Warum Verhütung alle etwas angeht

Verhütung ist Frauensache. Das kann finanziell und mental belastend sein. Doch sexuell übertragbare Krankheiten betreffen alle – und Verhütung somit auch Männer.
Ganz Österreich blickt aktuell auf Vorarlberg. Denn rund 3500 Frauen erhalten in einem Pilotprojekt ab Herbst bis Ende 2026 Zugang zu gratis Verhütung. Die Anmeldung ist beim Fraueninformationszentrum „Femail“ möglich. Es ist ein Pilotprojekt, für welches vom Gesundheitministerium eine Million Euro zur Verfügung gestellt wird, wie Gesundheitminister Johannes Rauch am Montag bei der Vorstellung des Verhütungsberichts 2024 in Wien verkündet hat. Es soll als Praxistest eine Grundlage für weitere politische Entscheidungen für ganz Österreich darstellen.

Männer profitieren nicht vom Pilotprojekt, denn Verhütung ist vorwiegend noch Frauensache. Grund dafür ist, dass die meisten Verhütungsmittel so konzipiert sind, dass sie auf den Körper der Frau wirken, erklärt Geschäftsführerin des Vorarlberger Fraueninformationszentrums „Femail“, Lea Putz-Erath, der NEUE. „Bisher wurden keine reversiblen Verhütungsmittel für Männer erforscht, die es in die breite Anwendung geschafft haben.“ Laut dem Bericht trägt die Hälfte der Frauen in Österreich die Kosten für die Verhütungsmittel alleine. Nur 27 Prozent teilen die Kosten mit ihrem Partner. Deswegen wird zukünftig die geteilte Verhütungsverantwortung in der psychosozialen Verhütungsberatung bei „Femail“ angeboten werden.

Die alleinige Verantwortung kann sowohl mental als auch finanziell belastend sein. Ein Ergebnis des Berichts zeigt besonders, dass die Finanzen Einfluss auf den Umgang mit Verhütung haben. 36,6 Prozent der Frauen würden das Verhütungsverhalten nämlich im Fall einer Kostenübernahme ändern: Sie würden überhaupt beginnen, zu verhüten, anders verhüten oder sogar häufiger verhüten.
Mehr Testungen in diesem Jahr
Die meisten der Verhütungsmethoden zielen darauf ab, Schwangerschaften zu verhindern. Doch obwohl Verhütung wohl Frauensache ist, betreffen besonders sexuell übertragbare Krankheiten beide Geschlechter. Dagegen wirken Pille, Stäbchen und Spirale nicht. Nur Kondom und Lecktuch bieten dabei einen möglichen Schutz.

In Europa nehmen die Infektionen zu. „Laut dem ECDC steigen die Zahlen an Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien und auch HIV“, warnt die Geschäftsführerin von „Sexuelle Gesundheit Vorarlberg“, Manuela Köhler. Bakterielle Erkrankungen sind mit Antibiotika gut therapierbar, zeigen jedoch nicht immer Symptome. So ist die Testung ein guter Weg, um eine Weiterverbreitung zu verhindern.

Die Aidshilfe wurde im Dezember vergangenen Jahres in „Sexuelle Gesundheit Vorarlberg“ umbenannt, um auch weitere Zielgruppen besser anzusprechen. Seitdem verzeichnet Köhler auch einen Anstieg bei den Testungen. So gab es von Januar bis Mai 35 Prozent mehr Testungen als im Vorjahr. Dieses vermehrte Interesse führt sie auf die Namensänderung zurück. In der Stelle in Bregenz wird nicht nur getestet, es wird auch aufgeklärt. Für Köhler ist wichtig, dass viele Personen erreicht und zum Thema sexuelle Gesundheit sensibilisiert werden. Denn sexuell übertragbare Krankheiten gehen nicht nur einzelne Personen etwas an. „Alle Menschen, die sexuell aktiv sind, sind betroffen“, betont Köhler. Dabei gehe es keinesfalls nur um die jungen Menschen.
“Kondome, Kondome, Kondome”
„Ein Ziel wäre, dass die Tests so dazugehören, wie man zur Zahnprophylaxe oder zu der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchung geht“, meint Köhler. Gerade bei einem Partnerwechsel empfiehlt sie einen Test. Aber auch nach Risikosituationen rät sie dazu. Das kann etwa bei Geschlechtsverkehr ohne Kondom oder bei häufig wechselnden Sexualpartnern der Fall sein.

Damit es erst gar nicht zu einer risikoreichen Situation kommt, empfiehlt sie: „Kondome, Kondome, Kondome“, aber auch die Reinigung von Sexspielzeug bei neuen Partnern. Gleichzeitig ist Bewusstsein und Aufklärung für sie ausschlaggebend. Gerade bei den medial präsenten Erregern wie HPV und HIV beobachtet sie vermehrt ein Bewusstsein. Bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten fehlt hingegen noch das Wissen in der Bevölkerung. „Chlamydien, Gonorrhoe, Syphilis und HIV kommen alle in Vorarlberg vor“, so Köhler. Bei „Sexuelle Gesundheit Vorarlberg“ können alle diese Krankheiten und zusätzlich noch Hepatitis C anonym getestet werden. Warum es trotzdem noch ein Tabu ist? „Sexuell übertragbare Krankheiten haben etwa mit Sex zu tun, und Sex ist ein Tabuthema.“
Umfrage: So gehen die Vorarlberger mit Verhütung um

“Ich finde es super, wenn die Verhütung gratis ist“, sind sich alle Passanten einig, welche die NEUE in der Bregenzer Innenstadt zum Pilotprojekt befragt. Die Finanzen in Sachen Verhütung scheinen doch ein Thema zu sein, welches die Leute beschäftigt. „Als Studentin war das schon eine finanzielle Belastung, alle drei Wochen die Pille mit Rezept für 17 Euro zu holen“, meint eine 33-jährige Lehrerin. Inzwischen nimmt sie die Antibabypille nicht mehr – aufgrund der extremen Nebenwirkungen. Nun zahlt ihr Partner seit der Schwangerschaft die Kondome. „In meinem Bekanntenkreis ist es doch immer noch die Sache von der Frau“, meint die Dornbirnerin. Bei den Schülern in der Oberstufe nimmt sie vorwiegend wahr, dass das Thema Schwangerschaft in den Köpfen vorherrscht, Krankheiten seien hingegen nicht derart stark im Bewusstsein.
Ähnliches beobachtet Petra Schockenhoff, die als Arztsekretärin in einer Schweizer Notfallambulanz tätig ist. Die Wahllauteracherin bezeichnet einige junge Patienten als „kopflos“. „Die rennen auf die Notfallambulanz und verlangen nach einem HIV-Test“, erzählt sie vom Alltag in der ohnehin schon überlasteten Notfallambulanz. Derartige Fälle seien zuletzt mehr geworden. Dabei seien Alkohol und fehlende Aufklärung eine ungünstige Mischung. „Da müsste man Aufklärungsarbeit leisten“, fordert sie.
„Viele kennen HIV, doch dann hört es bei den meisten auf“, ist auch Gabriel Böhmer überzeugt, dass teilweise das Wissen fehlt. Heterosexuelle Personen würden sich zu sehr in Sicherheit wiegen und denken, „mir passiert da schon nichts“. Vorrangig sei das Ziel in seinem Umkreis, Schwangerschaften zu verhindern. In Sachen Gesundheit ist für ihn Kommunikation das Ziel, auch wenn es ein intimes Thema ist. „Mir ist wichtig, zu wissen, ob meine Partnerin verhütet, sowohl im Bezug auf Kinder als auch auf Krankheiten“, meint der 24-Jährige. Über die Kostenteilung hat der Münchner jedoch noch nie nachgedacht, fällt ihm auf. Er plädiert jedoch sowieso für gratis oder günstigere Verhütungsmittel.
Für Anne Bareiß stand die finanzielle Frage nie zur Debatte: „Es ist doch klar, dass da beide beteiligt sein müssen.“ Sie hätte sich gemeinsam mit ihrem bisher einzigen Partner Gedanken darüber gemacht. Die 69-Jährige hofft, dass dies auch heute noch so ist, dass man es sich aufteilt.
Von Laura Schwärzler und Pauline Paterno