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Schülervideo erschüttert Gymnasium in Feldkirch

06.10.2024 • 11:45 Uhr
Schülervideo erschüttert Gymnasium in Feldkirch
Explizites Video eines zwölfjährigen Schülers erschüttert Gymnasium Rebberggasse in Feldkirch. Stiplovsek

Ein verstörendes Handyvideo eines zwölfjährigen Schülers sorgte am Gymnasium Rebberggasse in Feldkirch für Aufregung. Wie die Schule mithilfe von Experten, Aufklärung und klarer Kommunikation die heikle Situation meisterte.

“Mit diesem Schreiben wende ich mich in einer gleichermaßen heiklen wie unangenehmen Sache an Sie.“ So beginnt ein Schreiben, das Christoph Prugger, Direktor am Bundesgymnasium Rebberggasse in Feldkirch, am Freitag vor einer Woche an die Eltern von 770 Schülerinnen und Schülern verschickte. Ein Satz, der den Ernst der Lage zum Ausdruck bringt. Hintergrund ist ein Vorfall, der seit Schulbeginn für allerlei Gerüchte sorgte und die Schulgemeinschaft sehr beschäftigt.

Direktor Prugger sitzt hinter einem großen Besprechungstisch, als er die NEUE am Sonntag empfängt. Er wirkt ruhig, fast abgeklärt, legt seine Hände auf den Tisch und lehnt sich leicht nach vorne. Es ist eine Haltung, die möglicherweise seine Bemühung widerspiegelt, in einer schwierigen Situation Ruhe zu bewahren. Denn das Schuljahr hat ungewohnt turbulent begonnen. „Es war in der letzten Ferienwoche“, sagt er und verschränkt die Hände. „Der Klassenvorstand kam zu mir und meinte, dass er etwas gehört habe und ich wahrscheinlich von Eltern kontaktiert werde.“

Schülervideo erschüttert Gymnasium in Feldkirch
Christoph Prugger war als Direktor mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, einen äußerst sensiblen Vorfall zu bewältigen. NEUE/ Stadler


Was dem Direktor kurz darauf – wie er selbst sagt – nur als „Erzählung“ zugetragen wurde, sollte sich bald als bitterer Ernst herausstellen: Ein zwölfjähriger Schüler des Gymnasiums, angehender Drittklässler, hatte in den Ferien ein Video auf der Social-Media-Plattform Snapchat gepostet, das ihn bei sexuellen Handlungen mit einem achtjährigen Buben zeigt. Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Andere Kinder und Jugendliche teilten es x-fach mit Freunden, und so landete die Aufnahme schließlich auch auf den Handys von Mitschülern.

All das wusste Prugger damals freilich noch nicht. „Ich habe es zwar nie in Zweifel gezogen“, erinnert er sich. Aber zu diesem Zeitpunkt sei es noch keine offizielle Mitteilung gewesen, sondern eine Erzählung eines Elternteils. „Ich musste wissen, ob das tatsächlich passiert ist”.

Fall war Behörden bereits bekannt

In den Tagen nach den Ferien nahm der Fall Gestalt an. Was außerhalb der Schule passiert war, fand seinen Weg in die Klassenzimmer. Das Video wurde zum Gesprächsthema unter den Schülern aller Jahrgänge. Schließlich erfuhr der Direktor, dass der Fall bereits amtsbekannt ist. „Es war klar, dass das eine Bombe ist“, sagt er. Das Kollegium stand nun vor der Frage: Wie geht man mit einer derart heiklen Sache um?

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Der Schüler postete das Video auf Snapchat, danach verbreiteten sich die expliziten Aufnahmen wie ein Lauffeuer. Shutterstock

Experten hinzugezogen

Man entschied sich für eine vorsichtige und strukturierte Vorgangsweise. Experten wurden hinzugezogen, darunter Sexualpädagogen, die Kinder- und Jugendanwaltschaft, Schulpsychologie und natürlich auch die Polizei. Der Schutz der betroffenen Kinder, sowohl des Zwölfjährigen als auch des Achtjährigen, stand im Vordergrund. Gleichzeitig galt es, die anderen Schüler und deren Eltern zu informieren und aufzuklären. „Es ist eine Balance“, sagt Prugger, „zwischen Opferschutz und der korrekten Aufarbeitung in der Schule.“

Das Thema wurde – vorwiegend in der Unterstufe – altersgerecht aufgearbeitet, die Schüler durften Fragen stellen, auch anonym – zudem wurden rechtliche Aspekte angesprochen. „Die Schüler sollten wissen, dass sie ab 14 Jahren strafmündig sind und dass das Speichern, Anschauen oder Weiterleiten solcher Inhalte ernsthafte Konsequenzen haben kann“, erklärt Prugger. Im Elternbrief appellierte der Direktor auch an die Verantwortung der Eltern: „Die Nutzung sozialer Medien und deren Inhalte anzusprechen, liegt bei Ihnen“, heißt es in dem Schreiben.

Die Reaktionen der Eltern? „Es gab überraschend wenig Rückmeldungen“, erzählt der Direktor, fast erleichtert. Wenn, dann seien sie positiv gewesen. „Einige haben sich dafür bedankt, dass wir offen und klar kommuniziert haben.“ Auch der NEUE am Sonntag gegenüber lobten mehrere Eltern unabhängig voneinander die Vorgangsweise und offene Kommunikation der Schule.

Schüler hat Gymnasium verlassen

Am Ende bleibt der Eindruck, dass das Gymnasium trotz des explosiven Themas besonnen gehandelt hat. „Es gibt sicherlich unterschiedliche Zugänge, mit dem Thema umzugehen“, schrieb Prugger im Elternbrief. Doch die Reaktion der Schule, gepaart mit professionellem Krisenmanagement, könnte ein Modell dafür sein, wie Bildungseinrichtungen mit sensiblen Vorfällen umgehen sollten – mit Klarheit, Offenheit und dem festen Willen, den Schutz der Kinder über alles zu stellen.

Der zwölfjährige Gymnasiast hat die Schule mittlerweile verlassen. Er wurde dem Vernehmen nach von seinen Eltern abgemeldet. Aufgrund seines Alters kann er strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden (siehe Kasten links).

Kinderpornografie und Strafmündigkeit

Unter pornografischen Darstellungen von Minderjährigen versteht man gemäß § 207a StGB die Abbildung von sexuellen Handlungen oder Bilder mit Fokus auf die Geschlechtsteile von Personen unter 18 Jahren. Im Zusammenhang mit sexuellen Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger ist jegliche Nutzung verboten: Strafbar ist also nicht nur das Herstellen und Verbreiten solcher Inhalte, sondern auch der bloße Besitz beziehungsweise das wissentliche Zugreifen darauf im Internet. Der Strafrahmen beträgt bis zu drei Jahre Haft, bei Qualifikationen bis zu fünf Jahre Haft.

Jugendliche unter 14 Jahren sind nicht deliktsfähig, Sie können weder eine Anzeige bekommen noch verurteilt werden. Möglich sind dagegen alternative Strafen, zum Beispiel Erziehungsmaßnahmen. Zuletzt gab es eine politische Debatte um die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre.

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Nina Leopold vom Ehe- und Familienzentrum (EFZ) in Feldkirch. EFZ

3 Fragen an …. Sexualpädagogin Nina Leopold

Was raten Sie Eltern von Kindern, die pornografische Inhalte angesehen haben?
Nina Leopold: Egal, ob ein Kind versehentlich oder absichtlich pornografische Inhalte gesehen hat – für die Eltern ist es wichtig, weder in Panik zu geraten noch mit Wut zu reagieren. Genauso wenig förderlich ist es, eine Moralpredigt zu halten oder den Kindern mit Strafen zu drohen. Eine Einladung zum Gespräch und die Ermutigung, dass es okay ist, über solche Dinge zu sprechen, hilft da viel mehr. Je nach Alter und Entwicklungsstand soll dem Kind vermittelt werden, dass das, was in der Pornografie gezeigt wird, für Erwachsene gedacht ist und kaum etwas mit der Realität gelebter Sexualität und realer Beziehungen zu tun hat. Sexualität ist etwas Positives – Pornografie bildet nicht die Wirklichkeit ab. Wichtig ist es, die Gefühle des Kindes anzusprechen und das Kind darin zu bestärken, dass es keine Schuld trägt. Dabei soll versucht werden, die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sowie das respektvolle Körperbewusstsein des Kindes zu fördern.

Was können Eltern präventiv tun?
Leopold: Einerseits gibt es technische Möglichkeiten, altersgerechte Filter auf Geräten einzurichten, um den Zugang zu solchen Inhalten zu verhindern. Andererseits ist es fast noch wichtiger, zu Hause eine Atmosphäre zu schaffen, die offene Kommunikation zulässt. Das Kind soll die Möglichkeit haben und dazu ermuntert werden, auch peinliche Fragen zu stellen. Wir alle sind gefordert: Familien sollten sich mit dem eigenen Medienkonsum auseinandersetzen und Kompetenzen im Umgang mit den Medien entwickeln. Es ist ausgesprochen sinnvoll, wenn Eltern mit ihren Kindern schon früh über das Internet sprechen und altersgerecht über Online-Inhalte und deren Gefahren aufklären. Dabei geht es nicht nur um die Festlegung von Regeln für die Internetnutzung, um Jugendschutzfilter oder um rechtliche Grundlagen, sondern auch darum, dass Kinder lernen, selbst Verantwortung für das, was sie im Netz tun, zu übernehmen. So wird auch das kritische Denken der Kinder gefördert.

 Wo können Eltern Hilfe holen?
Leopold: Eltern, die vorbeugend mit ihren Kindern über die Gefahren der Pornografie reden wollen und dabei unsicher sind, aber auch Eltern, die ein verändertes Verhalten der Kinder beobachten und den Einfluss von Medien dahinter vermuten, können auf professionelle Hilfe zurückgreifen. In Vorarlberg gibt es einige Beratungsstellen, wie zum Beispiel die EFZ Familienberatung.