Wer KI verschläft, verliert den Anschluss

Laut Sparkassen-Studie wissen mehr als die Hälfte der Vorarlberger „genau, was Künstliche Intelligenz ist“. Die Realität ist komplexer, denn in manchen Branchen ist KI längst Alltag, in anderen herrscht Skepsis.
Eine aktuelle Studie im Auftrag der Erste Bank und Sparkassen sorgt für Gesprächsstoff. Laut Umfrage wissen 58 Prozent der Vorarlberger „genau, was Künstliche Intelligenz bedeutet“. Fast die Hälfte habe bereits KI-Anwendungen genutzt. Das klingt beeindruckend und überrascht zugleich. Denn aktuelle repräsentative Erhebungen wie jene von Statistik Austria oder fit4internet kommen auf deutlich niedrigere Werte beim tatsächlichen Wissen und differenzieren stärker zwischen „gehört davon“ und „kompetent anwenden“. Diese Diskrepanz war für die NEUE Anlass, bei Experten aus Ausbildung, Wirtschaft, Medien und Digitalbranche nachzufragen: Deckt sich dieses Bild mit der Realität in Vorarlberg? Die Antworten zeigen, dass in manchen Bereichen, etwa Marketing, Softwareentwicklung oder bei digitalen Dienstleistern, KI längst fester Bestandteil des Arbeitsalltags ist. In anderen Branchen, vor allem im Handwerk oder bei kleineren Betrieben, herrscht noch Skepsis oder Unklarheit über konkrete Einsatzmöglichkeiten.
Angebot wächst
Häufig sind es nicht technische Hürden, die bremsen, sondern fehlendes Know-how, rechtliche Fragen, Datenschutzbedenken oder ein abwartendes Mindset. Gleichzeitig wächst das Angebot an Kursen und praxisnahen Workshops. Schulen und Weiterbildungseinrichtungen greifen das Thema ebenso auf wie Unternehmen, die ihre Belegschaft gezielt schulen – teils freiwillig, teils angestoßen durch Vorgaben wie den European AI Act.
Mensch “im Loop”
Einig sind sich die Experten darin, dass KI kein Nischenthema mehr ist, sondern ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Wer den Einsatz verschläft, riskiert den Anschluss. Richtig eingesetzt kann KI Routinetätigkeiten automatisieren, damit Fachkräfte mehr Zeit für wertschöpfende und kreative Aufgaben haben. Dabei bleibt der Mensch „im Loop“, als prüfende Instanz, kreativer Kopf und Entscheider.

“Thema bleibt für viele neu”
W enn es heißt, dass 58 Prozent in Vorarlberg genau wissen, was KI bedeutet, muss man bedenken, dass ‚Genau wissen‘ ein dehnbarer Begriff ist. Vor drei Jahren kannten viele generative KI kaum, heute sitzt in fast jedem Kurs jemand mit tieferem Know-how. Dennoch bleibt das Thema für viele neu. Diese Zahl lese ich eher als hohes Bewusstsein, nicht zwingend als tiefes Verständnis. Manche Kursteilnehmer können KI-Fachbegriffe gut einordnen, bei vielen ist die Sprache dazu noch neu und das ist völlig in Ordnung, weil diese in der Praxis gar nicht so wichtig sind. Für den Einstieg sind rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen, Datenschutz, Urheberrecht, klare Ziele, gute Prompts und die Prüfung der Ergebnisse wichtiger.
Marco Esposito, Visavi
Ein häufiges Missverständnis ist die Annahme, KI könne Aufgaben völlig autonom erledigen. Am besten funktioniert das ‚Human in the Loop‘-Prinzip. Alter oder Branche sind weniger entscheidend als Neugier, Experimentierfreude und die Möglichkeit, KI im eigenen Kontext auszuprobieren.

“Rasante Entwicklung”
Besonders gefragt sind derzeit unsere Kurse zu Content Creation mit KI, Prozessoptimierung und Prompting – und es kommen laufend neue Angebote, da sich der Markt rasant entwickelt. Der Anteil von Einsteigern und Fortgeschrittenen liegt etwa bei 50:50. Bei Teilnehmenden über 40 Jahren ist die Hemmschwelle oft noch etwas höher, doch KI wird zum Muss für alle Unternehmen, die ihren Wettbewerbsvorteil halten wollen und langfristig erfolgreich bleiben möchten.
Thomas Berchtold, Geschäftsführer Digital Campus Vorarlberg
Die Studienwerte von 48 Prozent Nutzung und 41 Prozent Akzeptanz von KI-Beratung decken sich mit unserer Erfahrung: In der Marketingbranche ist KI längst Alltag, im Handwerk herrscht noch Skepsis. Viele verstehen den Begriff anfangs nicht genau, doch nach den ersten Praxiserfahrungen wird KI schnell zum Selbstläufer.
Größte Bremse ist das Mindset, die Angst vor „schon wieder etwas Neuem“. Das wird sich rasch ändern, denn wer KI nicht implementiert, verliert. Entsprechend wächst unser Kursangebot wöchentlich und wird immer vielfältiger.

“Möglichkeiten sind enorm”
In Vorarlberg setzen vor allem Softwareentwicklungsfirmen KI bereits intensiv ein. Parallel dazu nutzen nahezu alle Branchen Anwendungen wie ChatGPT, wenn auch in sehr unterschiedlicher Tiefe und Professionalität. Wir entwickeln selbst KI-Assistenzsysteme, die Unternehmen individuell unterstützen – etwa bei der automatisierten Erstellung von Diagrammen, der Abfrage und Analyse von Firmendaten oder der Aufbereitung dieser Informationen im Corporate Design. Auch ERP- und CRM-Anbieter integrieren zunehmend KI-Funktionen, die im Vertrieb und als intelligente Assistenten helfen, auf wichtige Details hinzuweisen, die sonst vielleicht übersehen würden.
Armin Gaiser, Geschäftsführer Spider Netzwerk Consulting GmbH
Technisch sind die Möglichkeiten enorm, besonders im Softwarebereich. Im Handwerk, etwa im Bau oder bei Zimmereien, ist die Integration deutlich schwieriger, da physische Tätigkeiten aktuell kaum automatisierbar sind. Hier bleibt die Überbrückung zwischen digitaler und physischer Arbeitswelt eine Herausforderung.
Fast alle Betriebe, mit denen wir sprechen, sehen das Potenzial von KI, doch viele zögern mit der aktiven Umsetzung. Meist warten sie auf konkrete Erfolgsgeschichten aus der Region. Die größten Hürden unterscheiden sich je nach Branche: Rechtliche Bedenken bei Ärzten und Anwälten, Budgetfragen bei Lohnfertigern, fehlendes Know-how in vielen anderen Bereichen.
In der Akzeptanz zeigt sich ein klares Muster: Führungskräfte sind oft offen, Mitarbeitende zunächst skeptisch. Schulungen wie der KI-Führerschein können hier Brücken bauen. Sobald der praktische Nutzen klar wird, wandelt sich die anfängliche Skepsis meist in Neugier.

“Nicht handeln ist keine Option”
KI ist bei uns fest verankert, Bewerber nennen das oft als Grund, zu uns zu kommen. Vor einem Jahr hatten wir rund 20.000 ChatGPT-Anfragen im Monat, heute sind es 60.000. Wir setzen KI in vielen Bereichen ein, vom automatischen Transkribieren von Anrufbeantwortern bis zu Reporting, Monitoring und Umfragen, aber nie ohne menschliche Kontrolle. Die Studie zeigt, dass die Bevölkerung von Unternehmen erwartet, sich intensiv mit KI zu beschäftigen. Diese kann repetitive Aufgaben übernehmen, damit Fachkräfte mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten haben. Unser Ziel ist, 50 Prozent dieser Routinen zu automatisieren. Risiken gibt es, entscheidend sind gute Anwendung und Wissenstransfer. In Vorarlberg gibt es viele Pioniere, von illwerke vkw bis Rhomberg, Rauch, Meusburger oder innovative Start-ups. Mit unseren Standortvorteilen und der richtigen Geschwindigkeit können wir die Technologie-Führerschaft ausbauen. KI muss auf Geschäftsführungsebene gedacht und ernst genommen werden. Nicht zu handeln ist keine Option.
Georg Burtscher, Geschäftsführer Russmedia

“Viele sehen die Chance”
Am meisten nachgefragt wird beim KI-Führerschein die Kombination aus Basisschulung und anschließenden branchenspezifischen Praxisworkshops. Ziel ist, den Mitarbeitenden eine solide Grundkompetenz im Umgang mit KI zu vermitteln und zu zeigen, wie sie Tools sicher und produktiv im Arbeitsalltag einsetzen können. Ein klarer Trend geht zu Schulungen direkt im Unternehmen. Der persönliche Austausch wird oft dem Online-Format vorgezogen. Ob der KI-Führerschein als verpflichtende Weiterbildung genutzt wird, hängt stark vom Unternehmen ab. Einige wollen mit minimalem Aufwand die Vorgaben des European AI Act erfüllen, viele sehen aber die Chance, direkt passende Tools und Automationen einzubinden. Durch praxisnahe Beispiele wecken wir Neugier und ermutigen zu sinnvoller Anwendung.
Marco Moosbrugger, ki-führerschein.at
Der European AI Act verpflichtet Unternehmen, Mitarbeitende, die KI einsetzen, im ordnungsgemäßen Umgang zu schulen. Für viele ist das der Auslöser, sich nun intensiver mit KI und konkreten Anwendungen zu beschäftigen.

“Investition zahlt sich aus”
Seit dem Durchbruch von ChatGPT ist die Nachfrage nach KI-Kursen stark gestiegen, besonders für „KI in der Wirtschaft“ und den 28-stündigen KI-Führerschein. Für Einsteiger genügt Interesse, die Grundlagen werden im Kurs vermittelt. Datenschutz und ein bewusster Umgang mit Eingaben sind zentrale Themen, bei denen viele noch Nachholbedarf haben. Die Studienzahl von 58 Prozent, die angeblich genau wissen, was KI ist, halte ich für zu hoch. Unternehmen schulen inzwischen häufiger verpflichtend, teils angestoßen durch den EU AI Act. In der Beratung setzen aufgeschlossene Firmen KI schon intensiv ein, viele sind aber noch zurückhaltend. Jede Investition in KI zahlt sich langfristig aus.
Thomas Giselbrecht, WIFI Vorarlberg, Geschäftsbereichsleiter IT & Medien