Opfer von häuslicher Gewalt erzählt: „Ich war gutgläubig“

Häusliche Gewalt wird vorwiegend von Männern ausgeübt. Doch auch Frauen können in Beziehungen handgreiflich werden. Eine Betroffene erzählt der NEUE ihre Geschichte.
“Sie hat mir den Arm verdreht, die Nase angebrochen, mich gewürgt. Im Spital habe ich dann in die Trickkiste gegriffen und gelogen, ich sei in der Dusche ausgerutscht oder auf der Tischkante aufgeschlagen“, blickt Christina Hofer auf einen eher düsteren Abschnitt in ihrer Vergangenheit zurück (Anmerkung: Name wurde auf Wunsch der Betroffenen von der Redaktion geändert).
Etwa acht Monate dauerte die regelmäßig von Gewalt geprägte Beziehung der zwei Frauen. Sogar in der Öffentlichkeit schreckte die Partnerin nicht vor Handgreiflichkeiten zurück und boxte Christina Hofer vor einem Nachtclub ins Gesicht, wodurch es ihr den Boden unter den Füßen wegzog. An diesem Abend gab es sogar mehrere Augenzeugen, und der Vorfall endete mit einem großen Polizeiaufgebot.
Anzeige wieder zurückgezogen
Die Beamten ermutigten die Frau in den Dreißigern noch vor Ort zu rechtlichen Schritten, was sie auch befolgte. Später zog Christina Hofer die Anzeige wegen Körperverletzung jedoch wieder zurück. Denn ihre damalige Partnerin hatte sich schließlich dafür entschuldigt. Im Sommer 2022 schaffte Christina Hofer es dann endlich, sich endgültig aus der Gewaltbeziehung zu lösen, nachdem sie durch die ganze Wohnung gestoßen und gewürgt worden war. Dies passierte bei einem Treffen wenige Wochen nach einer Trennung des Paares. Gerade Trennungen oder Scheidungen gelten laut der Leiterin des Gewaltschutzzentrums Vorarlberg, Angelika Wehinger, als besonders gefährliche Zeitabschnitte – sowohl für das Auftreten von schwerer Gewalt als auch von Tötungsdelikten. „Das Muster, das dahintersteckt, ist ein Besitzdenken: Durch die Trennung droht der Kontrollverlust über die Frau“, erklärt die Expertin, warum gerade Zeiten von Trennungen neben veränderungsreichen Abschnitten wie Schwangerschaften oder Events mit hohem Erwartungsdruck wie Weihnachten oft gefährlich sind.
Christina Hofer führt ihre Erzählung des einschneidenden Erlebnisses fort: „So was habe ich noch nie erlebt. Ich hatte Angst, dass ich keine Luft mehr bekomme.“ Christina Hofers Mitbewohner hatten daraufhin durch den Vorfall ebenfalls Angst bekommen und deshalb verboten, dass die Expartnerin von Christina Hofer jemals die Wohnung erneut betreten darf. Die zwei trennten sich endgültig, Christina Hofer blockierte ihre ehemalige Lebensgefährtin auf allen Kanälen, und selbst als diese sie wieder treffen wollte, um ihr als Vorwand Schulden persönlich zurückzuzahlen, willigte sie nicht mehr einem Treffen ein. „Das Geld ist zu wenig, dass ich sie treffen möchte“, meint die Vorarlbergerin.
“Sie würde sich nicht ändern”
Bis zu diesem radikalen Schlussstrich sind jedoch mehrere gewaltgeprägte Monate vergangen. „Heute würde ich das nicht mehr mitmachen, sie sofort vor die Tür stellen und besser auf meine Freunde und Familie hören. Denn sie wird sich nicht ändern“, resümiert Christina Hofer Gespräch mit der NEUE. Doch zu dieser Erkenntnis musste sie erst langsam kommen. Es war eine On-off-Beziehung, welche sie nach Trennungen immer wieder in der Hoffnung fortsetzte, ihre Expartnerin würde sich womöglich doch noch ändern. Schließlich entschuldigte sich ihre damalige Lebensgefährtin immer wieder nach Handgreiflichkeiten und versprach, sie würde sich ändern. „Ich war gutgläubig“, erklärt Christina Hofer.
„Heute würde ich das nicht mehr mitmachen.“
Opfer von Gewalt
Intrigen
Damit ist sie nicht allein. Studien zufolge brauchen Betroffene von häuslicher Gewalt meist mehrere Anläufe, sich von derartigen Beziehung zu lösen. Denn körperliche Gewalt kommt meistens nicht allein. Neben der physischen Gewalt wird auch oft sexualisierte oder psychische Gewalt ausgeübt. Laut Angelika Wehinger beginnt Gewalt oft schleichend mit Kontrollhandlungen. Was meist fälschlich als Liebesbeweis interpretiert wird, führt zur Isolation des Opfers und zerstört allmählich das soziale Netz. Durch das Abkapseln von der Umwelt wird geschickt die Abhängigkeit vom gewaltausübenden Partner oder Partnerin erhöht.
Das hat auch Christina Hofer erlebt. „Sie hat mich psychisch manipuliert und Lügen erzählt“, erzählt die Vorarlbergerin. Die Expartnerin hätte Christina Hofer und ihre Freunde mit Lügengeschichten gegeneinander aufgehetzt. „Ich habe keine Freunde mehr gehabt“, meint die Betroffene. So wurde der Kontakt zu denen abgebrochen, die sie noch gewarnt hatten, weil sie Alarmsignale gesehen hatten, die sie in ihrer eigenen Verliebtheit nicht wahrgenommen hat. „Ich weiß nicht, wie wir alle so dumm sein konnten.“ Es hatte die Intrigen nämlich niemand aufgedeckt, bis die Expartnerin versuchte, bei Christina Hofers Mutter dieselbe Strategie anzuwenden. Diese konnte sie jedoch nicht auf ihre Seite ziehen. Da kam Christina Hofer das gute Verhältnis mit ihrer Mutter zugute. Mit der telefonierte sie nämlich täglich, und diese war auch über manche Details der Beziehung informiert. „Mama hat durchschaut, was sie abzieht.“ Als Christina Hofer dies von ihrer Mutter erfahren hatte, suchte sie das Gespräch mit ihren Freunden und merkte: „Sie hat uns alle manipuliert“.
Hilfe gesucht?
Kontaktmöglichkeiten
Selbsthilfegruppe Sonnenblume: sonnenblumeshg@gmail.com Gewaltschutzzentrum: +43 5 1755-535
Frauenhelpline gegen Gewalt: +43 800 222 555
Amazone: +43 5574 45 801
Femail: +43 5522 310 02
Ausgeflippt wegen “Nichts”
Häusliche Gewalt trifft großteils Frauen, Täter sind meist männlich. Dieses Geschlechterverhältnis zeigen auch die Zahlen des Gewaltschutzzentrums Vorarlberg: 82,9 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt unter den Klienten und Klientinnen waren im Jahr 2023 weiblich, etwa 90 Prozent der Täter waren männlich. Doch dies muss nicht zwingend so sein. Die Ex-Lebensgefährtin von Christina Hofer gehört wohl zur Minderheit.
Die Gewalt hat in der Beziehung der zwei schon früh, bereits zwei Monate nach dem Kennenlernen, begonnen. „Sie ist bei mir gewesen, und sie ist wegen nichts ausgeflippt, hat mich gegen den Schrank gestoßen und gewürgt“, erzählt Christina Hofer von der ersten Situation, als ihre Exfreundin handgreiflich wurde. Es sei immer „wegen nichts“, wegen Kleinigkeiten gewesen. Die Wutausbrüche kamen für Christina Hofer jedes mal überraschend, „von einer Sekunde auf die andere“. „Ich wusste nicht, wie ich reagieren soll, weil es aus dem Nichts kam.“ Sie hätte ihrer damaligen Partnerin diese spontanen Ausraster auch nie zugetraut, denn sie hatte nicht aggressiv gewirkt. „Wenn du sie gesehen hast, hättest du nicht gedacht, welche ungemeine Kraft sie hatte“, führt sie aus.
Positive Ausstrahlung
Kennengelernt hatte sich das Paar über die Online-Datingplattform Tinder. Beim ersten Aufeinandertreffen überzeugte sie durch ihr lustiges Wesen, das „schöne Lächeln“, und dass sie „so anders und verrückt war“. „Überall wo sie war, ist sie positiv aufgefallen. Durch ihre Art wollte man sie kennenlernen“, erzählt Christina Hofer. Doch viele würden nur die Hülle kennen, die sie selbst zu Beginn so faszinierend fand. Später sei ihr dann die Art stattdessen peinlich geworden. Zu viel habe sich um das gesellschaftliche Ansehen gedreht.
Auf Andere hören
Später hat sie erkannt, dass die Expartnerin eigentlich alles verkörpert hat, was sie nach eigener Reflexion gar nicht mag. Heute hat sie dies erkannt und würde aufmerksamer auf derartige Anzeichen beim Kennenlernen achten. Außerdem würde sie besser auf andere hören, wie auf ihren Umfeld, das sie vor ihr gewarnt hatte. „Auch wenn man es nicht hören will.“ Man nehme aus allen, was einem passiert, etwas für sich mit. Eines ist sie sich jedoch sicher: „Mir geht es jetzt so gut wie ewig lange nicht mehr“.