Ich habe mich mit allen Eventualitäten befasst. Selbst wenn es wieder ein Kaiserschnitt geworden wäre, hätte ich das super hinbekommen. Weil ich wusste, was mir wichtig ist.

Protagonisten aus dem Film "Meine Narbe" - rechts oben Heike Grabher Meyer. <span class="copyright">geyrhalterfilm</span>
Protagonisten aus dem Film "Meine Narbe" - rechts oben Heike Grabher Meyer. geyrhalterfilm

Es ist also essenziell, sich auf eine Geburt sehr gut vorzubereiten?
Grabher Meyer:
Ja, zu einer guten Vorbereitung gehört, dass ich meine Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen kenne. Aber auch, dass ich im guten Vertrauen zu mir und meinem Kind bin, dass wir die Geburt gemeinsam meistern können.

Was ist bedeutsam, wenn es zu einem Kaiserschnitt kommt?
Grabher Meyer:
Wenn es noch möglich ist, sollte man sich Zeit nehmen und mit den Ärzten, der Hebamme und dem Partner abklären, was man braucht. Man benötigt auch Zeit, sich von der Idee einer Spontangeburt zu verabschieden. Auch dem Kind sollte man erklären, was passiert, und man sollte gut mit ihm in Verbindung bleiben. Die Ärzte sollten während des Kaiserschnitts mit der Frau sprechen – wenn sie das will – und ihr erläutern, was sie tun. Ein Kaiserschnitt ist keine Blinddarm-OP, bei der man schnell etwas herausschneidet. Es ist genauso eine Geburt, auch wenn sie nun im OP stattfindet, und sie braucht ebenso viel Achtsamkeit und Zuwendung wie jene im Kreißsaal oder bei der Hausgeburt.

zur Person

Heike Grabher Meyer

Geboren 1981, wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Lustenau. Sie ist eine der Protagonistinen des Films „Meine Narbe“. Heute macht sie eine Ausbildung zur Doula – einer nicht-medizinischen Geburtsbegleiterin. Um ihre Erfahrung weiterzugeben, Frauen in der Geburtsvorbereitung auf alle Eventualitäten einzustimmen oder negative Geburtserlebnisse aufzuarbeiten. Doulas sind vor, während der Geburt oder im Wochenbett für die Frau da.

Veranstaltung

Meine Narbe“ – Themenabend Kaiserschnitt im Frauenmuseum

im Rahmenprogramm der aktuellen Ausstellung des Frauenmuseum Hittisau „geburtskultur. vom gebären und geboren werden“. Die Kaiserschnitt-Operation zählt zu einer der wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte der Geburtsmedizin und bildet zugleich oft ein prägendes Lebensereignis. Im Dokumentarfilm „Meine Narbe“ berichten Betroffene über ihre Erfahrungen. Im anschließenden Gespräch mit Klaus Käppeli-Valaulta, Körper- und Psychotherapeut aus St. Gallen, spezialisiert auf die Behandlung von traumatischen Erfahrungen vor und während der Geburt bei Babys und Erwachsenen, Katharina Leitner-Dziubas, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytikerin, Leiterin Psychosomatische Frauenambulanz und stv. Klinikleiterin MedUni Wien und Michael Rohde, ärztlicher Krankenhausleiter und Leiter der Abteilung Gynäkologie & Geburtshilfe am LKH Bregenz werden die verschiedenen Aspekte des kontrovers diskutierten Themas beleuchtet. Wann: Mittwoch, 2. Juni, 19 Uhr, Frauenmuseum Hittisau. Anmeldung unter www.frauenmuseum.at

„Der Umgang mit der Frau ist entscheidend“

Judith Raunig und Birgit Kalb haben sich unter anderem auf die Aufarbeitung von Geburtstraumata spezialisiert. Achtsames Handeln bei der Geburt ist für sie essenziell.

A ls sie einen Arzt zu einer Hebamme sagen hörte: ‚Nach fünf Minuten ist der Frau doch sowieso egal, wie das Kind herauskam“, war für Judith Raunig klar, dass sie an dieser Einstellung mancher Mediziner dringend etwas ändern wollte. Die Psychologin hatte sich auf das Thema Kaiserschnitt spezialisiert und bereits einige Zeit mit Frauen ihre belastenden und traumatischen Geburtserlebnisse aufgearbeitet. Sie wusste, dass es sich ganz anders verhält. „Ich dachte, dass es hilfreich sein könnte, wenn betroffene Frauen von ihren Erfahrungen erzählen.“ So wurde die Idee zum Dokumentarfilm „Meine Narbe“ geboren. Ursprünglich als Lehrvideo für Fortbildungen für Fachpersonal gedacht, wurde das Projekt größer, und mittlerweile haben den Film, den sie 2014 gemeinsam mit Regisseurin Mirjam Unger produziert hat, sehr viele Menschen im deutschsprachigen Raum gesehen. Und er wird tatsächlich in Ausbildungen gezeigt.

Seit damals hat sich die Situation etwas gebessert, ist Raunig überzeugt. „Als ich begonnen habe, war es für viele unverständlich was ich da tue“, erzählt sie. „Hauptsache, das Kind ist gesund, hieß es. Heute ist anerkannt, dass es belastende oder traumatische Geburten gibt. Das kann übrigens auch bei vaginalen Geburten passieren“, sagt Raunig. Es sei nicht primär wichtig, ob Kaiserschnitt oder nicht, sondern, wie mit einer Frau während der Geburt umgegangen wurde. Es ginge maßgeblich darum, ob sie sich ausgeliefert und ohnmächtig gefühlt habe oder verstanden und wahrgenommen. Weil ein Kaiserschnitt ein operativer Eingriff ist, der von vielen Menschen durchgeführt wird, gibt es hier viel Potenzial, dass fremdbestimmt wird und Grenzen überschritten werden.

Psychologin Judith Raunig hat sich auf das Aufarbeiten von Geburtstraumata spezialisiert.<span class="copyright"> privat </span>
Psychologin Judith Raunig hat sich auf das Aufarbeiten von Geburtstraumata spezialisiert. privat

Für die Wolfurter Krankenschwester und Traumatherapeutin Birgit Kalb ist Geburt eine der prägendsten Lebenserfahrungen, die sich nachhaltig auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirkt, und zwar nicht nur auf die des Kindes, sondern auf das ganze familiäre System. „Sie ist die Brücke zwischen der vorgeburtlichen Zeit und der danach“, sagt das Gründungsmitglied der IG Geburtskultur A-Z. Eine selbstbestimmte und kraftvoll erlebte Geburt stelle einen enormen Resilienzfaktor dar und habe einen wesentlichen Einfluss auf die Art der Beziehung zwischen Mutter und Kind. „Deshalb kann nicht genügend betont werden, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft besonderes Augenmerk auf diese hochsensible Lebenszeit legen und die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen. Es ist zum Beispiel wichtig, dass es mehr Wahlmöglichkeiten für den Geburtsort gibt und auch den Krankenhäusern mehr monetäre und personelle Mittel zur Verfügung stehen. Hier ist die Politik gefordert“, sagt sie.

Krankenschwester und Traumatherapeutin Birgit Kalb möchte die Rahmenbedingungen verbessern. <span class="copyright">privat</span>
Krankenschwester und Traumatherapeutin Birgit Kalb möchte die Rahmenbedingungen verbessern. privat