Herr, Siegele, was werden Sie wählen? “Türkis jedenfalls nicht”

Rainer Siegele, der “ewige” Bürgermeister von Mäder, legt heute sein Amt nieder. Mit der NEUE sprach er über seine Lehrjahre, seine Erfolge und warum er mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ aus der ÖVP austreten wird.
Herr Siegele, sie sind 1993, also vor mehr als 30 Jahren, als Bürgermeister ins Gemeindeamt eingezogen. Befinden wir uns noch im selben Büro?
Rainer Siegele: Die Räumlichkeiten sind noch dieselben, sie wurden allerdings modernisiert und umgebaut.
Es schaut hier nicht vollgeräumt aus. Haben sie schon fleißig ausgemistet?
Siegele: Das Gemeindeamt wurde vor drei Jahren umgebaut. Ich habe damals schon viel ausgeräumt, weil ich ja wusste, dass ich in dieser Periode aufhören werde.

Sie haben bei ihrem Amtsantritt gemeint, dass sie zwei, maximal drei Perioden machen wollen. Warum wurde es nun doch länger?
Siegele: Ich habe meiner Frau damals versprochen, dass ich nicht mehr als zwei Perioden mache. Aber die Arbeit hat eben sehr viel Spaß gemacht, die Ergebnisse haben auch gepasst. Ich konnte mich verwirklichen.
Dann haben Sie ja quasi ein Versprechen gebrochen? Wie hat Ihre Frau reagiert?
Siegele: (lacht) Ja, das habe ich. Meine Frau ist aber ein Mensch, der sich sehr gut mit sich selbst beschäftigen kann. Außerdem hat Sie gesehen, dass ich große Freude an der Arbeit habe.
In Ihren Anfängen in den 1990ern gab es mit der FPÖ eine starke Opposition. Damals saß der später als „Haiders Dobermann“ bezeichnete Ewald Stadler in der Gemeindevertretung. Sie haben einmal gesagt, dass Sie in dieser Zeit viel gelernt haben. Inwiefern?
Siegele: Ja, Stadler hatte ebenso wie Haider eine Nase dafür, wenn man irgendwo nicht sattelfest war. Er hat alles aufgedeckt, was nicht ganz gepasst hat. Da haben wir gelernt, dass wir sehr genau arbeiten und uns intensiv vorbereiten müssen.

Sie haben Mäder geprägt, der Ort gilt als Umweltmustergemeinde. Was würden Sie als ihren größten Erfolg bezeichnen?
Siegele: Mäder war schon auf einem guten Weg, als ich als Bürgermeister anfing. Das hat mit Vorarlbergs erstem Flurgehölzbepflanzungsplan im Jahr 1974 begonnen, 1984 gab es einen Grünordnungsplan, heute würde man dazu Klimawandelanpassungsstrategie sagen. Diesen Weg haben wir fortgeführt, etwa mit der ersten Öko-Hauptschule, weiters ist Mäder e5-Gemeinde der ersten Stunde. Ich denke, wir haben erfolgreiche Projekte umgesetzt und waren dabei immer auch ökologisch unterwegs. Früher hat man sich offenbar geschämt, wenn man aus Mäder kam, weil es ein sehr armer Ort war. Heute ist Mäder eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinde, in der es sich gut leben lässt.

Gab es eine Initialzündung für Ihr Umweltengagement?
Siegele: Das war der erste Bericht des „Club Of Rome“ (Anm.: Internationaler Experten-Zusammenschluss, der mit dem 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ weltweite Beachtung fand).
Tempo 30 in Gemeinden ist wieder in aller Munde. Sie haben das schon bei ihrem Amtsantritt gefordert, nicht?
Siegele: In Mäder gab es schon vor meiner Zeit ein Verkehrskonzept. Fuß- und Radwege waren in Mäder immer schon ein Thema. Darauf konnten wir aufbauen.
Was halten Sie von den Klimaaktivisten, die sich ankleben?
Siegele: Die sind unbedingt notwendig. Jemand muss aufzeigen, dass es so nicht weitergeht. Wenn wir mit dem jetzigen Wirtschaftssystem weitermachen, fahren wir die Erde an die Wand. Wir dürfen aber nicht von Klimaschutz sprechen, sondern von Menschenschutz. Dem Klima ist das alles völlig wurscht.

Kompromisse gehören in der Politik dazu, welcher hat sie am meisten geschmerzt?
Siegele: Das weiß ich jetzt gar nicht mehr. Meine Frau sagt, ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Das ist irgendwie hilfreich, finde ich. Dadurch bin ich jedenfalls nicht nachtragend.
Um eine Antwort zu bekommen, müsste ich also eher Ihre Frau fragen.
Siegele: Die wüsste das besser, ja.
Anders gefragt: Gibt es Dinge, die Sie im Rückblick anders machen würden?
Siegele: Grundsätzlich hat alles gepasst. Aber natürlich reut mich das eine oder andere. Auf die Schnelle fallen mir drei Grundgeschäfte ein, die wir nicht gemacht haben, aber machen hätten sollen.
Dass sie keine aktive Bodenpolitik betrieben hätten, kann man Ihnen jetzt aber nicht nachsagen.
Siegele: Ja, wir haben ein paar schöne Flächen beieinander. Amann Girrbach hätte das Headquarter niemals bei uns bauen können, wenn wir nicht so viel Grund tauschen hätten können.

Glauben Sie, dass Sie sich durch bestimmte Entscheidungen persönliche Feinde gemacht haben?
Siegele: Ja, das ist aber ganz normal. Es gab zum Beispiel jemanden, der immer auf der Hupe stand, wenn er an meinem Haus vorgefahren ist. Das ging eineinhalb Jahre so. Ich habe nie geschaut, wer das ist. Denn wer mich mich ärgert, bestimme immer noch ich. Mein Vorvorgänger Albert Giesinger hat mir zwei Ratschläge gegeben. Erstens: Lieber ein paar Menschen „khörig verzürna“ als alle gleichmäßig. Zweitens sollte man die Lacher auf seiner Seite haben.
Was überwiegt: Die Freude über mehr Zeit für Privates im Ruhestand oder leise Wehmut?
Siegele: Es ist beides da. Wir haben einige Projekt in der Gemeinde, die mich schon noch reizen würden. Andererseits braucht es jetzt auch einmal einen frischen Wind. Zudem müssen wir ein Zeitfenster für die Übergabe nützen. Das nächste Fenster, in dem die Gemeindevertretung einen Nachfolger wählen könnte, ginge erst im März 2028 auf. Da wäre ich dann 71 Jahre. Unvorstellbar!
Werden Sie es vermissen, eine öffentliche Person zu sein?
Siegele: Nein. Ich muss nicht im Rampenlicht stehen, mir ging es immer um die Sache. Ich gehe nicht auf jede „Hundsverlochete“ (Anm: Wörtlich übersetzt eine Hundebestattung, im übertragenen Sinn eine belanglose Veranstaltung). Am Anfang bin ich sowieso sehr ungern auf Veranstaltungen gegangen.
Warum nicht? Sie sind doch kein scheuer Mensch.
Siegele: Nein, bin ich nicht. Aber mich hat oft die Zeit gereut, weil ich viel zu gerne arbeite.

Apropos Zeit: Es heißt ja, Ruheständler haben nie Zeit. Womit haben Sie die Zeit nach ihrem Abgang verplant?
Siegele: Ich habe schon ein paar Anfragen bekommen für das eine oder andere Amt. Zugesagt habe ich dem „Verein zur Förderung der Gemeinwohlökonomie“. Da werde ich Obmann. Darüber hinaus bin ich gerne draußen. Ich habe mir zum 50. Geburtstag einen kleinen Wald gekauft. Mit meiner Frau gehe ich gerne wandern.
Im Sommer des vergangenen Jahres sagten Sie, dass sie sich überlegen, nach Ihrem Amtsverzicht die Parteimitgliedschaft zurückzulegen. Wie sieht es aus? Werden sie aus der ÖVP austreten?
Siegele Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.
Was stört Sie an der ÖVP?
Siegele: Hinter den Werten der ökosozialen Marktwirtschaft von Josef Riegler (Anm.: Früherer Minister, Vizekanzler und Bundesparteiobmann) stehe ich zu 100 Prozent. Die Ideologie der neuen Volkspartei kann ich nicht mehr mittragen, vorallem was den Wirtschaftsliberalismus und die Migrationspolitik angeht. Es gibt derzeit aber keine Partei, in der ich mich zu 100 Prozent wohlfühlen würde.
Darf ich fragen, welche Partei Sie im Herbst bei der Nationalratswahl wählen werden?
Siegele: Türkis jedenfalls nicht.
Und bei der Landtagswahl?
Siegele: Das kommt ganz auf die Kandidaten an. Wenn die ÖVP die richtigen aufstellt, gebe ich ihr vielleicht nochmal eine Chance. Es wird jedenfalls sehr schwierig werden, eine neue Regierung zu bilden.

Wer Siegele beerbt
Dass Daniel Schuster heute von der Gemeindevertretung ins Bürgermeisteramt gewählt wird, ist eigentlich nur noch Formsache, denn seine Fraktion „ÖVP und Parteifreie“ hält 17 von 23 Sitzen. Rainer Siegele, der heute als Gemeindechef abdankt, attestiert seinem Nachfolger „optimale Grundvoraussetzungen“ für das Bürgermeisteramt. „Er ist ein Mäderer mit Herz und Seele und tief in den Vereinen verwurzelt. Auf der anderen Seite hat er eine schnelle Auffassungsgabe, eine technische Ausbildung und hatte in seinem Berufsleben bereits finanzielle Verantwortung. Schuster arbeitete in den letzten zehn Jahren als Teamleiter im Bereich Elektrotechnik im „Hilti“-Werk in Thüringen.
In der Gemeindepolitik engagiert sich der 44-Jährige erst seit 2020. Im NEUE-Gespräch kündigte er an, die Grundprinzipien und den offenen Führungsstil seines Vorgängers fortführen zu wollen. Weiters will Schuster die Verjüngung seiner Fraktion vorantreiben. Gemeindeprojekte sollen künftig mit Unterstützung von modernen Management-Tools abgewickelt werden. Als eines der ersten Projekte steht die Entwicklung einer neuen Turnhalle an.