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Gewessler: „Das ist kein tragbarer Zustand“

20.08.2024 • 06:00 Uhr
Gewessler: „Das ist kein tragbarer Zustand“
Bundesministerin Leonore Gewessler war gestern auf Wahlkampftour in Vorarlberg. Stiplovsek Dietmar 

Interview. Klimaschutzministerin Leonore ­Gewessler spricht im NEUE-Interview über die S 18, das EU-Renaturierungsgesetz und die heftige Kritik, die ihr vonseiten der ÖVP entgegenschlägt.

Vor wenigen Tagen hat Sie ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl in Zusammenhang mit Ihrem Ja zum Renaturierungsgesetz als Staatsgefährderin bezeichnet und zum Rücktritt aufgefordert. Was sagen Sie dazu?
Leonore Gewessler: Dem muss ich widersprechen. Ich habe einem Gesetz zur Beschlussfassung verholfen, das unsere Lebensgrundlagen sichert. Die Verantwortung für diese Entscheidung habe ich wahrgenommen, und ich bin sehr froh, dass das Renaturierungsgesetz seit Sonntag in Kraft ist. An ein paar Orten, wo früher eine blühende Wiese war und jetzt ein Parkplatz ist oder ein Fachmarktzentrum steht, werden wir der Natur wieder mehr Platz zur Entfaltung geben. Darüber hinaus ist Gerstls Aussage ein weiterer Beleg dafür, dass manche in dieser Debatte das Maß und Ziel aus den Augen verloren haben.
Wie geht es in der Sache nun weiter? Letzte Woche haben Sie auf Expertenebene Bundesressorts und Bundesländer zur Zusammenarbeit eingeladen.
Gewessler: Es geht jetzt darum, dieses Gesetz in Österreich mit Leben zu erfüllen, sprich gemeinsam Projekte festzulegen, mit denen wir der Natur wieder mehr Platz geben wollen. Da braucht es frühzeitige Einbindung der Bundesländer und Bundesstellen. Es gilt jetzt, einen Fahrplan zu erstellen für den nationalen Wiederherstellungsplan. Das wird uns in den nächsten zwei Jahren beschäftigen.

ZUR PERSON

Leonore Gewessler wurde am 15. September 1977 in Graz geboren. Von 2014 bis 2019 war sie Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000. Seit Jänner 2020 ist sie Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

Und bis wann soll dieser Fahrplan stehen?
Gewessler: Im September.

Mit dem Ja zum Renaturierungsgesetz haben Sie den Grünen quasi einen perfekten Wahlkampfauftakt beschert. Wie geht es jetzt weiter? Mit welchen Themen wollen die Grünen im Wahlkampf punkten?
Gewessler: Zu Ihrer Fragestellung: Der Zeitpunkt dieser Entscheidung ergibt sich aus der europäischen Gesetzgebung. Das Renaturierungsgesetz stand am 17. Juni auf der Tagesordnung und da war der Zeitpunkt, um das zu machen, wofür ich in die Politik gegangen bin.

Und zu meiner Frage.
Gewessler: Wenn man Naturschutz, Umweltschutz und Klimaschutz umgesetzt haben möchte, dann liefern das eben nur die Grünen. Das haben wir die letzten fünf Jahre bewiesen. Es braucht aber auch ein gutes Klima im Sozialen und im Miteinander. All das werden die Grünen in den Vordergrund stellen, weil es bei dieser Wahl um eine Richtungsentscheidung geht. Sitzen Grüne in einer Regierung mit einem zukunftsgewandten Programm oder rechte Hetzer, die spalten, die zurückwollen in eine fossile Vergangenheit und einen Freundschaftsvertrag mit Wladimir Putin abgeschlossen hatten. Für diese Richtungsentscheidung werde ich die nächsten Wochen laufen, gemeinsam im großartigen Team rund um Werner Kogler, um für jede einzelne Stimme Überzeugungsarbeit zu leisten.

Die Umfragen verheißen allerdings nichts Gutes für Ihre Partei. Und die Türkisen schließen eine weitere Koalition mit Ihnen als Regierungsmitglied de facto aus. Müssten Sie jetzt darauf hoffen, dass sich eine Dreierkoalition mit SPÖ und Neos nicht ausgeht?
Gewessler: Ich bin überzeugt, dass eine grüne Regierungsbeteiligung diesem Land guttut. Das haben wir die letzten fünf Jahre bewiesen. Deshalb bewerbe ich mich auch um die Verlängerung im Team von Werner Kogler. Und dann kommen die Verhandlungen. Das, was vor der Wahl groß in den Raum gestellt wird, ist nach der Wahl oft einmal ganz anders.

Für wie wahrscheinlich halten Sie denn eine grüne Regierungsbeteiligung nach der Wahl?
Gewessler: Ich werde alles dafür tun, dass sie weitergeht. Rot-Schwarz und Schwarz-Blau haben in der Vergangenheit nur über Umwelt- und Klimaschutz gesprochen, aber nie etwas geliefert. Klimaschutz ist aber die große und zentrale Herausforderung unserer Zeit. Das sehen wir gerade wieder in den aktuellen Ereignissen auf der Silvretta-Hochalpenstraße und am Arlberg. Die Klimakrise ist hier, die Auswirkungen sind spürbar, und sie werden immer gravierender.

„Diesen Kreislauf von Versprechungen ohne Veränderungen müssen wir brechen.“

Leonore Gewessler, Bundesministerin

Werden Sie in der Politik bleiben, falls die Grünen nicht mehr in die Regierung kommen?
Gewessler: Ich wiederhole mich, aber ich sage es trotzdem noch einmal: Ich bewerbe mich um die Verlängerung als Ministerin, weil ich noch nicht fertig bin in dem Ministerium. Wir haben viel geliefert: Erstmals sinken zwei Jahre hintereinander die Emissionen deutlich. Aber das muss jetzt weitergehen. Es gilt jedenfalls, dass ich mich ­länger als fünf Jahre in der Politik sehe. Also die kurze Antwort: ja.

Gibt es etwas, das Sie rückblickend anders machen würden?
Gewessler: Sie sind der erste, der mich das fragt. (Überlegt) In einer Funktion mit Verantwortung gibt es oft Themen, bei denen man vielleicht etwas anders machen hätte können. Ich bleibe bei der Renaturierung. Gegen dieses Gesetz wurde mit Falschinformationen politische Kampagne gemacht. Da hätten wir schon früher stärker dagegenhalten müssen.

Österreich ist immer noch sehr abhängig von russischem Gas. Ein Umstand, der Ihre Bilanz ein wenig trübt.
Gewessler: Der Prozentsatz der russischen Importe in Österreich ist zu hoch, und ich werde diese Zahlen nicht schönreden. Ich habe ein Gesetz vorgelegt, das die Versorger verpflichtet, mehr nicht-russisches Gas zu beschaffen. ÖVP, SPÖ und FPÖ sind derzeit nicht bereit, diesem Gesetz zuzustimmen. Dieses Gesetz ist Nagelprobe für alle, die den Ausstieg aus russischem Gas wollen. Die neue klare Linie könnten wir morgen beschließen, wenn es dafür den politischen Willen gibt.

Das Arbeitsübereinkommen bezüglich S 18 ist bei der ÖVP erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe gestoßen. Für den Landeshauptmann bewegen Sie sich „planlos in einem Irrgarten“. Was sagen Sie dazu?
Gewessler: Dieses Projekt gibt es jetzt seit 70 Jahren. Pläne, die gescheitert sind, wieder neue Pläne et cetera et cetera. Was sich allerdings nicht verändert hat, ist die Situation der Menschen vor Ort. Ich war in Lustenau und habe mir das angeschaut. Das ist kein guter und kein tragbarer Zustand. Die Menschen erwarten sich Verbesserungen. Und ich bin überzeugt davon, dass es im Jahr 2024 bessere Lösungen gibt, als eine Autobahn durch ein besonders sensibles Gebiet zu bohren.

Gewessler: „Das ist kein tragbarer Zustand“
Gewessler hält die Idee einer Schnellstraße durchs Lustenauer Ried für veraltet und setzt sich für niederrangige Verkehrslöungen ein.Stiplovsek Dietmar

Landeshauptmann Wallner kritisiert, dass Ihr Versprechen zur vollständigen Finanzierung der Alternativprojekte, also einer niederrangigen Lösung, über Ihre Kompetenz hinausgeht. Wie wollen Sie gewährleisten, dass der Bund diese Projekte finanziell trägt?
Gewessler: Das ist umsetzbar. Wir haben mit der Stadtstraße in Wien auch schon ein Fallbeispiel. Dieses Projekt ist jetzt in Landeskompetenz und der Bund hat die Finanzierung zugesagt.

Aber Sie können als Ministerin jetzt nicht eine Finanzierung zusagen.
Gewessler: Ich kann einen Vorschlag machen, wie wir das lösen. Und wenn wir uns mit dem Land in dieser Frage einig sind, dann gehe ich davon aus, dass wir das auch auf Bundesebene gut zum Abschluss bringen.

Für eine Einigung mit dem Land Vorarlberg sieht es aber eher schlecht aus.
Gewessler: Ich sage es noch einmal: 70 Jahre lang ist nichts besser geworden. Die Menschen erwarten sich aber, dass wir Lösungen für sie finden. Diesen Kreislauf von Versprechungen ohne Veränderungen, den müssen wir brechen. Und daher mein Angebot. Ändern wir es doch.