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Zwangsenteignung nach Innsbrucker Vorbild? In Vorarlberg möglich!

06.04.2025 • 11:00 Uhr
Bausperren
In Innsbruck wurden große Flächen mit Bausperren belegt, um sie für gemeinnützigen Wohnbau zugänglich zu machen. Symbolbilder Klaus Hartinger, Vogewosi. Porträtfotos: Klaus Hartinger, ÖVP Vorarlberg, Philipp Steurer, Neos


In Innsbruck wurden über private Grundstücke Bausperren verhängt, um sie in der Folge für geförderten Wohnbau zugänglich zu machen. Die NEUE am Sonntag hat nachgefragt, was die Raumplanungssprecher der Vorarlberger Landtagsparteien dazu sagen.

Die Stadt Innsbruck hat vergangene Woche angesichts der dort herrschenden Wohnungsnot zu einer für viele drastisch anmutenden Maßnahme gegriffen: Mit großer Mehrheit wurde in der Stadtvertretung eine Bausperre über 23 private Grundflächen beschlossen. Am Ende des Prozesses – der Änderung des Örtlichen Raumordnungskonzepts – sollen die betroffenen rund zehn Hektar von 26 Grundeigentümern als Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau ausgewiesen werden.

Rückwidmung

Maximal 50 Prozent der jeweils mindestens 2500 Quadratmeter großen Fläche muss entweder an die Stadt oder einen gemeinnützigen Bauträger zu Wohn­bauförderkonditionen verkauft werden. Geschieht dies nicht, erfolgt nach zehn Jahren eine Rückwidmung ins Freiland – was natürlich mit erheblichem Wertverlust verbunden ist. Betroffen sind neben Privatpersonen auch kirchliche Einrichtungen, Investoren oder Grundbesitzer aus dem Ausland. Dagegen stimmte in Innsbruck nur die FPÖ, die von „Enteignung“ sprach. Kritik gab es aber auch von anderen Seiten.

Zwangsenteignung nach Innsbrucker Vorbild? In Vorarlberg möglich!
Bernie Weber von den Grünen. Klaus Hartinger

„Das klingt jetzt sehr dramatisch“, meint Bernie Weber, Raumplanungssprecher der Vorarlberger Grünen, zum Innsbrucker Beschluss. Grundsätzlich sei das aber auch in Vorarlberg möglich, informiert er, und verweist diesbezüglich auf den § 20 „Vorbehaltsflächen“ im aktuellen Raumplanungsgesetz des Landes. Zuständig seien dafür aber die Gemeinden, sprich Bürgermeister und „die trauen sich nicht drüber“, sagt er.

“Bei uns traut sich das niemand”

Weber selbst hält das Vorgehen, bei „zu viel gewidmetem Boden“ einen Teil für gemeinnützigen Wohnbau zu verwenden, „durchaus für überlegenswert“ beziehungsweise „erstrebenswert“, wie er dann präzisiert. Und er spricht von einem Fall, bei dem 20.000 Quadratmeter Baugrund in einer Vorarlberger Gemeinde an eine nicht im Land lebende, über 80-jährige entfernte Verwandte vererbt wurde. „Da hätte man doch 5000 Quadratmeter belegen können, aber bei uns traut sich das niemand“. Daher fordert er, dass in dieser Sache auch das Land Druck ausübt. Denn dabei handle es sich auch um ein „Bodenschutzthema“, sagt der Grünen-Abgeordnete. Wenn auf gewidmeten Flächen gebaut werde, stünden landwirtschaftliche weniger unter Druck, so die diesbezügliche Argumentation.

Clemens Ender
Clemens Ender von der ÖVP. ÖVP Vorarlberg

Für Clemens Ender, Raumplanungssprecher der ÖVP, lässt sich die diesbezügliche Rechtslage in den beiden Bundesländern nach ersten Informationen schwer vergleichen. Die Vorbehaltsflächenwidmung, die hierzulande vorgesehen ist, hält er für gut. „So wie in Tirol drübergefahren wird, ist es für mich unverständlich“, sagt der Jurist. Über Eigentümer hinweg zu bestimmen, ohne das Gespräch mit ihnen zu suchen, hält er für sehr problematisch.

“Größte rechtliche Bedenken”

Ender hält es auch nicht für unbedingt sinnvoll, an einem Ort nur gemeinnützigen Wohnbau zu realisieren. Vielmehr plädiert er für einen Mix, bei dem etwa private Mietwohnungen neben gemeinnützigen Wohnungen und anderem errichtet werden. Hierzu verweist er auf ein Beispiel in seiner Heimatgemeinde Götzis, den Garnmarkt. Was den Innsbrucker Beschluss betrifft, sieht er hingegen „größte rechtliche Bedenken“ – etwa in Hinblick auf den Kaufpreis und auch auf die Rückwidmung.

Zwangsenteignung nach Innsbrucker Vorbild? In Vorarlberg möglich!
Mario Leiter von der SPÖ. Philipp Steurer

Für SPÖ-Raumplanungssprecher Mario Leiter ist ein Vorgehen wie in Innsbruck auch nicht erste Wahl. Zuerst müsse man schauen, wie viele Flächen die Gemeinden selber haben und diese für gemeinnützigen Wohnbau verwenden, sagt er. Und: „Wir müssen schauen, dass die Gemeinden genügend Grundstücke dafür zur Verfügung haben.“ Ein nächster Schritt sei, dass bei Quartiersentwicklungen ein Teil fürs günstigere Wohnen verwendet werde, sagt der SPÖ-Abgeordnete. Erst als dritten und letzten Schritt, „wenn man gar keine Grundstücke hat“, kann sich Leiter ein Eingreifen bei privaten Böden vorstellen.

Neos, Garry Thür
Garry Thür von den Neos. Neos

Für Garry Thür, der bei den Neos für die Raumplanung zuständig ist, klingt das Ganze ein bisschen wie eine „Möglichkeit zur Enteignung“. So etwas sollte das „absolut letztmögliche Mittel“ sein, sagt er. Thür ist überzeugt, dass ein derartiges Vorgehen im Bereich geförderter Wohnbau in Vorarlberg auch nicht notwendig ist. Die Vogewosi habe laut dem Neos-Raumplanungssprecher noch genügend Vorratsflächen.
Vom FPÖ-Raumplanungssprecher war trotz mehrmaliger Versuche keine Stellungnahme zu bekommen.

Zwangsenteignung nach Innsbrucker Vorbild? In Vorarlberg möglich!
Landesrat Marco Tittler. Dietmar Stiplovsek

„Örtliche Raumplanung liegt bei Gemeinden“

Raumplanungslandesrat Marco Tittler über Enteignungen, Hilfen bei Umweltschäden und Vorbehaltsflächen.

In was für Fällen kommt es in Vorarlberg zu Zwangsenteignungen von Grundstücken?
Marco Tittler: Grundsätzlich ist das Privateigentum in Vorarlberg ein hohes und zu schützendes Gut. Planungen sind unter größtmöglicher Schonung des Privateigentums durchzuführen (§ 3 RPG). Ein zwangsweiser Eingriff ist nur in Ausnahmefällen und als „ultima ratio“ möglich. In meiner Amtszeit war das bisher nur ein einziges Mal in Zusammenhang mit der Errichtung des Radwegs zum neuen Autobahnanschluss Dornbirn Süd notwendig, weil sich entlang des gesamten Radwegs ein einziger Eigentümer einer Abgeltung der Flächen verweigert hat und somit ein Lückenschluss auf wenigen Metern der Strecke nicht möglich war.

Wie wird das Land vorgehen, sollte es in Zukunft vermehrt zu Umweltschäden an Gebäuden und Grundstücken (Stichwort Hangrutschung Hörbranz) kommen? Wird es da weiterhin finanzielle Unterstützung geben?
Tittler: Umweltschäden sollen durch vorausschauende Planung unter Anwendung der entsprechenden Instrumente der örtlichen Raumplanung (Gefahrenzonenplan, Flächenwidmungsplan, …) möglichst vermieden werden. Das Land unterstützt dabei mit zusätzlichen Ressourcen (Landesgeologie, Wasserwirtschaft, …). Bei tragischen Einzelfällen werden die Betroffenen durch das Land selbstverständlich auch in Zukunft unterstützt – zum Beispiel mit Mitteln aus dem Katastrophenfonds.

In der Stadt Innsbruck kam es vergangene Woche zu einem heftig diskutierten Beschluss, um Grundstücke für den gemeinnützigen Wohnbau zugänglich zu machen. Wäre so was auch in Vorarlberg vorstellbar?
Tittler: Die örtliche Raumplanung liegt im Verantwortungsbereich der Gemeinden. Es ist ihre Aufgabe, im Rahmen der Flächenwidmungsplanung entsprechende Flächen zum Beispiel für gemeinnützigen Wohnbau zu sichern. Die notwendigen Instrumente wie beispielsweise Vorbehaltsflächen stehen den Gemeinden über das Raumplanungsgesetz in Vorarl­berg bereits zur Verfügung. So wurde zum Beispiel im Rahmen der jüngsten Novelle des Raumplanungsgesetzes extra dafür die Vorbehaltsfläche „förderbarer Wohnbau“ eingeführt. Den Gemeinden in Vorarlberg steht es dadurch offen, Grundstücke mit einer Vorbehaltsfläche für den gemeinnützigen Wohnbau oder für den gesamten förderbaren Wohnbau zu belegen.