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Den Kühen soll es gut gehen

03.09.2022 • 19:16 Uhr
Mehrere Alpen zogen gestern nach Schwarzenberg. <span class="copyright">Hartinger</span>
Mehrere Alpen zogen gestern nach Schwarzenberg. Hartinger

Das wollen sowohl Tierschützer als auch Älpler. Wenn es um den Alpabtrieb geht, gehen deren Meinungen teilweise weit auseinander.

In Maierhöfen im Allgäu findet heuer kein Alpabtrieb statt. Der Grund für die Absage ist: Die Älpler seien mit heftigen Protesten von Tierschützern konfrontiert worden, die in dem gut 30 Kilometer langen Marsch eine zu große Belastung für die Kühe sehen. Einige Älpler seien sogar bedroht worden. In Vorarlberg hat die Saison der Alpabtriebe bereits begonnen, einige Alpen sind wieder im Tal, einige Alptage mit Festen fanden schon statt.

Ann-Kathrin Freude vom „Verein gegen Tierfabriken“. <span class="copyright">Vgt</span>
Ann-Kathrin Freude vom „Verein gegen Tierfabriken“. Vgt

Martin Rusch von der Abteilung Alpwirtschaft beim Land Vorarlberg berichtet: Ihm sei nicht bekannt, dass in Vorarlberg Tierschützer aktiv gegen Alpabtriebe vorgehen. Ann-Kathrin Freude vom „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) sagt auch, dass der VGT nicht per se gegen Alpabtriebe sei. „Wir finden es nur nicht gut, wie sie aktuell gehandhabt werden.“ Der Alpabtrieb bedeute für die Tiere sehr viel Stress, so die Tierschützerin. Zum einen sei allein der Ortswechsel, nachdem sie so lange in den Bergen waren, stressig, zum anderen sei der Alpabtrieb auf den Straßen, mit den Schaulustigen, die Fotos machen, dem Blumenschmuck und den Glocken belastend für die Kühe.

Zu Letzterem verweist die Tierschützerin auf eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2015. Dabei wurde untersucht, wie Glocken, die an drei Tagen getragen wurden und 5,5 Kilogramm wogen, das Verhalten von Kühen beeinflussen. „Die Kühe haben weniger gefressen und weniger gekaut als die Tiere, die leichtere und leisere Glocken trugen. Die Glocken beim Alpabtrieb sind noch schwerer und lauter als die der Studie. Teilweise sind sie so laut wie Presslufthämmer. Kühe haben feine Ohren, das muss schlimm für sie sein.“

 Norbert Greber, Vorarlberger Amtstierarzt. <span class="copyright">Hartinger</span>
Norbert Greber, Vorarlberger Amtstierarzt. Hartinger

„Kann man Rind zumuten“

Der Vorarlberger Amtstierarzt Norbert Greber bestätigt, dass Kühe gut hören. Er sagt jedoch, dass er keine Berichte von Problemen durch die Glocken beim Alpabtrieb kenne. Zum Aspekt, dass manche Menschen befürchten, die Glocken seien zu schwer, erklärt er: In Relation zum Körpergewicht einer Kuh mache die Glocke ein bis zwei Prozent aus. „Die zwei Prozent kann man einem Rind zumuten“, meint der Tierarzt. Zudem haben Kühe beim Hals ein sogenanntes Nackenband mit einigen Zentimetern Durchmesser. Durch dieses Band hält eine Kuh ihren Kopf ohne Muskelanstrengung in der Höhe, informiert der Veterinärmediziner. Das Gewicht einer Glocke sei dank dieses Nackenbands kein Problem.

Ein Problem kann beim Alpabtrieb laut dem Tierarzt aber entstehen, wenn die Tiere lange auf Asphalt gehen: Manchmal wird das Klauenhorn durch den Asphalt abgerieben, was zu Schmerzen oder Wundlaufen führen kann. „Zeigt ein Tier beim Abtrieb Lahmheitserscheinungen, dann wäre es gut, es nicht mehr zu treiben, sondern es an den Zielort zu fahren“, so Greber. Dasselbe treffe zu, wenn Kühe, Kalbinnen oder Kälber erschöpft seien. Prinzipiell hätten die Tiere nach dem Alpsommer aber eine gute Kondition. Martin Rusch von der Abteilung Alpwirtschaft berichtet: Es sei in den vergangenen Jahren üblich gewesen, schwächere und müde Kühe zu fahren. Es seien auch etliche Rast- und Tränkplätze entlang der Wege eingerichtet worden.

Die Tiere werden nur geschmückt, wenn alle von der Alpe ins Tal zurückkehren. <span class="copyright">Hartinger</span>
Die Tiere werden nur geschmückt, wenn alle von der Alpe ins Tal zurückkehren. Hartinger

In der Diskussion um Alpabtriebe ist von Befürworten dieser Tradition zu hören, dass das Herunterfahren von der Alpe in einem engen Hänger für das Tier stressiger sei als das Herunterlaufen. Amtstierarzt Greber dazu: „Das lässt sich nicht so leicht mit Ja oder Nein beantworten. Gute Transportfahrzeuge bieten dem Tier einen relativ hohen Komfort. Aber: Landwirtschaftliche Anhänger sind oft schlecht gefedert, was vor allem bei rumpeligen Wegen nicht angenehm für die Kühe ist. Es kommt aber auch auf die Länge der Strecke an und ob die Tiere auf geteerten Straßen gehen.“

Apropos Fahrzeuge: Die Alptiere – insgesamt sind es in Vorarlberg an die 40.000 – ziehen innerhalb von zwei, drei Wochenenden von den Bergen ins Tal. „Rein logistisch würde es nicht funktionieren, sie alle mit dem Transporter herunterzufahren. So viele entsprechende Fahrzeuge haben wir nicht.“ Zudem gibt es noch Alpen, zu denen keine Fahrstraße führt, wenngleich dies nur sehr wenige sind.

Richard Natter ist Älper auf der Alpe Untergüntenstall (Mellau). <span class="copyright">privat</span>
Richard Natter ist Älper auf der Alpe Untergüntenstall (Mellau). privat

„Dreht sich alles um ihr Wohl“

So weit die Stimmen des Tierarztes und der Tierschützerin. Was sagen aber diejenigen, die den ganzen Sommer über mit dem Vieh auf den Alpen sind und es heruntertreibt? Marianne Metzler arbeitet seit 31 Jahren auf der Alpe Halden im Gemeindegebiet von Egg. Sie ist erzürnt, wenn sie an die Absage des Alpabtriebes im Allgäu denkt: „Viele wissen gar nicht, wie viel Arbeit wir auf der Alpe haben, damit es den Kühen gut geht. Und dann stellen uns manche als Tierquäler hin.“ Richard Natter, der seit sechs Jahren Älpler auf der Alpe Untergüntenstall im Gemeindegebiet von Mellau ist, drückt seine Ansicht in zwei Sätzen aus: „Die Kühe sind den ganzen Sommer für uns das Erste am Morgen und das Letzte am Abend. Es dreht sich alles um ihr Wohl, und deshalb würde man am Ende des Sommers keinen Abtrieb machen, wenn er ein Problem für sie wäre.“ Da er im Tal selbst Kühe hält, kann er berichten: „Wir hatten noch nie eine Kuh, die nach dem Alpabtrieb Probleme gehabt hat. Wäre das der Fall, gäbe es den Alpabtrieb schon lange nicht mehr.“

Martin Rusch von der Abteilung Alpwirtschaft. <span class="copyright">HArtinger</span>
Martin Rusch von der Abteilung Alpwirtschaft. HArtinger

Empfang im Dorf

Für den Älpler selbst sei ein Alpabtrieb ein anderer Abschluss, wie wenn die Tiere mit dem Transporter von der Alpe abgeholt werden würden: Die Kühe können im Tal dem Bauern übergeben werden und auch der Empfang der Bevölkerung im Dorf sei schön. Martin Rusch von der Abteilung Alpwirtschaft sagt: „Für den Älpler ist es eine Ehre, ins Tal zu kommen. Vor allem, wenn er alle Tiere zurückbringt und sie gesund dem Bauern geben kann. Dafür hat er den ganzen Sommer hart gearbeitet.“

Sowohl Rusch als auch Älpler Natter meinen: Die Kritiker des Alpabtriebes seien sehr weit weg von der Landwirtschaft und könnten nicht beurteilen, wie auf der Alpe gearbeitet wird. Zudem würden sie die Tiere nicht kennen und seien nicht beim ganzen Abtrieb dabei. Nur weil eine Kuh von vielen am Zielort vielleicht müde sei und ein wenig lahme, könne nicht die gesamte Tradition in Frage gestellt werden. Außerdem: „Es kann schon sein, dass eine Kuh nach dem Abtrieb Muskelkater hat. Aber das habe ich als Treiber auch“, sagt Natter. Laut Rusch wäre es gut: „Wenn es im Land Kritiker des Alpabtriebes gibt, sollten wir miteinander an einen Tisch sitzen und das klären.“