„Gefängnis ist der falsche Ort für Kinder mit Problemen“

Nach einem schrecklichen Missbrauchsfall in Wien wird wieder einmal über die Senkung des Alters für Strafmündigkeit diskutiert.
Der mutmaßliche mehrfache Missbrauch einer Zwölfjährigen in Wien mit insgesamt 17 Tatverdächtigen hat schockiert und entsetzt. Der Umstand, dass unter den Tatverdächtigen auch 13-Jährige sind, hat wieder einmal eine Diskussion über eine Senkung des Alters für Strafmündigkeit aufflammen lassen. Befeuert wurde sie durch einen dementsprechenden Vorschlag von Bundeskanzler Karl Nehammer. Derzeit ist es laut österreichischer Gesetzeslage so, dass unter 14-Jährige unmündig und somit nicht deliktfähig und nicht strafbar sind.
Die Mehrzahl der in Dornbirn von der NEUE befragten Menschen spricht sich gegen eine Herabsetzung des Alters aus (siehe unten). Damit geht sie konform mit den meisten der befragten Vorarlberger Experten, die mit der Materie befasst sind. Franz Josef Giesinger ist Präsident der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg. Als Standesvertreter will sich der Götzner Anwalt derzeit nicht zur Diskussion äußern, weil man da noch in der Meinungsfindung sei – „es ist ja erst aufgepoppt“. Persönlich hält er wenig von einer Änderung. „Eine Anlassgesetzgebung ist immer kritisch zu sehen. Zudem bin ich der Ansicht, dass derartige Probleme nicht mit der Herabsetzung der Strafmündigkeit gelöst werden können, sondern mit anderen, präventiven Maßnahmen“, hält der Anwalt fest.

Für den Richter Dietmar Nußbaumer, Pressesprecher am Landesgericht Feldkirch, ist die Diskussion ein „rein rechtspolitisches Thema“, das heißt, „eine Sache des Gesetzgebers“, die er nicht kommentieren möchte. Die Fachgruppe Jugendstrafrecht in der österreichischen Richtervereinigung kann dem Vorschlag des Bundeskanzler indes wenig abgewinnen. Auch bei deren Vertretern ist von „absoluter Anlassgesetzgebung“ die Rede, die nicht zielführend sei.
Neben der ÖVP, die darüber reden will, spricht sich auf politischer Ebene nur die FPÖ für eine Senkung der Strafmündigkeit aus. Die Verurteilungen von Jugendlichen – 14 bis 18 Jahre – sind indes von 2012 im Vergleich zu 2022 von 4358 auf 3495 zurückgegangen, ein Minus von 19,8 Prozent. Bei Delikten gegen Leib und Leben sind es 23,7 Prozent weniger, bei Körperverletzungen 20,5 Prozent.

Das Herabsetzen der Strafmündigkeit ist auch für Johannes Pircher-Sanou keine geeignete Reaktion auf Delikte, die unter 14-Jährige begehen. Pircher-Sanou ist der Leiter von Neustart Vorarlberg, der Einrichtung, die sich um Bewährungshilfe kümmert. In einem Strafverfahren könne eine intensive Auseinandersetzung mit den Hintergründen und Lebenssituationen der Kinder nicht geleistet werden, argumentiert Pircher-Sanou. Zudem sei „das Gefängnis der falsche Ort für Kinder mit Problemlagen“. Der Staat habe heute schon die Mittel in der Hand, um auf Straftaten von Kindern konsequent und angemessen reagieren zu können, ist der Bewährungshelfer überzeugt.
Anstatt also mit dem Strafrecht auf Kinder mit Problemen zu reagieren, wäre es besser, diese Ressourcen der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialarbeit und dem Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Verfügung zu stellen, sagt Pircher-Sanou. Schließlich sei die Prävention in dieser Altersgruppe besonders wichtig – sowohl die primäre, also bevor ein Delikt gesetzt wurde, als auch die sekundäre danach, betont er.

„Eine juristische Reaktion ist angesichts des Alters und des Entwicklungsstadiums von Unmündigen eine pädagogische Bankrotterklärung“, sagt Arno Dalpra. Der frühere Leiter von IfS-Jugendberatung Mühletor und ifs-Gewaltberatungsstelle ist mittlerweile als freischaffender Psychotherapeut in Dornbirn tätig.
Ihm fällt auf, „dass wir zunehmend den Kontakt zu jenen Kindern verlieren, die auffälliger und anstrengender sind“. Wenn diese Glück hätten, würden sie von einer Facheinrichtung betreut. „Wenn sie Pech haben und dann auch noch aus der Schule fliegen, gehen sie verloren“, stellt Dalpra fest. Eine Alterssenkung bei Strafmündigkeit sei ein „pädagogischer Rückzug“, und der wäre fatal, betont der Psychotherapeut, Supervisor und Mediator. Abgesehen davon, dass Strafen – wie man aus Erfahrung wisse – Menschen nicht unbedingt von gesetzeswidrigem Tun abhalten, wie er dann noch hinzufügt.

Ein wenig anders wird die Situation bei der Polizei gesehen. „Seitens der Kolleginnen und Kollegen wird durchaus befürwortet, dass man darüber nachdenkt, das Alter für Strafmündigkeit zu senken“, sagt Polizei-Gewerkschafter Manuel Preiß. Die Gesellschaft habe sich verändert und Zwölf-, Dreizehnjährige seien mittlerweile deutlich weiter, ist er überzeugt.
Als „Allheilmittel“ sieht er eine Herabsenkung des Alters auch nicht, aber es sei „ein Schritt in die richtige Richtung“. Zahlreiche Vorfälle – nicht nur der eingangs erwähnte in Wien – würden zeigen, dass es Handlungsbedarf gebe, so Preiß. Auch in Vorarlberg gebe es viele Fälle, bei denen Unmündige straffällig würden, „und sie wissen genau, dass ihnen nichts passiert“. Zudem sei es auch für die Opfer sehr schwierig, wenn man ihnen sagen müsse, dass man die Täter aufgrund ihres Alters strafrechtlich nicht belangen könne, gibt der Polizei-Gewerkschafter zu bedenken.
Umfrage: Sollen auch unter 14-Jährige strafmündig werden?
Gottfried Masal, 80, Dornbirn: „Ich halte es nicht für sinnvoll. Ohne Begleitmaßnahmen bleibt es wirkungslos, das Alter für Strafmündigkeit zu senken. Erst müssen Verbesserungen umgesetzt werden.“

Bettina Mayer, 53, Dornbirn: „Jugendliche sollten die Konsequenzen spüren, aber Gefängnis ist keine Lösung. Sozialarbeit wäre eine bessere Alternative, auch Einbeziehung der Eltern könnte hilfreich sein.“

Delayla Mayer, 17, Wolfurt: „Es gibt bereits genug Gesetze für die Jugendlichen. Die Möglichkeiten sind schon begrenzt, daher sehe ich die Senkung des Strafmündigkeitsalters als nicht wirklich notwendig.“

Markus Fehr, 65, Schweiz: „Dass man unter 14-Jährige bestrafen muss, wäre nicht ganz der richtige Weg. Wenn Jugendliche straffällig werden, könnte es vielleicht zu Hause an der Erziehung der Eltern liegen.“

Elmar Sohm, 57, Dornbirn: „Eine soziale Einrichtung könnte die Jugendlichen zur Vernunft bringen. Jeder Jugendliche macht einmal Blödsinn, daher sollte man alternative Wege finden, um die Jungen zu erziehen.“

Andrea Eigel, 60, Niederösterreich: „Es wäre meiner Meinung nach ein falscher Ansatz, Jugendliche direkt so hart zu bestrafen. Sie sollten zuerst Chancen erhalten, bevor sie für ihre Fehler verurteilt werden.“

Hannah Swozilek, 20, Schwarzach: „Es gibt genug Beispiele, die zeigen, dass unter 14-Jährige strafrechtlich verantwortlich sein können. Deswegen sollten auch die Kinder strafrechtlich belangt werden können.“

Franz Ball, 75, Hohenems: „Wenn man vorhat, es einzuführen, dann soll man dies auch machen. Es ist sicher notwendig, weil es treten in letzter Zeit eigentlich immer häufiger kleine Vorfälle mit Kindern auf.“
