Vom Gastarbeiterkind zur ersten migrantischen Anwältin in Vorarlberg

Emelle Eğlenceoğlu weiß, was es heißt, sich zu erklären. Als Gastarbeiterkind begleitete sie ihre Eltern aufs Amt – heute steht sie anderen als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin zur Seite.
Wenn es zur Bezirkshauptmannschaft ging, durfte sie nichts falsch machen. Emelle Eğlenceoğlu war noch ein Kind, als sie für ihre Eltern Formulare ausfüllte, übersetzte, mit Beamten sprach. „Ich wusste oft nicht, worum es geht, aber ich wusste, dass es wichtig ist und ich keinen Fehler machen darf.“ Vielleicht, sagt sie heute, war genau das der Moment, in dem sie begonnen habe, sich für das Recht zu interessieren. „Ich wollte verstehen, wie das System funktioniert.“
Emelle Eğlenceoğlu ist die Tochter eines Schuhmachers aus der türkischen Stadt Kayseri. Ihr Vater, Selim Eğlenceoğlu, kam in den 1960er-Jahren als Gastarbeiter nach Lech am Arlberg und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung beim Traditionsunternehmen Strolz. Tochter Emelle war eineinhalb Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter nachkam, etwas später ihre beiden Brüder. Der Nobelskiort Lech wurde zur Heimat. Sie fühlte sich als Einheimische und war zugleich immer die Andere. In der Schule war sie gut, unauffällig, ehrgeizig. Aber der Name, die Herkunft und die Vorurteile blieben. Und mit ihnen das Gefühl, sich noch einmal mehr beweisen zu müssen. „Ich wollte zeigen, dass ich es schaffe. Dass ich etwas kann.“

„Wenn du mit ihm geredet hast, hattest du das Gefühl, dass du alles erreichen kannst.“
Emelle Eğlenceoğlu über ihren Bruder Mehmet Eğlenceoğlu (✝)
Der Bruder als Vorbild
Ihr älterer Bruder Mehmet, der mittlerweile verstorben ist, wurde zum Vorbild. Ein Macher und Kämpfer sei er gewesen, aber auch ein Draufgänger, der schon als Bub „wie die Hölle Ski gefahren ist“. Später brachte er den Arlberg nach Anatolien. Am Erciyes, einem 3900 Meter hohen erloschenen Vulkan, wo früher nur ein klappriger Sessellift gestanden hatte, plante und realisierte er ein modernes Skigebiet mit Gondeln, Schneekanonen und Pisten wie in Lech. Heute ist der Erciyes das größte Wintersportgebiet der Türkei. Von ihrem Bruder Mehmet fühlte sich Emelle Eğlenceoğlu immer bestärkt. „Wenn du mit ihm geredet hast, hattest du das Gefühl, dass du alles erreichen kannst.“

Harte Schule in Wien
Nach der Matura studierte sie Rechtswissenschaften in Innsbruck. Schon früh interessierte sie sich für das Fremdenrecht – auch, weil sie selbst erlebt hatte, wie abhängig Menschen vom richtigen Stempel, vom richtigen Formular sind. Wer darf bleiben, wer muss gehen? Wer versteht überhaupt, was da steht? Ihre Dissertation schrieb sie über aufenthaltsrechtliche Fragen und das Arbeitsrecht von Nicht-EU-Bürgern.
NEUE-SERIE “Hinter den Kulissen des Rechts: Drei Fälle mit …”
In dieser Serie geben Vorarlberger Anwältinnen und Anwälte Einblick in drei Fälle, die
ihnen in besonderer Erinnerung geblieben sind. Es geht dabei nicht nur um spektakuläre Strafprozesse, sondern um die Vielfalt des juristischen Alltags – und um Momente, die sich eingeprägt
haben. Manche dieser Fälle waren kurios, andere fordernd, wieder andere prägend für die weitere
Berufslaufbahn. Gleichzeitig erlaubt die Serie einen persönlichen Blick auf jene, die in diesen
Verfahren Verantwortung tragen – und auf das, was ihnen dabei wichtig ist.
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Nach dem Gerichtsjahr ging sie für zweieinhalb Jahre nach Wien. „Ich musste Tag und Nacht arbeiten. Das war eine extrem harte, aber gute Schule“, erinnert sie sich. Später zog es sie zurück nach Vorarlberg: wegen der Familie, den Bergen und der Liebe. Der berufliche Einstieg in Vorarlberg war herausfordernd. Als Frau mit türkischem Namen hatte sie andere Voraussetzungen als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Dennoch glückte der Start – und zwar gleich bei einer der damals renommiertesten Kanzleien des Landes: Hirn & Hirn in Feldkirch. „Die hatten den Ruf, sehr streng zu sein. Aber sie haben einen machen lassen und klar gesagt, wenn etwas nicht passt.“

Im Jahr 2007 ließ sich Eğlenceoğlu als selbstständige Rechtsanwältin eintragen. Sie war damals die erste migrantische Anwältin Vorarlbergs. In ihrer Kanzlei, nur einen Steinwurf vom Landesgericht entfernt, berät sie in sämtlichen Rechtsbereichen. Viele ihrer Klienten haben einen Migrationshintergrund. Nicht nur, weil sie Türkisch spricht, sondern weil sie sich sehr gut im Fremdenrecht auskennt – ein Bereich, den nicht viele Anwälte in Vorarlberg bearbeiten. Das sei eine schwierige Materie, sagt sie. „Ständig ändert sich etwas und fast immer zu Lasten der Betroffenen. Das will sich nicht jeder antun.“