Lokal

Auf einmal ergibt alles einen Sinn

02.03.2024 • 23:00 Uhr
Rund 1500 Grad hat das Feuer, in dem geschmiedet wird <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Rund 1500 Grad hat das Feuer, in dem geschmiedet wird Klaus Hartinger

Vom warmen Büro in die heiße Schmiede: Mit 40 Jahren krempelte Johannes Neumayer sein ganzes Leben um. Was ihn dazu bewegt hat, erzählt er der NEUE.

An die 500 Jahre alt ist die Schmiede, in der Johannes Neumayer arbeitet – sein Unternehmen „Steelsoul“ aber noch ganz jung. Seit wenigen Monaten erst ist der 40-Jährige selbstständig, er war davor in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Ein guter Job: warmes Büro, nette Kollegen, sicheres Gehalt. Dennoch: Ende 2023 war Schluss damit. „Mir hat es gefehlt, am Ende des Tages zu sehen, was ich geleistet habe“, so Neumayer. Die Familiengeschichte verhalf ihm zu einer Entscheidung: der Vater Messerschmied, der Großvater Goldschmied. Bei einem Besuch in Heppenheim, wo der Großvater einst seinen Betrieb hatte, dachte sich der Enkel: „Ich mache das jetzt einfach auch“.

Mit seiner Schmiede tritt Neumayer nicht nur in die Fußstapfen seiner Familie, sondern tut auch Gutes. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Mit seiner Schmiede tritt Neumayer nicht nur in die Fußstapfen seiner Familie, sondern tut auch Gutes. Klaus Hartinger

Verbindung

Nur wo? Schmieden gibt es nicht wie Sand am Meer. Neumayer fragte sich durch Vorarlberg, schließlich fiel ihm ein Betrieb in Röthis ein, mit dem er vor Jahren beruflich zu tun gehabt hatte: „Wir hatten dort einen Stahlbaum für eine Veranstaltung in Auftrag gegeben. Als ich das Stück abholte, merkte ich sofort: Irgendwas verbindet mich mit diesem Ort“. Also rief der Neo-Schmied den Betreiber an, und siehe da – es ergab sich, dass er die Schmiede weiterführen, pflegen und erhalten durfte.

Besuch in Johannes Neumayers Schmiede <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Besuch in Johannes Neumayers Schmiede Klaus Hartinger

Das eigene Unternehmen lief also an, und das überraschend schnell, wie Neumayer sagt. Die Nachfrage ist nicht nur vorhanden, sondern auch vielseitig, ebenso wie das Angebot. Pfannen, Messer, Äxte, Pfeile, Werkzeuge werden restauriert wie auch neu geschmiedet, es wird nicht nur geschmiedet, sondern auch getischlert und gesattlert. Kauft man ein „Steelsoul“-Messer, ist es vom Griff über die Klinge bis zur Scheide selbst gemacht und übersteht viele Jahre. „Darum ist das ja so ein schöner und dankbarer Beruf“, sagt Neumayer. „Was man hier schafft, kann vererbt werden, es überdauert Generationen. Allein aus Gründen der Nachhaltigkeit macht es mehr Sinn, so ein Stück instand zu halten, als es dauernd neu zu kaufen.“ Ganz abgesehen davon sei auch die Qualität nicht mit Massenware aus dem Großhandel zu vergleichen.

Von der Messerklinge bis zu Griff und Scheide wird alles selbst gemacht <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Von der Messerklinge bis zu Griff und Scheide wird alles selbst gemacht Klaus Hartinger

Altes Wissen

Generell sei altes Wissen wieder im Kommen, sagt der 40-Jährige. Im Bregenzerwald werden wieder Erdkeller gebaut, Lebensmittel werden eingemacht und eingeweckt, es wird gehäkelt, gestrickt, genäht, Gemüse angebaut. „Diese Rückbesinnung auf das Alte, auf das Selbermachen ist schon berechtigt“, findet Neumayer. „Es wird wieder dörflicher und regionaler werden müssen, denn der Dorfladen, der Kleinbauer oder eben der Schmied können noch vergleichweise effizient und energieschonend arbeiten. Ressourcen sind ein großes Thema, und das wird wohl noch größer.“

Aufarbeitung

Einer der Gründe dafür ist der Ukraine-Krieg. Dieser betrifft auch Johannes Neumayer: Seine Lebensgefährtin ist Ukrainerin, schon mehrmals reiste er in das Land, hat mittlerweile gute Freunde dort. Und hier kommt die andere Ebene der Schmiedekunst ins Spiel: „Schon vor dem Krieg hatten wir ein Grundstück in den Karpaten gekauft, das wir touristisch erschließen wollten. Man kann sich die Gegend etwa vorstellen wie den Bregenzerwald, es gibt Skilifte, Wanderer, sanften Tourismus. Aber jetzt ist eben Krieg, und nun wissen wir auch, was wir dort machen wollen: Es wird eine Therapieschmiede für Kriegsveteranen.“

Es ist ein großes Projekt: Teile von Neumayers Vorarlberger Schmiede werden in der Ukraine aufgebaut werden, vor Ort gibt es bereits Psychologen, welche mit an Bord sind, es gibt ein Krankenhaus, das die Schirmherrschaft übernehmen wird. Nur eine Werkstatt muss noch gebaut werden. „Die Veteranen können dort, begleitet von Experten, Kriegsschrott aufarbeiten. Davon gibt’s genug. Und wenn die Männer aus den Dingen, mit denen sie angegriffen wurden, etwas Nützliches schaffen können, hat das ein großes therapeutisches und katharsisches Potenzial. Das sehen auch die Psychologen so.“

Logischer Schluss

Wenn man sein aktuelles Leben und seine Tätigkeit im Kontext betrachte, sagt Johannes Neumayer, „ist es eigentlich der einzig logische Schluss gewesen, die Schmiede aufzumachen. Ich kann dort nicht nur eine für mich sinnvolle Arbeit machen, sondern auch etwas Gutes tun, meiner mittlerweile zweiten Heimat helfen. Vielleicht sogar eine neue Therapieform entwickeln, einfach helfen. Auf einmal ergibt alles einen Sinn“.

Einen therapeutischen Effekt hat die Arbeit auch für Neumayer selbst: „Ich glaube, das kennt jeder, der sich viel physisch betätigt, seit es beruflich oder privat: Es ist anstrengend, man hat Dreck an den Händen, aber danach ist man erleichtert. Es ist eine ehrliche Arbeit“. Der Kopf ist leer und kann wieder mit neuen Gedanken gefüllt werden.

Schmiedekurse

Etwa Gedanken an die Kurse, die Neumayer regelmäßig in seiner Schmiede in Röthis anbietet und während denen man etwa sein eigenes Messer fertigen kann. „Die Kurse sind gut nachgefragt“, freut sich der Unternehmer. Ein weiterer Bereich, in dem sein Werk gefragt ist: Historische Events, etwa die immer beliebter werdenden Mittelaltermärkte. Dafür arbeitet er gerade an einer besonderen, mobilen Schauschmiede. Freitags und samstags, zusätzlich nach Vereinbarung, hat sein Ladenlokal in der Hohenemser Marktstraße offen, wo es auch verschiedene Stücke zu erstehen gibt. Zu Hause wartet außerdem die Patchworkfamilie mit Neumayers Lebensgefährtin sowie deren Schwester und Nichte aus der Ukraine. Es gibt wahrlich genug zu tun für die „Seele aus Stahl“.