Nach einer 180-Grad-Wende zum Schulabschluss mit Auszeichnung

Der 17-jährige Kilian Huy beginnt im Herbst eine Lehre zum Maurer. Er erzählt, warum der Weg dahin nicht immer einfach war, und wie es „Klick“ gemacht hat.
Da oben habe ich meinen Pflichtschulabschluss nachgeholt“, sagt Kilian Huy und deutet zu einem offenen Fenster im zweiten Stockwerk, als er gerade mit der NEUE über den Parkplatz zu einer Integra-Werkstätte in Wolfurt spaziert. Dort hat der 17-Jährige ebenfalls bereits geschnuppert. Doch die Arbeit auf der Baustelle hat den Bregenzer mehr überzeugt als die Schlosserei. Für ihn war klar, dass er eine fordernde körperliche Arbeit und „schwitzen“ will. Das Schnuppern auf drei Baustellen hat ihm am meisten Spaß gemacht. Anfang September wird er seine Lehrer als Maurer bei einem Bauunternehmen im Unterland beginnen. Im Februar 2024 hat er den geforderten Pflichtschulabschluss auf AHS-Niveau mit nur Einsen abgeschlossen – das heißt mit Auszeichnung. Der Weg dahin war aber nicht immer einfach.
Persönlichkeitsentwicklung
Besonders die Trainerin des Integra-Pflichtschulabschluss-Programms (PSA) Elke Rhomberg hat ihn im vergangenen Jahr motiviert, wie der Bregenzer erzählt. Denn nicht unbedingt mit dem Lernen des Stoffes hat er sich schwergetan. Stattdessen hat er in diesem Jahr, in dem er das PSA-Programm absolvierte, andere Fertigkeiten erlernen können – nämlich Zuverlässigkeit, Organisation und Pünktlichkeit. „Ich glaube, dass es wegen ihr so gut gegangen ist. Sie hat immer die richtigen Worte gefunden“, blickt er auf sein „wertvollstes Jahr“ zurück, wie er es bezeichnet. „Es hat mir gezeigt, dass ich ohne Struktur nicht kann“, resümiert er.

Eine solche Struktur hatte ihm in seiner Vergangenheit nämlich teilweise gefehlt. Mit 12 Jahren hatte er ein zwei Jahre älteres Mädchen kennengelernt, das ihn faszinierte. „Ich hatte mich in sie verschaut und war mit ihr unterwegs“, erzählt er. Durch sie ist er in eine entsprechende Szene gerutscht, wodurch er vermehrt mit Alkohol in Kontakt kam. Was ihn damals an der Clique gereizt hat, kann er beim Gespräch mit der NEUE nicht mehr gänzlich nachvollziehen. Das Verbotene habe wahrscheinlich den Reiz ausgemacht. Außerdem ist er ein geselliger Typ.
Dieser Lebensabschnitt begann sehr plötzlich. Er machte eine durchwachsene Phase durch, welche den Höhepunkt mit 15 Jahren hatte. Er fehlte oft in der Schule, wurde zu Hause hinausgeworfen, hauste kurzzeitig in der Wohngruppe „Kompass“ des Institut für Sozialdienste (ifs) in Feldkirch, zog wieder bei seiner Mutter ein und hatte bereits eine Gerichtsverhandlung. Am BG Gallus durfte er irgendwann nicht mehr wiederholen und wechselte in die Mittelschule Rieden, wo er nur noch die Zeit absaß.
WerkStadt Bregenz
Im Rahmen des Jugendarbeitsprojekts der „Integra Vorarlbeg“ in Neu Amerika in Bregenz können junge Leute freiwillig arbiten. Wenn sie kommen, bekommen sie Geld, wenn sie nicht auftauchen, nicht. Es werden unter anderem Spielplätze kontrolliert und gewartet. Basiskopetenzen werden gelehrt.
Rückblickend würde Huy seinem jüngeren Ich raten, dass er mehr auf die Leute achten hätte sollen, die ihm helfen wollten. Etwa die Lehrenden im BG Gallus würde er heute mehr wertschätzen. „Jeder wollte mir die Hand reichen, aber ich habe sie weggeschlagen“, bereut er heute.
„Nicht jeder hat so eine Mama“ Auch seine Mama sei immer hinter ihm gestanden, was nicht selbstverständlich sei. Er und seine Mama nahmen Familientherapie des ifs in Anspruch.

„Sie war überfordert und wusste nicht, wie sie damit umgehen soll“, erzählt er. Damals hat der Jugendliche nicht darüber nachgedacht, welche Auswirkungen seine Handlungen auf sie haben. „Ich habe einfach weggeschaut, ohne es zu wissen“, reflektiert er. Als ihm später klar wurde, wie schlecht es damals seiner Mutter ging, war er schockiert: „Das hat mir richtig wehgetan.“
Diese Erkenntnis traf ihn „aus heiterem Himmel“, als Freunde bei ihm zu Besuch waren und er auf dem WC in den Spiegel schaute. Er erzählt von plötzlichen Tränen. „Auf einmal habe ich meine Mutter in Gedanken vor Augen gehabt, wie sie weint und sich fragt: Was mach’ ich falsch?“, erinnert er sich zurück.
Der Entschluss, ein Macher zu sein
Das war einer seiner Schlüsselmomente, der Anstoß für Veränderungen war. Er erzählt noch von einem weiteren Wendepunkt, als er entschieden hat, dass er ab jetzt ein „Macher“ sein will und etwas erreichen möchte. Seine Mutter ist stolz auf seinen neu eingeschlagenen Weg, wie Huy erzählt. Sogar seine Großeltern haben sich inzwischen nach längerer Zeit Funkstille bei ihm gemeldet, um ihm mitzuteilen, dass sie stolz sind.

Neue Freunde, neue Ziele
Inzwischen zählt er andere Freunde seinen engsten Bezugspersonen. Es sind Freunde, die Ziele haben und verfolgen. Diese waren auch Vorbild in Sachen Schulabschluss für ihn. Einer seiner Freunde begeisterte ihn für die Arbeit auf der Baustelle – er ist ebenfalls Maurer. Mit ihm hat er vergangene Wintersaison nach einer Pause erneut begonnen, Ski zu fahren. Als Kind fuhr er sogar Skirennen, hatte dies jedoch zwischendurch aus den Augen verloren.
Bis zu seinem Lehrbeginn vergehen noch wenige Monate. Am liebsten würde er bereits jetzt schon beginnen zu arbeiten. Deswegen wird er im Sommer erneut in der „WerkStadt“ tätig sein, wo seine Reise bei Integra begann. Als er 2022 dort zu arbeiten startete, erfuhr er vom PSA-Programm und war gleich davon überzeugt. Für ihn ist es wichtig, dass er bis zum Lehrbeginn seine Tagesstruktur beibehält. Vom ständigen Ausschlafen zum frühen Aufstehen um fünf Uhr wäre es nämlich sonst eine zu große Umstellung „von 0 auf 100“. Dem will er schon vorbeugen. Denn sein aktuelles Ziel ist: in der Lehre „Vollgas zu geben“. „Ich habe Bock drauf“, sagt der 17-Jährige motiviert.
Drei Fragen an Projektleiterin Elena Assumma
1) Warum ist ein Pflichtschulabschluss wichtig?
Elena Assumma: Er ist aus mehreren Gründen von entscheidender Bedeutung. Erstens stellt er die Mindestbildung dar, die für die meisten Berufe erforderlich ist. Ohne diesen Abschluss sind viele Arbeitsmöglichkeiten nicht zugänglich, was die Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten einschränkt. Darüber hinaus vermittelt eine Grundbildung wesentliche Fähigkeiten, die in fast allen Arbeitsbereichen, sowie im Alltag unverzichtbar sind.
2) Warum ist es wichtig, gerade die 15 -bis 24-Jährigen zu unterstützen?
Assumma: Die Unterstützung der Jugendlichen auf ihrem Weg in die Arbeitswelt ist entscheidend, da dies eine grundlegende Übergangsphase ist. In diesen Jahren entwickeln junge Menschen Fähigkeiten, Erfahrungen und berufliche Netzwerke, die ihre zukünftige Berufslaufbahn beeinflussen werden. Ohne Unterstützung laufen sie Gefahr, vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden, was negative Folgen sowohl für ihre persönliche Entwicklung als auch für die Gesellschaft insgesamt hat.
3) Wie läuft das PSA-Programm ab?
Assumma: Zweimal im Jahr findet die Infoveranstaltung mit Einstufungstest statt. Jeder zwischen 15 und 24 Jahren kann teilnehmen. Dann beginnt der Unterricht Das Programm dauert ein Jahr. Die Jugendlichen müssen sechs Prüfungen ablegen. Nach Bestehen der sechs Prüfungen erhalten sie ihren Pflichtschulabschluss.