“KI ersetzt dich nicht, aber jemand, der sie besser nutzt, könnte es tun“

Staatssekretär Alexander Pröll spricht im NEUE-Interview über Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz, den Kampf gegen Antisemitismus und warum Österreich beim digitalen Umbau Tempo machen muss.
Erlauben Sie mir zu Beginn eine persönliche Frage: Wann haben sie ChatGPT zuletzt verwendet und wofür?
Alexander Pröll: Ich verwende das Programm regelmäßig, etwa um Reden zu verfeinern und Nachrichten zu verbessern. Gestern war es eine längere Nachricht an einen Kollegen.
Also dienstlich?
Pröll: Ja, aber bei mir ist dienstlich und privat sehr übergehend im Moment.
Und ein Beispiel für einen rein privaten Prompt?
Pröll: Ich habe mir ein Pflanzenkonzept für meine Wohnung erstellen lassen, inklusive Visualisierungen. Das hat sehr gut funktioniert. Ich brauche Pflanzen, die robust sind und lange halten. Ich habe nämlich keinen grünen Daumen.

73 Prozent der Menschen in Österreich haben laut Statistik Austria keine oder nur geringe Kenntnisse über künstliche Intelligenz (KI). Wie wollen Sie das ändern?
Pröll: KI-Bildung ist in der Bevölkerung noch weniger angekommen als Digitalisierung generell. Wir müssen beides zusammen denken. Deshalb bauen wir unsere digitale Kompetenzoffensive aus. Es gab bereits 6000 kostenlose Workshops in ganz Österreich, 1000 weitere folgen, viele mit Schwerpunkt auf KI. Diese Kurse sind kostenlos zugänglich, vom Bodensee bis zum Neusiedler See. Darüber hinaus wollen wir digitales Lernen auch in der Schule verankern. Ich sage jedem: Beschäftigen Sie sich mit KI. Sie ist die größte Disruption unserer Zeit und wird vieles verändern.
…. vor allem in der Wirtschafts-und Arbeitswelt.
Pröll: Laut einer Studie kann KI die Wertschöpfung in Österreich um bis zu 18 Prozent steigern. Das wären 2,24 Milliarden Arbeitsstunden und 70.000 neue Jobs. Wenn wir das nicht nutzen, droht uns ein klarer Wettbewerbsnachteil. Mein Appell an die Unternehmen lautet daher: Beschäftigen Sie sich aktiv mit KI.
Viele Berufe werden verschwinden. Die Angst, von einer Maschine ersetzt zu werden, ist deshalb groß. Können Sie die Sorgen der Menschen nachvollziehen?
Pröll: Veränderung ist für den Menschen instinktiv nichts Angenehmes. Das betrifft mich genauso wie jeden anderen. Studien zeigen, dass sich Jobs verändern werden. Ich bin 1990 geboren und 70 Prozent der Jobs, die es heute gibt, gab es damals noch nicht. Deshalb bin ich optimistisch. KI wird uns nicht ersetzen, sondern uns unterstützen und echten Mehrwert bringen. Aber: Man muss sich mit KI beschäftigen. Denn sonst wird vielleicht jemand, der sie nutzt, den eigenen Job übernehmen.

KI kann demokratische Prozesse stärken, aber auch gefährden, wie man mit Blick auf Russland sieht.
Pröll: Unser Leitspruch lautet: Chancen nutzen und Risiken managen. Wenn man sich ansieht, wie Russland mit KI-gestützten Desinformationskampagnen versucht, auf europäische Demokratien einzuwirken, ist das höchst besorgniserregend. Im Bundeskanzleramt gibt es dazu eine interministerielle Arbeitsgruppe. Wir versuchen, Desinformation frühzeitig zu erkennen, gezielt zu analysieren und zu unterbinden. Das betrifft besonders auch den Bereich der Cyber-Attacken. Hier braucht es eine europäische Zusammenarbeit.
KI verbraucht auch enorm viele Ressourcen. Wo ziehen Sie die ökologische Grenze?
Pröll: Rechenzentren und KI-Fabriken sind die Infrastrukturprojekte von morgen. Das zeigt auch der US-Trend, wo bald mehr Datenzentren als Bürogebäude gebaut werden. Das hat viele positive Seiten, aber natürlich muss man auch darüber nachdenken, was das aus ökologischer Sicht bedeutet? Strom ist ein sehr relevanter Faktor. Viele Daten- und Rechenzentren in Österreich, die natürlich nicht zu den allergrößten zählen, werden bereits zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie betrieben. Trotzdem müssen wir schneller werden beim Ausbau von Wasserkraft und Windenergie. Dazu dient auch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.
Warum kommt die von der EU geforderte KI-Behörde in Österreich verspätet?
Pröll: Kein Staat hat diese Behörde vollständig eingerichtet. Frankreich und Italien sind schon relativ weit. Wir arbeiten daran, die Behörde noch heuer fertigzustellen.
Sie touren derzeit mit der ID Austria durch Österreich und haben jetzt auch in Vorarlberg Station gemacht. Aktuell sind rund vier Millionen Nutzer registriert. 2030 sollen es neun Millionen sein. Wie realistisch ist das?
Pröll: Wir bringen die ID Austria zu den Menschen, nicht umgekehrt. Dass der Bedarf groß ist, zeigt die Resonanz. Darum verlängern wir die Tour bis Jahresende. Unser Ziel ist Überzeugung durch Service, nicht durch Zwang. Ob es am Ende genau neun Millionen werden, weiß ich nicht. Generell werden wir aber immer alles auch analog anbieten. Es wird nie einen Zwang zur Digitalisierung geben.

Und was hat der Bürger davon?
Pröll: Wir haben derzeit 500 digitale Amtswege und wollen alles digitalisieren, was möglich ist. Wir wollen aber nicht analoge Bürokratie digital kopieren, sondern Amtswege in nützlichen Anwendungen neu denken. Ein Beispiel: Wenn man umzieht, löst das viele Folgeprozesse aus: Energieanbieter, Schulanmeldung und mehr. Ich möchte, dass das künftig in einem einzigen Use Case in der ID Austria abgebildet ist. Man meldet sich um, wählt den Anbieter, fertig. Das schafft eine Vereinfachung, die im Analogen kaum abbildbar wäre.
Und der Staat kann sich Arbeitskräfte sparen.
Pröll: In den nächsten 13 Jahren gehen 44 Prozent der aktuell rund 138.000 Bundesbediensteten in Pension. Das ist ein riesiges Delta, das wir personell gar nicht durch Nachbesetzung schließen könnten. Ich glaube auch nicht, dass wir das sollten. Wir sollten effizienter werden und genau hier liegt die Antwort in der Digitalisierung.
Wie verhindern Sie eine digitale Zweiklassengesellschaft?
Pröll: Nicht alle Menschen wollen digital sein, das ist in Ordnung. Aber: Wir setzen gezielt auf digitale Bildung, damit niemand abgehängt wird. Ein Beispiel sind unsere Seniorenworkshops der digitalen Kompetenzoffensive. Zusätzlich schlage ich generationenübergreifendes Lernen vor: In der letzten Schulwoche könnten Schülerinnen und Schüler Älteren beim Umgang mit digitalen Tools helfen. Außerdem wollen wir große Digitalkonzerne in die Pflicht nehmen. Sie sollten kostenlose Bildungsangebote bereitstellen, als Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
Es gibt Überlegungen, die ID Austria auch als Altersnachweis bei Social Media einzusetzen.
Pröll: Unser Ziel ist ein besserer Jugendschutz auf Social Media. Ich sehe zwei Hebel: erstens mehr digitale Bildung, besonders in Schulen. Zweitens klare Altersgrenzen, etwa ein Verbot unter 14 Jahren. Wie man das technisch umsetzt, ist aus meiner Sicht zweitrangig. Die großen Plattformen müssen auf europäischer Ebene in die Pflicht genommen werden. Sie erzielen hohe Reichweiten und Gewinne, also tragen sie auch gesellschaftliche Verantwortung. Unsere ID Austria könnte ein Weg sein. Ich möchte aber betonen, dass wir nicht irgendwelche Nutzerdaten tracken wollen. Es geht darum, dass wir die großen Plattformen verpflichten, eine Altersverifikation sicherzustellen, die auch eingehalten wird.
Themawechsel: Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt in den letzten Jahren massiv, zuletzt gab es Vorfälle in Wien und Tirol. Was tun Sie in Ihrer Funktion als zuständiger Staatssekretär ganz konkret gegen Antisemitismus?
Pröll: Das Wichtigste für mich ist, jüdisches Leben in Österreich bestmöglich zu schützen und auch sichtbar zu halten. Wir sind als Gesellschaft gefordert, die Risse zu kitten und gemeinsam gegen Antisemitismus aufzutreten. Ganz egal, ob er von rechts, von links oder aus migrantischen Milieus kommt. Wir arbeiten gerade an der Strategie gegen Antisemitismus 2.0. Neu ist vor allem der Fokus auf den digitalen Raum, der sich massiv verschärft hat. Die konkreten Maßnahmen werden wir im Herbst vorstellen.
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Wie bewerten Sie die verschiedenen Formen des Antisemitismus?
Pröll: Antisemitismus ist – egal aus welcher Richtung – strikt abzulehnen. Faktisch sehen wir durch den zunehmenden Zuzug nach Österreich besonders im migrantischen Bereich einen Anstieg antisemitischer Tendenzen. Deshalb müssen wir hier besonders wachsam sein.
Wo endet legitime Kritik an Israels Politik und wo beginnt struktureller Antisemitismus?
Pröll: Ich bin nicht für Außenpolitik zuständig, deshalb will ich das nicht werten. Mein Fokus liegt auf dem Kampf gegen Antisemitismus in Österreich. Aber für mich ist klar: Kritik an Regierungen – auch der israelischen – ist nicht automatisch Antisemitismus. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil sie oft verschwimmt. Wenn etwa jemand die Siedlungspolitik im Westjordanland kritisiert – und ich sage das ausdrücklich nicht selbst –, dann sehe ich das nicht als antisemitisch. Das wäre meine persönliche Trennlinie.
Wie erreicht man Menschen, die mit antisemitischen Werten sozialisiert wurden?
Pröll: Wer antisemitische Haltungen mitbringt, muss unsere Gesetze spüren. Da braucht es konsequenten Vollzug. Integration ist keine Einbahnstraße. Menschen, die nach Österreich kommen, haben eine Bringschuld: Es ist ihre Verantwortung, Deutsch zu lernen, arbeiten zu gehen und unsere Werte nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu leben.

Abschlussfrage: Wir haben die KI gefragt, ob Alexander Pröll der nächste Spitzenkandidat der ÖVP werden könnte. Die Maschine hält das durchaus für möglich. Was sagen Sie dazu?
Pröll: Ich bin froh, dass ChatGPT manchmal halluziniert (lacht). Ich bin eng verbunden mit Christian Stocker und ich bin sehr dankbar, dass er mir diese große Aufgabe zugetraut hat.
Aber aus jungen Staatssekretären sind schon Kanzler geworden, wie wir wissen.
Pröll: Aus Staatssekretären sind auch schon Menschen geworden, die für Österreich etwas weiterbringen wollen – und zwar in der Funktion, in der sie gerade sind.