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Stiller Tod? Wie es der Justiz in Vorarlberg geht

09.12.2024 • 09:06 Uhr
Stiller Tod? Wie es der Justiz in Vorarlberg geht

Steigende Fallzahlen, komplexere Verfahren und akuter Personalmangel: Die Justiz in Vorarlberg steht unter Druck. Gerichte und Staatsanwaltschaft fordern dringend zusätzliche Ressourcen.


Der stille Tod der Justiz“ – diese düstere Warnung des ehemaligen Justizministers Clemens Jabloner aus dem Jahr 2019 hallt bis heute nach. Kürzlich griffen die Präsidentin und Präsidenten der vier Oberlandesgerichte dieses Bild erneut auf. Der Rechtsstaat sei in einer kritischen Lage, heißt es in einem gemeinsam unterzeichneten Appell an die künftige Bundesregierung. Sie fordern deutlich mehr Personal, Geld und Reformen, um Rechtsstreitigkeiten rasch und qualitativ hochwertig bearbeiten zu können.

Wie zeigt sich die angespannte Situation der österreichischen Justiz in Vorarlberg? Die NEUE hat beim Landesgericht, der Staatsanwaltschaft und der Justizanstalt nachgefragt. Die zuständigen Vertreterinnen und Vertreter skizzieren ein vielschichtiges Bild: Es reicht von der alltäglichen Überlastung durch steigende Anforderungen und komplexere Verfahren bis hin zum unermüdlichen Einsatz, den Rechtsstaat unter schwierigen Bedingungen zu bewahren.

Überlastete Gerichte

Stiller Tod? Wie es der Justiz in Vorarlberg geht
Angelika Prechtl-Marte, Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch. NEUE

Angelika Prechtl-Marte, Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch, beschreibt eine Justiz, die am Rande ihrer Belastungsgrenze operiert. Immer mehr und immer kompliziertere Verfahren stellen das Landesgericht und die Bezirksgerichte vor erhebliche Herausforderungen. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen würden regelmäßig über die normale Arbeitszeit hinaus, oft auch an Wochenenden arbeiten. „Das ist auf Dauer nicht tragbar und gefährdet die Gesundheit der Mitarbeiter“, betont sie. Trotz Vollbesetzung liege die Auslastung bei alarmierenden 120 Prozent. Derzeit gibt es im Sprengel des Landesgerichts Feldkirch 63 Planstellen, die mit etwas mehr als 70 Richterinnen und Richtern besetzt werden. Prechtl-Marte fordert mindestens sieben zusätzliche Planstellen.
Auch im Kanzleibereich ist die Situation kritisch. „Die Anforderungen sind enorm gestiegen, zudem haben wir eine hohe Fluktuation.“ Letzteres begründet die Landesgerichtspräsidentin einerseits mit gesellschaftlichen Veränderungen, andererseits mit der Abwanderung zu besser zahlenden Arbeitgebern. „Das Land Vorarlberg ist inzwischen ein harter Konkurrent“, sagt Prechtl-Marte.

Massive Lücke wegen Pensionierungen

Besonders besorgt zeigt sie sich über die Pensionierungswelle: „Bis 2030 werden viele erfahrene Kräfte in den Ruhestand gehen. Ohne ausreichenden Nachwuchs wird das eine massive Lücke hinterlassen.“ Fortschritte habe es im Schreibbereich gegeben, betont Prechtl-Marte. Die Verschriftlichung von Protokollen und Urteilen erfolge nun zum Großteil innerhalb von sieben Tagen. Ihr Vorgänger Heinz Bildstein hatte der NEUE im Jahr 2019 noch über Verzögerungen von bis zu drei Monaten berichtet.

Stiller Tod? Wie es der Justiz in Vorarlberg geht
Wilfried Siegele, Leiter der Staatsanwaltschaft Feldkirch. NEUE

Ankläger mit mehr Fällen

Bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch stellt sich die Situation ganz ähnlich dar. Die Fallzahlen steigen stetig; allein im Jahr 2023 verzeichnete man einen Anstieg von rund zehn Prozent, und auch für das laufende Jahr wird ein deutliches Plus erwartet. “Die Delinquenz steigt und die zunehmenden Fälle im Bereich Wirtschafts- und Cyberkriminalität sind sehr aufwendig”, berichtet Siegele. Die steigende Arbeitsbelastung führt auch bei der Staatsanwaltschaft dazu, dass Mitarbeiter regelmäßig am Wochenende arbeiten müssen, was – laut Behördenleiter Wilfried Siegele – auf Dauer untragbar sei. Der oberste Ankläger in Vorarlberg wünscht sich deshalb mindestens drei bis vier zusätzliche Planstellen. Diese brauche es unter anderem auch deswegen, weil die Justiz vor neuen Aufgaben durch geplante Gesetzesänderungen stehe, wie etwa die Neuregelung der Sicherstellung und Auswertung von Handydaten, die laut Siegele erhebliche Ressourcen erfordern werden.

Stiller Tod? Wie es der Justiz in Vorarlberg geht
Die Justizanstallt Feldkirch wartet schon viele Jahre auf eine Erweiterung. Doch nicht nur der Platz ist knapp, auch beim Personal fehlt es an allen Ecken und Enden. Neue

Zu wenig Justizwachebeamte

Auch bei der Justizanstalt Feldkirch hat sich die NEUE über die aktuelle Situation erkundigt. Anstelle der Anstaltsleiterin beantwortete eine Mediensprecherin des Justizministeriums die Anfrage. Es zeigt sich: Auch im Gefängnis fehlt es an Personal. Von 61 Planstellen sind derzeit zehn unbesetzt, was insbesondere durch die Konkurrenz am Arbeitsmarkt in der Dreiländerregion verschärft werde. „Die Nähe zur Schweiz und zu Liechtenstein erschweren bedauerlicherweise die Suche nach geeignetem Personal“, so die Sprecherin. Trotz angehobener Einstiegsgehälter und verstärkter Werbekampagnen bleibt die Lage schwierig. Auch bei den räumlichen Kapazitäten stößt die Justizanstalt an ihre Grenzen. Die seit mehr als 15 Jahren geplante Erweiterung wurde aus Budgetgründen nie umgesetzt. Jenes Büro, das 2007 den Architekturwettbewerb gewonnen hat, gibt es mittlerweile gar nicht mehr.