“Gedenken an die Verstorbenen bringt die Menschen zusammen”

Caritas-Seelsorger Wilfried Blum spricht anlässlich des Allerheiligentags über Sterben, Tod und Trauer.
Zu Allerheiligen scheinen auf den Friedhöfen auch Menschen zu sein, die sonst wenig Bezug zur Kirche haben. Täuscht dieser Eindruck?
Wilfried Blum: Nein, der täuscht nicht. Es gibt immer noch Familientraditionen, die an diesem Tag den Gottesdienst oder einen Friedhofsbesuch vorsehen. Aber es werden weniger Menschen.
Warum kommen diese Menschen?
Blum: Für mich sind es vor allem zwei Gründe, die da mitspielen. Als Familie zusammenzukommen, hat auch heute noch für viele Menschen Sinn. Die Verstorbenen und das Gedenken an sie bringen Menschen zusammen, die manchmal kaum noch Zeit füreinander haben. Gottesdienste und Friedhöfe geben dafür mehr oder weniger den äußeren Rahmen.

Im 9. Jahrhundert hat ein Papst den 1. November für ein Allerheiligen-Gedenken festgelegt. Allerseelen am 2. November kam erst später dazu. Dennoch wird der Toten zu Allerheiligen gedacht. Aus rein pragmatischen Gründen, weil es ein Feiertag ist?
Blum: Genauso ist es. Das Auseinanderhalten vom Fest aller Heiligen, die keinen Tag im Kirchenjahr haben, und das Gedenken an die verstorbenen Angehörigen waren vergebliche Liebesmüh der Kirche. Der Grund liegt sicher auch im arbeitsfreien Feiertag.
Auch Halloween in US-amerikanischer Ausprägung hat schon länger Eingang in unsere Gesellschaft gefunden. Warum?
Blum: Andere Kulturen gehen mit religiösen Feiern und schweren Themen wie Tod manchmal unbefangener um als wir. Schade ist nur, dass aller Unsinn aus Amerika mit Verspätung unkritisch bei uns Einzug hält und das vor allem aus geschäftlichen Gründen. Was dahinter steckt interessiert niemanden (mehr).
Zur Person
Wilfried Blum
Geboren am 14. Oktober 1949 in Bregenz
und dort aufgewachsen. Theologiestudium
in Innsbruck, 1975 in Dornbirn St. Martin
zum Priester geweiht.
Zunächst Kaplan in Götzis. von 1982 bis 1987
Jugendseelsorger, von 1990 bis 2004 Pfarrer
in Göfis. Bis 2019 Pfarrer in Rankweil.
Seit Oktober 2019 Caritas-Seelsorger.
Lebt in Feldkirch.
Wie hat sich nach Ihrer Erfahrung das Verhältnis der Menschen zum Tod geändert?
Blum: Durch die Hospizbewegung und auch das Wirken der Palliativmedizin kam es zu einem neuen Bewusstsein, was Sterben und Tod des Menschen betrifft. Medizinisch gut betreut und menschlich liebevoll begleitet nimmt dem Sterben und Tod die Tragik. Ansonsten ist auch ein Trend spürbar, der den Tod eines Menschen rasch erledigt haben will. Traurig ist dabei die Entsolidarisierung der Trauer durch stille Beerdigungen und Beisetzungen im engsten Familienkreis.
Stirbt es sich leichter, wenn man an Gott glaubt?
Blum: Ob man leichter stirbt, weiß ich nicht, aber man stirbt mit Hoffnung auf einen gütigen Gott. Von Paul M. Zulehner stammt das Wort: Wenn Christen aus dem Herzen heraus, aus dem Herzen Gottes leben, dann „leben, lieben und sterben sie besser und zufriedener“.

Beerdigungen werden seit einigen Jahren nicht mehr nur von Priestern, sondern auch von pastoralen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen durchgeführt. Hat das nur mit dem Priestermangel zu tun?
Blum: Der Priestermangel führte dazu, dass endlich die Charismen dieser in der Pastoral tätigen Frauen und Männer gesehen wird. Ich empfinde es in den meisten Fällen als eine wirkliche Bereicherung. Gute Rückmeldungen betroffener Familien bestätigen es.
Aber auch freie Ritualleiterinnen und -leiter werden für Beerdigungen häufig gebucht. Beschränkt sich das auf Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind?
Blum: Vorwiegend schon. Aber in Pfarreien, wo es keine aufmerksame Pastoral und würdige Begräbniskultur gibt, werden solche freien Angebote vermehrt „gebucht“.
Welchen Trost gibt es für Menschen, die um einen geliebten Verstorbenen trauern? Kann die Kirche da auch bei Nichtgläubigen unterstützend sein?
Blum: In der Krankenhausseelsorge und besonders in der Hospizarbeit wird das „Ich bin da“ als sehr tröstlich empfunden. Da rücken die Religionszugehörigkeit oder das Nicht-glauben-können sehr in den Hintergrund. Berühren, mitweinen oder schweigen lassen die Trauer allmählich erträglich werden. Das wird dann auch von vielen als hilfreich und tröstlich empfunden.

Was machen Sie persönlich am Allerheiligentag?
Blum: Den Feiertag feiere ich in einer Gemeinde mit einem festlichen Gottesdienst. Ich freue mich darüber, wie divers und bunt die Biographien der vielen Heiligen sind. Wenn es sich ausgeht, werde ich am späteren Nachmittag zum Familiengrab in Bregenz gehen. Aber grundsätzlich bin ich nicht auf diese Tage fixiert.