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Ein eiskaltes Ritual am Alten Rhein

02.01.2024 • 23:00 Uhr
Eisbaden im Alten Rhein in Lustenau<span class="copyright">Rhomberg</span>
Eisbaden im Alten Rhein in LustenauRhomberg

Am Alten Rhein in Lustenau trifft sich regelmäßig eine Gruppe zum Eisbaden. Eine freie Mitarbeiterin der NEUE wagte den Selbstversuch.

Ich bin da so reingeschlittert in die Sache mit dem Eisbaden. Wir sitzen am Töpfern, Stricken und Zeichnen – alles harmlose, gemütliche Dinge – da sagt Alexandra auf einmal: „Ich war letzte Woche eisbaden. Das war voll toll. Möchte jemand mitkommen das nächste Mal?“ Nächstes Mal, das hört sich unkonkret an, und Eisbaden klingt nach Freiheit, Entschlossenheit und Naturerfahrung, also sage ich „ja“.

Zufall

Sehr schnell wird mir klar, dass „nächstes Mal“ schon nächs­ten Sonntag sein wird und ich aus der Nummer nicht mehr rauskommen würde. Also beginne ich mich vorzubereiten. Krame eine große Nylontasche und den Gute-Laune-Bikini hervor. Ich recherchiere, dass es spezielle XL-Ponchos fürs Umziehen gibt. Ich organisiere mir Neopren-Füßlinge und -Handschuhe, weil die Extremitäten am schnellsten auskühlen. So langsam laufe ich warm.

Ich packe heißen Tee ein und schaue die Konversation der WhatsApp-Gruppe durch. Entstanden ist die Gruppe, als zwei Freundinnen sich zufällig beim Spazierengehen auf Höhe der Liegewiese am Alten Rhein getroffen haben. „Baden müsste man gehen“, sagten sie. Es war Winter, und sie gingen zusammen ins Wasser. Eine von ihnen bietet Yoga-Retreats an, aus diesen Kreisen haben sich im Laufe der Zeit andere Interessierte angeschlossen. Letzten Winter hat sich die Gruppe an Silvester getroffen, mit Feuer und Fackeln. Einmal mussten sie ein Loch ins Eis schlagen, diese Geschichte ist legendär.

Eisbade-Wetter

An diesem Tag lässt sich ab und an die Sonne blicken. Dilek ist da, mit den anderen sind wir ungefähr zehn Leute. Der Wind weht, ein paar Vögel pfeifen, Spaziergänger sind zu sehen. Es ist Sonntagmorgen. Zeit, um etwas für den Geist und die Seele zu tun. Kaltbaden gehört da meiner Meinung nach dazu. Da braucht es auch eine feste Überzeugung, einen Glauben. Etwa den Glauben, dass einem danach wieder warm werden wird.

Zielstrebig ziehen sich die Gruppenmitglieder aus, alle stellen sich auf Matten oder Handtücher. Was die Ausrüs­tung betrifft, gehöre ich zu den Fortgeschrittenen, stelle ich fest. Was mache ich, wenn ich mich nicht reintraue? Wenn ich gleich wieder umkehre? Die anderen haben Mützen an und Handschuhe, über Kopf und Hände wird die Körperwärme am schnellsten abgegeben. Also ziehe ich auch eine Mütze an, sicher ist sicher.

Ein eiskaltes Ritual am Alten Rhein
Abkühlung in Lustenau Rhomberg

Eintauchen

Und dann geht alles so schnell, dass ich meine Grübelei vergesse und einfach nur versuche, mitzuhalten. Füße rein, oh mein Gott! Bis zu den Knien, einige jauchzen oder stöhnen. Das Wasser schneidet in die Beine, ich bin versucht, umzukehren, natürlich nur, um nochmal Anlauf zu nehmen. Ach was, das wäre doch gelacht! Alle anderen sind schon drin. Sie halten die Arme hoch und aus dem Wasser heraus und stehen so, mit angewinkelten Armen, bis zu den Achseln im Rhein.

Der Rhein bleibt still, schickt nur einen Schwan vorbei. „Ausatmen!“, sagt meine Freundin, „sonst hyperventilierst du“. Tatsächlich ist mein Atem in eine Art Schnappatmung übergegangen, und ich muss mich stark konzentrieren, um immer wieder auszuatmen. Schließlich normalisiert sich die Atmung, und ich fange an, die Sonnenstrahlen zu genießen, den gemächlichen Fluss und die beruhigende Gegenwart der anderen.

Ein eiskaltes Ritual am Alten Rhein
Alter RheinRhomberg

Das Leben bewegt sich

Die WhatsApp-Gruppe umfasst 22 Mitglieder. Männer sind übrigens genauso erwünscht wie Frauen. Einige sind schon lange nicht mehr gekommen. Schade, findet Dilek. Aber das Leben bewegt sich eben auch, genau wie der Rhein. Jemand fängt an, leise zu singen, jemand anders stimmt ein „Ohmmm“ an. Ich spüre in mich hinein: Ja, das ist verdammt kalt. Aber auch sehr befriedigend. Ob ich einen kurzen Schwumm wagen kann?

Jemand anders hat die Fluten bereits vor sich geteilt und zieht eine kleine Welle hinter sich her. „Das kann ich auch!“, denke ich, und nachdem der restliche Körper schon tiefgekühlt ist, macht es tatsächlich nicht mehr so viel aus, auch noch bis zum Hals einzutauchen. Triumphierend erzeuge ich mit meinen Füßen eine kleine Strampel-Fontäne und schwimme einen Kreis, dann versuche ich so schnell wie möglich an Land zu kommen.

Als ich aus dem Wasser steige, ist mir nicht kalt, mein Körper brennt vielmehr. Wie wenn man in sehr kaltes Wasser gefallen ist und danach in die heiße Badewanne steigt. Dann versuche ich mich so elegant wie möglich umzuziehen. Der Surf-Poncho erleichtert das. Unter den weiten Stoffbahnen können auch Umständliche die nassen Sachen aus- und trockenes Gewand anziehen. Obwohl ich mit mir selbst beschäftigt bin, fällt mir auf, wie unkompliziert die anderen sind, wie locker die Atmosphäre ist.

Aufwärmen nach dem Eisbaden <span class="copyright">Rhomberg</span>
Aufwärmen nach dem Eisbaden Rhomberg

Dilek erzählt, dass sie am Abend zuvor beim Nachbarn versackt ist und ein Bierchen mehr getrunken hat als beabsichtigt. „Ist ja nur Getreide drin, das essen wir schließlich auch“, sagt sie und lacht. Gabi freut sich auf ihren Kachelofen und auf das Gefühl, wenn später der körpereigene Ofen angeworfen werden wird mit einem Bullern von den Zehen bis zu den Haarspitzen.

Ganz normal

Von wegen Freaks und Gesundheitsapostel. Die Gruppe besteht aus ganz normalen Leuten. Die Vertrautheit entsteht wahrscheinlich, weil wir ein besonderes Hobby teilen. Obwohl ich das erste Mal dabei bin, haben sie mich hier schon längst aufgenommen in den Kreis derjenigen, die fast bei jedem Wetter sonntagmorgens ein Ritual begehen. Das Ganze dauert nur eine Viertelstunde, dann geht die Gruppe auseinander. Zu den Kindern, zum Partner, zum Kachelofen.