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Welt-Down-Syndrom-Tag: “Sie ist normaler als viele andere für mich”

20.03.2024 • 23:00 Uhr
Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina über die schönen Seiten und die Herausforderungen im Alltag. Hartinger

Anlässlich des heutigen Welt-Down-Syndrom-Tags erzählt eine Mutter, warum es für ihre Tochter wichtig ist, zu arbeiten und welche Herausforderungen ihr bei der Jobsuche begegnen.

Die Arbeit im „Loackerhuus“ in Götzis bedeutet für Anina Meusburger keine Pflicht, sondern macht ihr Freude. Das ist deutlich spürbar, als sie beim Treffen mit der NEUE es kaum erwarten kann, wieder nach oben in die Werkstätte zu gehen und die Stricknadeln und das Pappmaschee in die Hand zu nehmen. Sie ist eine der fünf Menschen mit Downsyndrom und insgesamt 20 Personen mit Behinderung, die im „Loackerhuus“ beschäftigt sind. Das ist einer der 60 Standorte der Lebenshilfe Vorarlberg, wo Menschen mit Behinderung in diversen Bereichen begleitet werden.

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina beim Gespräch mit der NEUE. Hartinger


Welche Tätigkeit ihr dort am besten gefällt? „Malen“, sagt die 35-Jährige. Am liebsten mag Anina Meusburger, dass das Aufgabengebiet abwechslungsreich ist. Am einen Tag malt sie im Atelier, am nächsten Tag bastelt sie in der Aktivgruppe, und wieder an anderen Tagen backt sie etwa Kekse in der Küche. Die Ergebnisse werden dann im Erdgeschoss im Café verkauft. Schon seit der Eröffnung des „Loackerhuus“ vor über zehn Jahren ist die Emserin dort beschäftigt. Zu Beginn lange noch im Café selbst, jetzt oben in der Werkstätte. Die Arbeit dort soll den Beschäftigten das Gefühl geben, gebraucht und wertgeschätzt zu werden und eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Zwischendurch hat sie auch zusätzlich zur Beschäftigung bei der Lebenshilfe-Einrichtung geringfügige Jobs etwa in einem Maklerbüro oder in einem Kindergarten ausgeübt. Den letzten Job hat sie jedoch durch die Herausforderungen der Coronapandemie verloren.

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Silke und Anina bei der Arbeit. Hartinger

Herausforderung Jobmarkt

Nun blickt sich Mutter Gabriela Meusburger gemeinsam mit ihrer Tochter bereits seit zwei Jahren nach einer neuen Anstellung für die 35-Jährige um. Sie visieren einen Job an, bei dem Anina Meusburger mit Menschen zu tun hätte. Die konkrete Aufgabe wird dann meist erst während dem Arbeiten anhand der Stärken herausgefunden und definiert. Die Arbeitssuchende hat zwar in letzter Zeit mehrmals in Unternehmen geschnuppert, doch es hat dann doch nie mit einer Anstellung geendet. „Überall hat man gesagt, es fehlt Personal“, erklärt Gabriela Meusburger. Denn es braucht eine Bezugsperson für Menschen mit Downsyndrom in Unternehmen. „Die Firmen zahlen lieber eine Strafe, als dass sie Menschen mit Downsyndrom einstellen“, kritisiert Gabriela Meusburger. Sie kann aber auf positive Rückmeldungen zur Wirkung auf das Betriebsklima bei den bisherigen Jobs zurückblicken. Entschleunigung, Rücksicht und Geduld lernen sind dabei die Stichwörter.

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Anina Meusburger bastelt, strickt und backt im “Loackerhuus”. HArtinger


Doch warum ist ein Job so wichtig, wenn Anina Meusburger doch bei der Lebenshilfe beschäftigt ist? Gabriela Meusburger erhofft sich Forderung und Weiterentwicklung durch neue Aufgaben für ihre Tochter – und ein Gehalt. Denn bei der Lebenshilfe bekommen die Beschäftigten keinen Lohn. Stattdessen kostet die Beschäftigungsstelle etwas – das Land Vorarlberg schreibt einen Kostenbeitrag aus dem Pflegegeld vor. Mit einem Einkommen könnte sich Anina Meusburger auch ihre große Leidenschaft selbst finanzieren: das Reisen. Jährlich verreist sie mit dem Verein Möwe, welcher Reisen für Menschen mit Behinderung begleitet. Etwa auf Skiwoche nach St. Gallenkirch, auf eine Sommerreise nach Salzburg, Südtirol oder Tirol und im November auf ein Wellnesswochenende.

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Anina Meusburger bastelt, strickt und backt im “Loackerhuus”. Hartinger


„Derzeit hängt die Finanzierung der Reisen an mir“, erklärt Gabriela Meusburger. Sie ist mittlerweile in Pension. Die Vizeobfrau der Arbeitsgruppe Downsyndrom Vorarlberg ist überzeugt, dass sie sich dies nur durch ihr Erbe und das gemeinsame Wohnen in einem Haus leisten kann. Bis vor einem Jahr hat die 65-Jährige nur 60 Prozent gearbeitet, denn sie hat den „Hauptberuf Mama“. Hundert Prozent wären als pflegende geschiedene Mama nicht möglich, erklärt sie. Schließlich braucht ihre Tochter auch mit 35 Jahren noch Unterstützung, etwa bei Körperpflege, Kochen, Arztterminen, Freizeitbeschäftigungen wie Karate, Musikschule oder Tanzen oder bei der Wahl der der Jahreszeit entsprechenden Kleidung. Es brauche immer jemanden, der da sei und mitdenke, erklärt Gabriela Meusburger. „Ich sehe mich als Mutter auf Lebenszeit“, erläutert sie. Man hört ihr beim Sprechen an, dass sie diese Aufgabe gerne macht. Die zwei wohnen auch zusammen, weil sie sich derart gut verstehen. Das spart Geld. Das ist jedoch nicht in allen Familien möglich, denn es kann zu Konflikten führen.

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina haben Spaß miteinander. Hartinger

“Kann mir Leben ohne sie nicht vorstellen”

Zu Beginn war es noch ein unerwarteter Schock für die Mutter, als Ärzte einen Tag nach der Geburt bei ihrem ersten Kind das Downsyndrom vermuteten. „Ich dachte, ich bekomme ein sogenanntes ‚normales Baby‘. Heute ist sie normaler als viele andere für mich“, sagt sie. Denn sie hat schnell bemerkt, wie Anina Meusburger ihr Leben positiv verändert. „Sie hat mich gelehrt, auf das Wichtige im Leben zu achten“, führt sie aus. Etwa auf die kleinen Freuden im Leben. Die 65-jährige beschreibt ihre Tochter als immer ehrlich und authentisch. „Ich liebe meine Tochter und kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.“

Mama Gabriela Meusburger und ihre Tochter Anina (35 Jahre, Downsyndrom) über das Thema Arbeiten, Wohnen, Lohn
Die Stricknadel im Einsatz. Hartinger

Bald werden die zwei sicher wieder in die Pedale ihrer E-Bikes treten und von Hohenems über Gaißau nach Fußach und wieder zurück fahren. Auf die gemeinsamen Wochenenden freut sich die 65-Jährige nämlich immer.