Ärztegehälter: „Die Alarmglocken läuten“

Verdienen Ärzte im Land zu viel, zu wenig, gerade richtig oder ist es ganz unterschiedlich und vor allem (un)gerecht? Die NEUE am Sonntag hat sich mit mehreren Spitalsärzten getroffen und nachgefragt.
Im ORF sprach der Direktor der Krankenhausbetriebsgesellschaft, Gerald Fleisch, von einem Einkommen eines 50-jährigen Spitalsarztes mit Zulagen und Diensten in der Höhe von 174.000 Euro brutto jährlich, das wären dann ca. 12.500 Euro brutto monatlich. Ein stattliches Salär, das der Durchschnittsbürger angesichts der Ausbildung, der Verantwortung und der Nacht- und Wochenenddienste als gerechtfertigt ansehen kann – oder auch nicht. In der Steiermark und im Burgenland sind die Ärztegehälter deutlich höher, worauf die Ärztekammer für Vorarlberg hinweist. Nach Rücksprache mit mehreren Spitalsärzten im Land ist das von Fleisch genannte Gehalt möglich, allerdings nicht die Regel, und vor allem nur mit einer 120 Prozent-Anstellung (45,8 Wochenstunden), 40 Diensten pro Jahr (zehn an Wochenenden und 30 Nachtdiensten) und einer Stelle als bereichsleitender Arzt.

Der Kurienobmann
Hermann Blassnig ist Kurienobmann der angestellten Ärzteschaft in der Ärztekammer für Vorarlberg. Er wollte zwar in den laufenden Verhandlungen keine Stellungnahme abgeben, aber er verweist in seinen öffentlichen Stellungnahmen auf der Website der Vorarlberger Ärztekammer (www.arztinvorarlberg.at/aek/public/politikblog-blassnig) auf die Steiermark und das Burgenland, wo die Gehälter inzwischen deutlich besser seien als in Vorarlberg. Laut OGM-Studie, eine Zusammenfassung findet sich auch auf der Website der Ärztekammer für Vorarlberg, liege das Grundgehalt dort um mehr als 20 Prozent höher. Und das „wirke“, schreibt Blassnig. Die dortige Entscheidung von Landespolitik und Spitalsmanagement erweise sich bereits als ein höchst effizienter Personalmagnet: „Denn neben einer verdienten Wertschätzung für bestehende Mitarbeiter:innen, die damit gehalten werden können, sind die neuen Gehälter auch eine starke Motivation für Neueinsteiger:innen, die die dortige Krankenanstaltengesellschaft als Arbeitgeberin wählen.“ „Und wenn als Anreiz für einen Job in den heimischen Spitälern auf ‚die besondere Attraktivität der Arbeitsbedingungen in den Vorarlberger Krankenhäusern‘ hingewiesen wird, stellt sich schon die Frage, warum immer mehr Fachärzt:innen die Spitäler in Richtung niedergelassener Bereich verlassen … in einzelnen Bereichen ist schon heute die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben“, so der Kurienobmann Hermann Blassnig auf der Website der Ärztekammer.

Die Ärzte-Initiative
Die Initiative „Pro angestellte Fachärzt:innen“ fordert eine grundlegende Reform des Grundgehaltsystems und eine deutlich bessere Zusatzentlohnung bei hoch qualifizierter Tätigkeit, bzw. Bereichsleitung und eine angemessenere Entlohnung von Nacht-, Wochenend- und Bereitschaftsdiensten. Ein Bereitschaftsdienst in der Nacht werde brutto mit knapp 200 Euro entlohnt, am Wochenende mit knapp 400 Euro brutto, und heiße doch, innerhalb von 20 Minuten im Krankenhaus zu sein, nüchtern zu bleiben und die (familiären) Aktivitäten demgemäß einzuschränken. So würden die Spitalsärzte die Letztverantwortung für ihre Patienten auf Kosten ihrer Lebensqualität tragen. Ihr Fazit: „Es ist eine folgenschwere Schwäche des aktuellen Systems, qualifizierte Kräfte nicht zu binden!“ Es fehlten zunehmend die selbstständig und selbstverantwortlich tätigen Fachärzte, die das System erhalten und die aufgrund des unattraktiven Angebots seitens der Politik und der KHBG sowie der fehlenden Karrieremöglichkeiten nicht in den Spitälern gehalten werden könnten. Ständig würden Oberärzte nach jahrelanger Ausbildung und anschließender Tätigkeit in hoch spezialisierten Gebieten das Krankenhaus in Richtung Facharztpraxis oder gar Hausarztpraxis verlassen. Dem stimmt in einer Aussendung auch der Kurienobmann Blassnig zu. Der ärztliche Mittelbau, also ausgebildete Fachärzte, sei „zu lange stiefmütterlich behandelt“ worden und daraus entstehe ein „Teufelskreis“, der die Versorgung und die Ausbildung beeinträchtige.
Der niedergelassene Bereich
Viele gut ausgebildete Ärzte würden die Krankenhäuser in den niedergelassenen Bereich verlieren. Der sei weniger belastend, gebe es keine Nacht- und nur wenige oder gar keine Wochenenddienste und vor allem viel weniger Verantwortung, weil die unklaren oder schwierigen Fälle eh in die Krankenhäuser weitergewiesen würden. Das Einkommen sei jedenfalls deutlich höher, wie jenes im Krankenhaus, darauf verwiesen mehrere Ärzte, auch einer, der beide Bereiche sehr gut kennt. Eine Rückkehr in den Spitalsbereich gebe es deshalb praktisch nie. Die hohe physische und emotionale Belastung im System Krankenhaus „müsse eine/r schon aushalten können“, sind sich die Ärzte einig.
Zwei Finanzierungsströme

Christoph Jenny ist Direktor der Vorarlberger Wirtschaftskammer und als solcher im Halbjahresrhythmus Landesstellenausschussvorsitzender der ÖGK in Vorarlberg. Über die höheren Einkommen im niedergelassenen Bereich kann er mangels Daten nichts sagen, aber er spricht von einem spürbaren Trend in den niedergelassenen Bereich, wobei vor allem jüngere Ärztinnen und Ärzte in Praxisgemeinschaften oder primäre Versorgungszentren tendieren würden.
Das erklärt sich wohl neben den besseren Einkommen auch mit den familienfreundlicheren Arbeitszeiten, der geringeren Verantwortung und vor allem den Nacht-, Sonn- und Feiertagsdiensten der angestellten Krankenhausärzte.
Mangelnde Wertschätzung
„Qualitativ hochwertige Arbeit mit Verantwortung muss honoriert und entsprechend entlohnt werden.“
Ein Spitalsarzt
Bei einem Gespräch mit mehreren Spitalsärzten, die nicht namentlich in der Zeitung genannt werden wollen, erläutert einer von ihnen, dass die von Fleisch genannte Gehaltszahl nur von ganz wenigen Ärzten und nur zu den oben genannten Bedingungen möglich sei. Ein weiterer Top-Facharzt legte seinen Lohnausweis vor. Seine Bruttoeinkünfte bei vollem Arbeitspensum liegen 2023, inkl. Nacht-, Wochenend- und Bereitschaftsdiensten, bei 120.000 Euro brutto. Die von Dr. Fleisch genannten 174.000 Euro seien in seinem Fall „völlig utopisch“. Ein Wechsel von Kollegen in den niedergelassenen Bereich sei damit programmiert und werde die Situation im Krankenhaus für die verbleibenden Ärzte enorm verschärfen. Ganz zu schweigen davon, dass verschobene Eingriffe mit Kollateralschäden bei Patienten einhergehen würden.
Als Krankenhausmitarbeiter fühle sich dieser Arzt nach den Aussagen von Dir. Fleisch in seiner Arbeit nicht wertgeschätzt. Die Gehaltsforderungen seien deshalb weder überzogen noch unverschämt: „Qualitativ hochwertige Arbeit mit Verantwortung muss honoriert und entsprechend entlohnt werden“, so der Facharzt.
Es gebe in Vorarlberg in den Krankenhäusern genügend Ärzte, zumindest noch, abgesehen von wenigen Fächern. Aber das „Eis“ (Blassnig) sei dünn. Wenn ein Arzt oder eine Ärztin ausfällt oder eben kündigt, sei auch die ärztliche Betreuung unterversorgt. So würden bei Mangel in einzelnen Fach-Abteilungen schon einmal Ärzte aus anderen Fachbereichen mit der doppelten Dienstpauschale „angeworben“. Auch wirke sich das Fehlen von medizinisch-technischem Personal, Röntgentechniker:innen oder in der Pflege, vor allem im OP-Bereich, aus. So würde sich schon ärztliches Personal gegenseitig instrumentieren, um operieren zu können, schrieb mir ein Arzt aus Innsbruck. Gerade in diesem Bereich brauche es dringendst Ausbildungsmöglichkeiten und -initiativen. Diese könnten mit einer privaten Med-Uni gegeben sein, falls sich das Land Vorarlberg zu einer solchen durchringen kann. Denn dort ist zwingend eine zweite Ausbildung anzubieten und anvisiert wurde vom „aks“ dafür eine medizinisch-technische Ausbildung.
„In einzelnen Bereichen ist schon heute die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben.“
Herrmann Blassnig, Kurienobmann
Verhandlungen im Gang
Ob also die Gehälter der Spitalsärzteschaft in Vorarlberg angesichts der Ausbildung, der Wochenarbeitszeiten von 120 Prozent, der Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste sowie der Bereitschaftsdienste, schlecht, gut oder richtig sind, mag jeder für sich beurteilen. Klar ist aber, dass die Versorgungssicherheit auf die Spitalsärzte angewiesen ist und die Verantwortung dafür beim Amt der Vorarlberger Landesregierung liegt. Vorläufig sind die Verhandlungen in Gang und im Juni soll das neue Gehaltssystem vereinbart werden. Bis dahin werden die „Alarmglocken läuten“, wie der Kurienobmann schreibt: So könne es „in den Vorarlberger Spitälern nicht weitergehen“.
Kurt Bereuter