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„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“

19.05.2024 • 16:00 Uhr
„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Luca mit seinem Chef Jakob „Jake“ Blank an seinem Arbeitsplatz. Dietmar Stiplovsek

Luca Meusburger ist Autist. Der 23-jährige Dornbirner führt dennoch ein selbstständiges Leben mit zwei Arbeitsstellen. Die hat er auch durch die Unterstützung von IfS Spagat bekommen.

Luca Meusburger lacht gern und viel. Das stellt sich im Laufe des Gesprächs schnell heraus. Der 23-jährige Dornbirner ist Volksmusik-Fan, wie er erzählt. Die Schürzenjäger haben es ihm besonders angetan, erfährt man. Die Tiroler Band hat er auch schon bei einem Open-Air-Festival erlebt. Luca hat eine Autismus-Spektrum-Störung, eine Beeinträchtigung, die nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.

Die hindert ihn allerdings nicht daran, seit Kurzem sogar an zwei Arbeitsstellen tätig zu sein. Sechs Tage in der Woche geht er seinen Jobs nach – Unterstützung dabei bekommt er von Christiane Harrer im Rahmen des IfS-Programms Spagat (siehe dazu Interview unten).

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Luca Meusburger lebt in Dornbirn. Stiplovsek

Eigentlich wollte Luca Gärtner werden, wie er erzählt, und das hat einen ganz bestimmten Grund: „Weil mein Opa ein Leben lang Gärtner war.“ In einer Gärtnerei hat der Dornbirner von September bis Dezember 2017 auch gearbeitet. Für den darauffolgenden Winter hat er dann einen anderen Arbeitsplatz gesucht. Fündig ist er im Gasthaus „Firstblick“ in Dornbirn-Kehlegg geworden. Dort war er bis Ende März 2018 als Abwäscher tätig, hat in der Küche geputzt und andere Tätigkeiten verrichtet.

Im Sommer ging es dann wieder in die Gärtnerei. „Aber ich wollte dann für immer in den ‚Firstblick‘“. Warum? „Weil mir die Gärtnerei doch zu anstrengend war“, kommt die prompte Antwort. „Das ist anstrengende körperliche Arbeit.“ Ob es in der Gastro nicht auch anstrengend sei? „Das ist egal“, sagt der 23-Jährige mit einem Grinsen.

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Seit über fünf Jahren arbeitet der junge Dornbirner in der Restaurantküche. Stiplovsek

Seit September 2018 arbeitet Luca nun von Samstag bis Mittwoch in der Küche des Kehlegger Restaurants – und er ist nach wie vor begeistert von seiner Arbeit. „Mir gefällt alles“, sagt er und man glaubt es ihm sofort. Neben dem Abwasch hilft er auch beim Kochen, räumt unter anderem benötigte Lebensmittel ein, richtet Salate oder macht die Dekoration auf den Tellern, zählt er seine Arbeitsaufgaben auf.

Seit Kurzem hat der junge Dornbirner aber noch einen weiteren Arbeitsplatz. Freitags räumt er zusätzlich im neuen Spar in Dornbirn-Hatlerdorf am Vormittag Regale ein, „in zwei Abteilungen“. Den zweiten Job hat er sich gesucht, „weil ich Abwechslung brauche“, begründet Luca sein Engagement. „Es war die Idee von meinem Chef, dass ich mir noch etwas suchen soll“, fügt er dann hinzu und wirkt damit ganz zufrieden. Mit seinem Chef meint er Jakob „Jack“ Blank, den Inhaber des „Firstblick“. Neben der Abwechslung, die ihm seine beiden Arbeitsstellen bieten, ist es auch der Spaß mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die Luca viel Freude bereiten.

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Ein eingespieltes Team: Christiane Harrer, Luca Meusburger und Jakob “Jake” Blank. Stiplovsek

Zwar bleibt dem 23-Jährigen derzeit nur ein freier Tag in der Woche. Dennoch hat er noch einige andere Tätigkeiten, denen er nachgeht. So ist er donnerstags im Rahmen von „Spagatissimo“ beim Turnen. Dabei handelt es sich um ein Bewegungsprogramm für Menschen mit Beeinträchtigung. Und seit vier Jahren ist Luca – „wegen der Abwechslung“ – begeistertes Mitglied der Wolfurter Pfadfinder. Ein Mal im Monat trifft er sich auch mit anderen zum gemeinsamen Kochen. Lieblingsessen hat er keines. „Ich esse fast alles“. Nur Innereien verweigert er – damit ist er aber wohl nicht allein.

Der 23-Jährige hat nicht nur zwei Jobs, sondern lebt auch seit fünf Jahren allein. Mit seinem Lohn sei es ihm möglich, die Wohnung zu bezahlen und einkaufen zu gehen, beschreibt er, was sein eigenes, selbst verdientes Geld für ihn bedeutet. Damit kann Luca letztlich ein selbstständiges Leben führen.

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Ist auch begeisterter Pfadfinder: Luca Meusburger. Stiplovsek

An seinem jetzigen Arbeitsplatz im „Firstblick“ will er „fix bleiben“, betont er mit Nachdruck. Und seine nach wie vor vorhandene Begeisterung fürs Gärtnern lebt der 23-Jährige privat aus. Für die Mama hat er schon mal einen Teich angelegt, Zimmerpflanzen nennt er als seine Lieblingspflanzen und über Orchideen wisse er ohnehin alles, fügt seine Spagat-Beraterin Christiane Harrer dann noch hinzu.
Noch etwas möchte Luca am Ende des Gesprächs dann noch erzählen. Vier Mal sei er schon beim Pfadfinderlager dabei gewesen. Heuer im Sommer wird er wieder mit nach Schwarzenberg gehen – „aber nur vier Tage, eine Woche ist mir zu lang“.

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Kennen sich seit vielen Jahren: Christiane Harrer und Luca Meusburger. Stiplovsek

„Menschen mit Beeinträchtigung sind somit Teil unserer Gesellschaft“

Christiane Harrer vom IfS begleitet Luca Meusburger seit einigen Jahren im Rahmen von ­Spagat. Sie erklärt, worum es bei dem Programm genau geht und wie es funktioniert.

Was ist Spagat?
Christiane Harrer: IfS Spagat ist die berufliche Integration von Menschen mit einer Beeinträchtigung auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Seit wann gibt es das Programm?
Harrer: Es hat 1997 als EU-finanziertes Pilotprojekt begonnen. 2001 wurde Spagat in den Regelbetrieb des IfS übernommen.

Wie funktioniert es?
Harrer: Spagat ist ein Integrationsprozess mit klar definierten Bausteinen. Wir fangen an mit der persönlichen Zukunftsplanung des Klienten: Da lernen wir ihn kennen und fragen nach seinen Wünschen und Fähigkeiten. Dann geht es weiter zum Unterstützungskreis.

Was ist das?
Harrer: Dafür sucht sich der Klient die Mitglieder selbst aus, meist sind es Verwandte und/oder Freunde. Beim Unterstützungskreis steht wie im ganzen Prozess der Klient immer im Mittelpunkt. Mit den Unterstützungskreismitgliedern suchen wir dann Schnupperbetriebe. Der dritte Baustein ist dann die Begleitung beim Schnuppern.

Wie lange machen Sie das?
Harrer: Beim Schnuppern begleiten wir den Klienten permanent. Da sehen wir dann den Klienten im Arbeitsprozess und lernen auch die Betriebe kennen. Dort sieht man auch, welche Aufgaben es direkt vor Ort noch geben kann.

„Ich wollte für immer in den ‚Firstblick‘“
Christiane Harrer arbeitet seit elf Jahren bei IfS Spagat. Stiplovsek

Wie oft schnuppern Klienten?
Harrer: Es gibt Klienten, die einmal schnuppern, oder drei, vier Mal. Es gibt aber auch Klienten, die 20 Mal schnuppern gehen. Das ist immer individuell. Wir üben die unterschiedlichen Aufgaben mit den Klienten so lange ein, bis sie es können. Wenn sich Klient und Betrieb vorstellen können, einen integrativen Arbeitsplatz einzurichten, machen wir dessen Gestaltung.

Wie?
Harrer: Da schauen wir, wie zum Beispiel die Arbeitszeiten sein können, gehen noch einmal die genauen Arbeitsaufgaben durch und suchen im Betrieb nach einem Mentor. Dieser ist die fixe Ansprechperson für unseren Klienten und uns, manchmal ist es der Chef persönlich oder ein Mitarbeiter.

Ist dann Ihr Job erledigt?
Harrer: Nein, wenn der integrative Arbeitsplatz eingerichtet ist, sind wir immer noch für die Unterstützung da. Besonders am Anfang gibt es häufig noch viele Fragen und Unklarheiten, die zu klären sind. Wir besuchen den Klienten weiterhin im Betrieb und beraten ihn in vielen Bereichen.

Das heißt?
Harrer: Wir sind auch für die Freizeitgestaltung zuständig. Wenn wir dann glauben, dass der Klient selbstständig genug ist und beim Arbeiten alles passt, melden wir ihn vom Spagat ab. Das geschieht immer in Absprache mit Betrieb und Klient. Bei manchen Klienten geht das relativ schnell. Andere begleite ich, seit ich vor elf Jahren bei IfS Spagat angefangen habe

Wie viele integrative Arbeitsplätze gibt es?
Harrer: Spagat konnte schon über 400 integrative Arbeitsplätze einrichten.

Die vollwertige Arbeitsplätze sind?
Harrer: Genau. Bei Spagat geht es darum, dass Menschen mit Beeinträchtigung als vollwertige Arbeitskräfte mit allen Rechten und Pflichten wie jeder andere Arbeitnehmer auch eingestellt werden. Von den Betrieben bekommen wir oft die Rückmeldung, dass die Stimmung im Betrieb mit dem integrativen Arbeitsplatz positiv anders geworden sei. Das Miteinander ist manchmal freundlicher geworden, vieles wird offener. Die Menschen mit Beeinträchtigung sind somit ein Teil unserer Gesellschaft.