„Man wiegt sich zu sehr in Sicherheit“

Klaus Hartinger
Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger spricht über die Herausforderungen des abgelaufenen und des neuen Jahres – die größtenteils dieselben sind.
Wie ist das Jahr 2024 für die Vorarlberger Landwirtschaft gelaufen?
Josef Moosbrugger: Wettertechnisch herausfordernd, Wetterextreme nehmen zu. Wenn es regnet, ist es oft extrem viel in kurzer Zeit, die Trockenperioden sind länger, wir spüren den Klimawandel. Wir sind aber von Extremereignissen wie in Niederösterreich verschont geblieben.
Und abgesehen vom Wetter?
Moosbrugger: Die Preiskostenschere wird herausfordernder. Das heißt, die Kosten steigen schneller als die Erlöse für die Bäuerinnen und Bauern angepasst werden können.
Das kritisieren Sie aber seit Jahren, oder?
Moosbrugger: In der Landwirtschaft schon. Wir spüren jetzt aber parallel zur Wirtschaftslage die extrem steigenden Kosten und zugleich ein stärkeres Preisbewusstsein am Markt. Das ist für uns, die wir auf hohe Qualität regionaler Lebensmittel setzen, extrem herausfordernd.
Zur Person
Josef Moosbrugger
Geboren am 30. Juni 1966 in Dornbirn. Landwirtschaftliche Fachschule. Funktionär der Landjugend. Von 1995 bis 2018 ÖVP-Stadtrat in Dornbirn. Seit 1999 Präsident der Landwirtschaftskammer Vorarlberg, seit 2018 zusätzlich Kammerpräsident auf Bundesebene. Verheiratet, drei Kinder. Er betreibt in Dornbirn eine Landwirtschaft mit Ackerbau, Milch- und Forstwirtschaft.
Eines ihrer Hauptthemen im Vorjahr war der Wolf. Die EU hat jetzt angekündigt, dessen Schutzstatus zu lockern. Zufrieden?
Moosbrugger: Man spürt, dass sich in der EU mit der neuen Kommission, dem neuen Kommissar etwas bewegt – weg von der schädlichen Produktionsfeindlichkeit. Wenn wir agrarpolitisch hartnäckig dranbleiben, kann man auch dort etwas in Bewegung setzen. Der Wolf ist nicht nur ein regionales Problem in Vorarlberg. Man sieht, dass Alpwirtschaft, Tierhaltung, Weidehaltung mit dem Wolf nicht funktionieren.

Laut einer kürzlich erfolgten Aussendung von Ihnen gehen in Vorarlberg täglich 7000 Quadratmeter Boden verloren. Kann man das aufhalten?
Moosbrugger: Die Landwirtschaftskammer und ich haben über Jahre hinweg sehr nachdrücklich thematisiert, dass der Bodenverbrauch in dieser Geschwindigkeit nicht weitergehen kann. Das hängt aber nicht an einer Person. Da sind alle, von der Gemeinde- bis zur Bundesebene, gefordert, das Bewusstsein zu schärfen, dass wir den Bodenverbrauch reduzieren müssen. Boden ist nicht vermehrbar. Da geht es auch um die Lebensmittelversorgungssicherheit.
Haben Sie das Gefühl, dass sich da etwas tut?
Moosbrugger: Ja, denken wir nur an Weiler oder Ludesch, wo geplante Projekte nicht realisiert wurden. Wir brauchen den offenen Boden auch mit seiner Aufnahmefähigkeit für Niederschläge – neben der Lebensmittelversorgung ist das zentral.

Sie sprechen sich auch seit Langem für mehr Herkunftsbezeichnungen von Lebensmitteln aus. Sind österreichische, Vorarlberger Produkte besser?
Moosbrugger: Wenn Sie mich fragen, schon und viel nachhaltiger. Masse und billig können andere leichter. Unser Platz ist in der Qualität, Beispiel Käsebereich mit weltweiten Auszeichnungen. Wir haben es dabei geschafft, über viele Jahrzehnte einen sehr stabilen, wettbewerbsfähigen Milchpreis zu erwirtschaften. An die Landwirtschaft werden aber ständig Anforderungen gestellt. Das funktioniert nur bei einem vernünftigen Wettbewerb.
Das heißt?
Moosbrugger: Ich kann nicht bei uns dauernd die Anforderungen erhöhen und gleichzeitig irgendwas ohne jeglichen Umwelt- und Tierschutz oder Sozialstandards importieren. Man kann auch nicht ständig höhere Anforderungen stellen und gleichzeitig billigere Lebensmittel verlangen. In den letzten Monaten haben Discounterartikel und Billigmarken, massiv an Umsatz dazugewonnen. Die hochqualitativen Produktsegmente, das Kernelement der Vorarlberger und österreichischen Landwirtschaft, tun sich schwerer beim Umsatz. Der Preis dafür stagniert, die Kosten steigen aber massiv. So geht‘s nicht weiter.

Hat der Konsument kein Geld oder kein Bewusstsein?
Moosbrugger: Teilweise beides. Es gibt natürlich Bevölkerungsschichten, die sich finanziell schwerer tun. Es hat aber auch mit Wertehaltung und Bewusstsein zu tun. Ein großer Urlaub, ein großes Auto ist fast schon gesellschaftliche Norm. Früher war es anders. Da kam zuerst das Essen, dann die warme Wohnung, und dann das, was man sich leisten konnte. Ein qualitativ hochwertiger Urlaub wird nicht billiger, ein Auto mit besserer Ausstattung kostet mehr.
Bei Lebensmitteln funktioniert das nicht?
Moosbrugger: Da gibt es die Möglichkeit, etwas Billigeres zu finden. Viele denken nicht daran, was sie mit diesen Produkten in der Welt auslösen. Was wollen Sie: Regenwaldzerstörung in Übersee oder regionale Versorgungssicherheit im Ländle? Es muss einen Wertewandel im Hinblick darauf geben, wofür das Geld verwendet wird. Wenn eine klare Kennzeichnung da ist und jemand bewusst einkauft, ist das seine Entscheidung. Aber ich habe das Gefühl, da wird manches vermischt, sodass nicht mehr nachvollziehbar ist, woher das Produkt kommt.

Sie haben seit Jahren dieselben Forderungen. Nun stellt Ihre Partei, die ÖVP, seit bald 40 Jahren durchgehend den Landwirtschaftsminister. Wieso sind die Forderungen nicht erfüllt?
Moosbrugger: Wir haben schon viel erreicht, etwa die Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung. Klar ist auch, dass die ÖVP keine absolute Mehrheit hat. Daher gibt es immer Partner, die andere Interessen haben. Wenn dein Gegenüber billige Lebensmittel will, aber gleichzeitig sagt, die Standards müssen nach oben, dann wird‘s schwierig.
Von der EU gibt es mittlerweile eine Zusage für das Mercosur-Abkommen, ein Handelsabkommen der EU mit südamerikanischen Staaten, gegen das sich Österreich wehrt. Warum?
Moosbrugger: Es erzürnt mich massiv, dass da wieder ein Abtausch gemacht wird zwischen Industrie und Landwirtschaft. Wenn man das für die Wirtschaft will, dann soll man die Landwirtschaft aus dem Spiel lassen. Die Landwirtschaft kann nicht den Kopf dafür hinhalten, dass die Wirtschaft Vorteile auf dem Weltmarkt hat. In diesen Ländern gibt es Möglichkeiten in der Landwirtschaft, die mit der bäuerlichen Struktur in Europa in keinster Weise vergleichbar sind. Daher wehren wir uns.
Das Abkommen erlaubt den Import von 99.000 Tonnen Rindfleisch mit einem niedrigeren Zoll, 1,2 Prozent der EU-Rindfleischproduktion. Ist das ein Problem?
Moosbrugger: Ja, weil schon kleine Mengen die Märkte negativ beeinflussen können und es um die rentablen, für unsere Betriebe wichtigen Edelteile geht.
Aber es werden ja jetzt schon Lebensmittel importiert.
Moosbrugger: Wir erhöhen diese Abhängigkeit vom Ausland ja ständig und das ist nicht vernünftig. Außerdem geht es nicht nur um Rindfleisch, sondern auch um Zucker, Geflügelfleisch, Bioethanol und mehr.

Was werden denn heuer die großen Herausforderungen für die Landwirtschaft?
Moosbrugger: Ein Thema ist sicher die Marktpreisentwicklung, weil sich da eine Kostenschere auftut. Man darf sich nicht blenden lassen. In der Wirtschaft erleben wir derzeit viele Insolvenzen. Die gibt es in der Landwirtschaft nicht, weil meistens Grund und Boden da ist. Aber dann wird der Betrieb halt geschlossen. Diese Entwicklung erleben wir derzeit schon.
Wo?
Moosbrugger: Die Schweinefleisch-Selbstversorgung in Deutschland wird nächstes Jahr erstmals unter 100 Prozent sinken, in Österreich haben wir ähnliche Tendenzen. Ich habe das Gefühl, dass man sich da zu sehr in Sicherheit wiegt und glaubt, im Supermarkt eh alles zu bekommen. Wir kommen auch in Vorarlberg an die Grenze dessen, was ein landwirtschaftlicher Betrieb als bäuerliche Familie leisten kann. Da muss die Politik ebenso gegensteuern wie jede Konsumentin und jeder Konsument.