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Angst vor dem Schulanfag

03.07.2021 • 17:00 Uhr
Lehrer und Opposition fordern mehr Mittel für die Schulen. <span class="copyright">Hartinger</span>
Lehrer und Opposition fordern mehr Mittel für die Schulen. Hartinger

Überstunden und Überalterung machen den Schulen zu schaffen.

Für den Herbst hoffen Schüler, Lehrer und politisch Verantwortliche dank der fortschreitenden Impfkampagne auf eine Normalisierung der Corona-Situation. Die Delta-Variante des Sars-CoV-2-Virus und die noch niedrige Impfquote bei den Jungen könnten dem allerdings noch einen Strich durch die Rechnung machen. Hinzu kommen Defizite im Schulsystem, die Reaktionen auf weitere Krisensituationen erschweren könnten.

Vor allem die Überstundensituation bei den Landeslehrern sorgt für Kritik. „Es gibt Kollegen, die machen zehn bis 15 Überstunden pro Woche.“ beklagt Gewerkschafter Willi Witzemann, Vorsitzender im Zentralauschuss der Landeslehrerpersonalvertretung. Laut Bildungsdirektion leisteten die Landeslehrer an den Pflichtschulen im Schuljahr 2019/20 insgesamt 312.253 Überstunden. Das entspräche einem Bedarf von mehr als 100 zusätzlichen Lehrern.
„In einigen Schulen haben wir die Situation, dass wahrscheinlich keine Freifächer mehr angeboten werden können.“ so Witzemann. Die Lehrergewerkschaft hat zuletzt einen Apell an Landesstatthalterin Barbara Schöbi Fink gerichtet, die sich um Lösungen bemüht zeigte und eine Konkretisierung der Forderungen erbat.

„Wir haben in Vorarlberg einen eklatanten Lehrermangel.“

Willi Witzemann,
Lehrergewerkschafter

Das Land hat zuletzt eine Digitalisierungsoffensive gestartet, für die es bis 2023 sechs Millionen Euro ausgeben will. „Über 70 Ipad’s samt Schutzhüllen und Zubehör“ sollen noch heuer für die Volksschulen in vier Gemeinden angeschafft werden. Bei der Lehrergewerkschaft gibt es allerdings Zweifel, ob die Geräte bis zum Schulanfang wirklich zur Verfügung stehen werden. Angesichts der allgemeinen Lieferengpässe bei Elektronikartikeln könnte die Bestellung zu spät erfolgt sein, so die Befürchtung. Neos-Klubobfrau Sabine Scheffknecht beklagt, dass auch die Internetverbindung an vielen Schulen „nach wie vor nicht schnell genug“ sei. Es fehle an Glasfaserausbauten und an WLAN-Netzwerken.

Versteckter Direktorenmangel

Die Pflichtschulen leiden besonders unter der hohen Verwaltungslast. Witzemann kritisiert, dass die Direktoren ihre Zeit etwa damit verbringen, COVID-Tests zu zählen. Die Verwaltungsarbeit bleibe letztlich an ihnen hängen, auch wenn das Land Hilfe bereitgestellt habe, lasse sich diese nicht mit den Verhältnissen an den Bundesschulen vergleichen. Gleichzeitig müssten immer mehr Daten erhoben werden. „Noch mehr Kontrolle bedeutet auch noch mehr Arbeit. Die Bundesschulen haben Sekretariate und Administratoren.“
Diese Unterstützung fehle eben an vielen Volks- und Neuen Mittelschulen. Für das Land bedeuten zusätzliche Posten vor allem Mehrkosten. Vom Bund bekommt man die vereinbarten Landeslehrergehälter ersetzt, alles was darüber hinausgeht muss selbst bezahlt werden. Nachdem das Land kaum Möglichkeiten hat, sich über eigene Steuern zu finanzieren, schreckt man in Vorarlberg vor solchen Zusatzbelastungen zurück.

Direktorenposten sind bei Lehrern daher nicht sonderlich beliebt, bedeuten sie doch vor allem Verwaltungsarbeit und in vielen Fällen praktisch das Ende des bisherigen Lehrberufes. Derzeit sind alle Schulleitungen in den Landespflichtschulen besetzt. Dennoch gibt es einen verdeckten Direktorenmangel.Man habe beispielsweise auf 29 ausgeschriebene Stellen neun Bewerbungen gezählt, erklärt Witzemann. „Einige muss man regelrecht dazu überreden, eine Schulleitung zu übernehmen.“ An den Spitzen der 240 Pflichtschulen in Vorarlberg kommt es daher immer wieder zu Mehrfachbesetzungen. Sieben Direktoren leiten derzeit zwei, einer sogar drei Schulen.

Pensionierungswelle voraus

Auch im Lehrkörper selbst herrscht ein Nachwuchsproblem, zu dem die Verlängerung der Ausbildung beigetragen hat. Dass nun sogar Volksschullehrer nach fünf Jahren einen Masterabschluss machen müssen, schrecke einige Bewerber ab, meint Witzemann. Außerdem gebe es Pläne an den Pädagogischen Hochschulen Praxiseinheiten zugunsten der Forschung zurückzudrängen. Zusätzlich rollt eine Pensionierungswelle auf die Schulen zu. Unter den Vorarlberger Volksschullehrern waren im Schuljahr 2019/20 immerhin 40,5 Prozent über 50 Jahre alt, bei den Neuen Mittelschulen lag die Quote sogar bei 45 Prozent. Bei den Bundessschulen ist die Lage ähnlich dramatisch. An allen Vorarlberger Schulen zusammen gab es im vergangenen Schuljahr 1859 Lehrer über 55 und nur 1328 unter 35.
Die Situation dürfte sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Was das für die Nachbesetzung bei den Direktorenposten bedeutet, kann man beim Land aus dienstrechtlichen Gründen noch nicht abschätzen. Beamte könnten frühestens ein Jahr vorher ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen, daher „kann über Pensionierungen ab dem 01.09.2022 noch keine seriöse Auskunft gegeben werden.“
Die geplante Neuverteilung der Lehrressourcen, die in Wien zuletzt für Kritik gesorgt hat, wurde in Vorarlberg verschoben. Ob sie allein die strukturellen Probleme beheben kann, hält man bei der Gewerkschaft für fraglich.

Reformbremsen

Landeslehrer werden zwar von den Ländern beschäftigt aber weitgehend vom Bund bezahlt, der auch ihr Dienstrecht regelt. Das System macht Reformen auf Landesebene schwierig.

Bei der Lehrervertretung befürchtet man im Fall einer weiteren Wellen die Überlastung eines ohnehin bereits angeschlagenen Systems. Die angekündigten Sommerschulen für Kinder mit zusätzlichem Lernbedarf seien bereits pädagogisch unterbesetzt. Für den Herbst bräuchten die „Schulen und Kindergärten den Normalbetrieb und vor allem Planbarkeit“, fordert Neos-Klubobfrau Sabine Scheffknecht. Zudem habe man im Landtag einen Antrag für den breiten Einsatz von Luftfilteranlagen an Schulen eingebracht. Diese sollen die Keimbelastung in den Klassenzimmern senken. Eine Rückkehr zum Schichtbetrieb oder zum Homeschooling sei für sie nicht vorstellbar. „Wir wollen positiv in den Herbst gehen, aber nicht blauäugig. Ich bleibe skeptisch, was die vorbereiteten Maßnahmen betrifft“, meint Witzemann.