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Auf Spurensuche in Norwegen und Vorarlberg

26.01.2025 • 17:00 Uhr
Heinz Fitz, Kirkenes
Die zerstörte norwegische Stadt Kirkenes, in der zuvor auch viele Vorarl­berger Soldaten waren, im Jahr 1944. Privat

Der Norweger Trygg Hølvold ist der Cousin des kürzlich verstorbenen gebürtigen Vorarlberger Schauspielers Heinz Fitz. Er hat ein Buch über dessen Eltern geschrieben.

Der heute 76-jährige Trygg Hølvold ist in Kirkenes, einer Kleinstadt mit rund 3500 Einwohnern im Nordosten Norwegens, aufgewachsen. Ihre Lage – zehn Kilometer von der russischen Grenze und rund 150 Kilometer Luftlinie von der Stadt Murmansk entfernt – machte sie im Zweiten Weltkrieg zu einer stark umkämpften Stadt. 1940 hatten die Deutschen Norwegen besetzt. In Murmansk war später der einzige Hafen im europäischen Teil der Sowjetunion, den die Nationalsozialisten nicht kontrollierten.

1941, mit dem Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion, wurden an die 30.000 Wehrmachtssoldaten, darunter auch viele Vorarlberger, nach Kirkenes verlegt. Die Sowjetarmee bombardierte die Stadt daraufhin unablässig: Es gab über 1000 Fliegeralarme und mehr als 300 Luftangriffe. 1944 wurde die Stadt von der Roten Armee befreit. Die Deutschen verbrannten bei ihrem Rückzug nahezu alles, was von den Bombardements noch übrig war.

Heinz Fitz
Der norwegische Cousin von Heinz Fitz und Geschichtsforscher Trygg Hølvold. Privat

Der 1948 geborene Hølvold, der bis zu seiner Pensionierung viele Jahre als Manager in der Ölindustrie tätig war, wuchs in der zerstörten Stadt mit dem Wissen auf, dass er eine Tante, eine Schwester seines Vaters, in Österreich hatte und dass diese Norwegen während des Krieges verlassen hatte. Ihm war auch bekannt, dass sie Kinder hatte. Bei dieser Tante handelte es sich um Gerd Hølvold, die sich in einen Hohenemser Wehrmachtssoldaten, Toni, verliebt hatte und schwanger wurde. 1942 wurde sie durch den SS-Verein Lebensborn nach Hohenems zu Tonis Familie gebracht, wo sie im Dezember des Jahres ihren Sohn Heinz, der später Schauspieler wurde, zur Welt brachte. Später heiratete sie einen Lustenauer und bekam noch zwei weitere Kinder (einen Artikel dazu gab es in der NEUE am Sonntag vom 19. Jänner).

1960 erfolgte ein Besuch von Gerd, die in Vorarlberg Gerda genannt wurde, mit zwei Kindern bei Trygg Hølvolds Familie in Norwegen, erinnert er sich. „Heinz war nicht dabei.“ Seine Familie habe selten über Gerd und deren Familie gesprochen, erzählt Hølvold, und auch der Besuch von 1960 sei nicht gut verlaufen. Falls sie wieder mit ihrer Familie zusammenkommen wollte, sei das nicht gelungen, stellt er fest. Heinz Fitz, der 1979 mit seiner Mutter nach Norwegen gefahren ist, wird später erzählen, dass sie von ihrer Familie als „Nazihure“ beschimpft worden sei.

Heinz Fitz, Gerd Hølvold
Gerd Hølvold auf einem Bild, das von der Sicherheitspolizei 1942 für ihren Ausreiseantrag gemacht wurde. Privat

Hølvold, der sich seit vielen Jahren mit der Geschichte Nordnorwegens und besonders seiner Heimatstadt auseinandersetzt, hat von seinem Großvater, der Bürgermeister von Kirkenes war, ein großes Archiv geerbt. Darin sind Hunderte von Fotos und Dokumenten. Daraus ist sein erstes Buch über 350 Jahre nordnorwegische Geschichte entstanden, das er im Eigenverlag veröffentlicht hat. Beim Ordnen des Archivs fielen ihm auch rund 70 Briefe und Dokumente über Gerds Leben in Vorarlberg von 1942 bis 1949 in die Hände, darunter auch Briefe von Toni und dessen Familie. Sie bildeten die Grundlage für ein weiteres Buch im Selbstverlag.

In „Verrat – Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“ erzählt er von der Beziehung zwischen der Bevölkerung und den Besatzern in Kirkenes. Er erzählt die Geschichte von Gerd und Toni, aber auch jene von anderen Beziehungen zwischen Norwegerinnen und Soldaten, darunter einem Dornbirner.
Soldatenväter. „Die Zeit der Besatzung war von Unterdrückung und Gewalt geprägt“, erklärt Hølvold, „aber es entstanden auch viele Freundschaften und Liebesbeziehungen zwischen den Österreichern und der lokalen Bevölkerung“. Rund 220 Kinder in Kirkenes dürften österreichische beziehungsweise deutsche Väter haben, sagt er. „Ich bin mit vielen von ihnen als meinen Freunden aufgewachsen.“

Heinz Fitz
Die erste Seite eines Briefes von Toni an Gerds Familie in Norwegen. Privat

Die Briefe im Archiv des Großvaters würden von einer Liebesgeschichte zwischen Gerd und Toni erzählen, meint Hølvold, vom Traum von einer gemeinsamen Zukunft. Sie hätten sich verlobt und geplant, noch vor der Geburt des Kindes zu heiraten, was aber aufgrund des Kriegs nicht möglich gewesen sei. Aus Hohenems hätte Gerd ihrer Familie geschrieben, wie gut es ihr gehe und wie wunderbar die Eltern ihres Verlobten seien.

Ab 1944 sei Toni dann in den Briefen nicht mehr erwähnt worden, erzählt Hølvold. Er sei davon ausgegangen, dass er in der Endphase des Krieges getötet worden sei. Das war allerdings nicht der Fall. Der Vorarlberger war nach Hohenems zurückgekehrt, wo er eine andere Frau heiratete und weitere Kinder hatte.

Hølvold beschloss irgendwann, nach seinem Cousin Heinz zu suchen. Er „fand“ in Igls bei Innsbruck, wo er lebte. „Das erste Telefonat war für uns beide eine emotionale Begegnung“, erinnert sich der Norweger. Das war 2019. Viele weitere folgten und 2021 ein Besuch von Hølvold in Tirol. Dabei zeigte er Fitz auch die Briefe von dessen Eltern, die dieser zunächst für eine Fälschung hielte. Der Schauspieler war nämlich immer überzeugt gewesen, dass er und seine Mutter nie von seinem Vater und dessen Familie gewollt gewesen seien. Heinz Fitz‘ Lebensgeschichte ist die Grundlage für den Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ von Alois Hotschnig. Darin ist am Ende auch von einem norwegischen Cousin, der Briefe bringt, die Rede.

Heinz Fitz
Heinz Fitz 2021 in seinem Garten in Igls. Trygg Hølvold

Mit der Erlaubnis von Fitz ließ Hølvold das Lebensborn-Archiv in Norwegen öffnen. Darin fanden sich über 140 Dokumente, die Gerd und Toni chronologisch durch den Krieg begleiteten, erzählt Hølvold: Verhöre wegen Übersiedlungsanträgen nach Österreich, Dokumente zum SS-Lebensborn, zum Sozialamt in Hohenems und Briefe des Paares an die deutschen Behörden in Norwegen und Österreich. Fitz erfuhr dadurch und durch die Briefe, dass seine Mutter nicht immer ganz die Wahrheit über seine frühe Kindheit und seinen Vater erzählt hatte, sagt Hølvold.

„Für Gerd war es schwierig, sich an das Leben in ihrer österreichischen Familie zu gewöhnen“, stellt Hølvold fest. „Die Sprache, die Kultur, die Religion waren sehr unterschiedlich und eine Herausforderung für die junge Frau.“ Da Toni an der Front gewesen sei, sei es zu einem Konflikt zwischen Gerd und Tonis Familie gekommen, berichtet Hølvold. Sie sei mit Heinz daraufhin nach Lustenau gezogen. Toni habe lange versucht, den Konflikt zu lösen, damit sie wieder zusammenleben konnten, ist der Norweger überzeugt. Später habe er versucht, Gerda und Heinz zu einer Rückkehr nach Norwegen zu verhelfen, was vom Lebensborn aber abgelehnt worden sei.

Heinz Fitz
Eine Information über Gerd und Heinz an Lebensborn in Oslo. Privat

Hølvold war 2021 auch in Vorarlberg. Hier habe er Nachkommen und Verwandte von Soldaten getroffen, die sich während des Krieges längere Zeit im Raum Kirkenes aufgehalten haben, erzählt er. Im Vorjahr wollte er mit der Vorarlberger Malin-Gesellschaft und dem Historiker Severin Holzknecht als Ansprechpartner sowie lokalen Einrichtungen in Kirkenes eine gemeinsame Veranstaltung im Zeichen der Versöhnung auf die Beine stellen. Die ist aber am Widerstand durch die norwegische Politik beziehungsweise am Protest der russischen Regierung gescheitert.