Kleinschulidylle in Lorüns: Ein Ort, an dem jedes Kind zählt

01.09.2024 • 12:00 Uhr
Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
v.l.: Schulleiterin Sabrina Bacher und Lehrerin Claudia Amann. Hartinger

Noch eine Woche Ferien und dann steht der Schulanfang wieder bevor. So auch in der Volksschule Lorüns. Es ist eine der wenigen Kleinschulen, die es in Vorarlberg noch gibt.

Die Gänge in der Volksschule Lorüns sind leer, der Boden glänzt frisch poliert, es ist noch still und Schulleiterin Sabrina Bacher und Lehrerin Claudia Amann dekorieren gerade das Giraffenklassenzimmer und das Blumenklassenzimmer.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Der alte Gebäudeteil ist über 100 Jahre alt, der neue angebaute Teil ist 30 Jahre alt. Denn im Gegensatz zu früher wird etwa eine Turnhalle gebraucht. Hartinger

Ab neuntem September wird hier wieder mehr los sein. Es gibt dann endlich die Schultüte und es wird von den Ferien erzählt.Doch anders als an vielen anderen Schulen werden hier nicht große Kinderscharen durch die Schulgänge ziehen. Nicht nur das gelbe Gebäude mit der Aufschrift „Schulhaus“ erinnert an frühere Zeiten, auch die Schulgröße tut es. Genau so viele Kinder wie Pflanzen im Blumenklassenzimmer bereitstehen, werden erwartet: Insgesamt fünfzehn Schüler, die alle die gleiche Klasse besuchen. Unter ihnen sind zwei Erstklässlerinnen und zwei Erstklässler.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Jeder Schüler hat eine Pflanze, die er von der ersten bis zur vierten Klasse pflegt und dann mitnehmen darf. Hartinger

Die vier bekommen im ersten Schuljahr eine Sukkulente, die sie dann über die vier Jahre im Schulalltag pflegen und gießen. Das nehmen sie sehr ernst. „In der vierten Klasse sind sie irrsinnig stolz, wenn sie die Pflanze mit heim nehmen dürfen“, erzählt Bacher. So hat sie ihre eigene Leidenschaft für Topfpflanzen in den Schulalltag integriert.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Nicht nur die Schüler wachsen mit den Schuljahren, sondern auch ihre Pflanzen. Hartinger

Die gebürtige Kärntnerin ist seit fünf Jahren Schulleiterin in Lorüns. Der damalige Schulleiter ging zu dem Zeitpunkt in Pension. Zuvor hat Bacher bereits in Bludenz, in Feldkirch Levis und in Wien Floridsdorf unterrichtet. Der Umstieg von der großen Stadtschule zur Kleinschule im 300-Einwohner-Dorf war eine Umstellung für die Wahlbludenzerin. Besonders bei der Unterrichtsgestaltung und Vorbereitung für den schulstufenübergreifenden Unterricht. Aber auch der Schulalltag ist ein anderer. „Wenn hier zum Beispiel ein Kind in der Früh kommt und sagt, ich habe die Federschachtel vergessen, dann sage ich: laufe heim und hol deine Sachen, weil du wohnst gleich da drüben und Mama ist noch da. Im Feldkirch geht es nicht“, erzählt sie.

Persönliches Miteinander

Sie kennt als Schulleiterin alle Namen und die Geburtsdaten der Kinder auswendig. „Du kennst deine Kinder, du weißt, wie muss ich ein Kind ansprechen? Sie sind unterschiedlich und da weiß ich, bei dem muss ich strenger sein. Und wenn ich bei dem anderen da so streng wäre, wäre der in Tränen aufgelöst, da weiß ich, dass ich ein bisschen behutsamer sein muss“, so Bacher.
Wenn die Schüler sich auf den Heimweg machen, beobachtet die 40-Jährige diese teilweise noch eine Stunde später vor dem Fenster, weil sie etwa noch bei einer Klassenkameradin Kaninchen angeschaut haben. In Wien hingegen wurden die Kinder von der Schule abgeholt und zu Spieldates gebracht, erzählt sie. In Lorüns lernen sie hingegen schon früh mit Warnweste das Verhalten im Straßenverkehr.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Im Giraffenzimmer herrscht die Regel, dass nur gewaltfreie Sprache verwendet werden darf. Hartinger

Gerade wegen dieser Gemeinschaft innerhalb des Ortes und weil es in Kleinschulen behütet ist, empfindet sie es als wichtig, dass in kleinen Orten wie Lorüns eine Volksschule aufrechterhalten bleibt. „Für uns ist es die größte Sorge, dass irgendwann aufgrund des Lehrermangels derart kleine Schulen zugemacht werden“, so Bacher. Etwa wird am diesjährigen ersten Schultag die Volksschule Bersbuch die Türen nicht öffnen, weil keine Schulleitung gefunden wurde. Die Schule wurde vorerst stillgelegt. Bacher verweist auf Kärnten, wo viel größere Schulen mit etwa 40 Schülern schließen würden.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Direktorin Sabrina Bacher hat ihre Schulart gefunden, bei der sie sich wohl fühlt. Hartinger

Altersübergreifender Unterricht

Bacher hat sich schnell in ihre Position als Schulleiterin in der Kleinschule eingefunden. Sie kann auf ein breitgefächertes Ausbildungsspektrum und Lehrerfahrung zurückgreifen. Doch gerade für Einsteigerinnen kann eine Kleinschule herausfordernd sein. Denn die Aufgaben der Schulleitungen an Kleinschulen ist mannigfaltig und reicht von Elterngesprächen über Unterrichtsvorbereitung bis zur Organisation des Schulbetriebes. Und die Planung des Unterrichts für fünf Schulstufen gleichzeitig kann herausfordern sein: „Wir haben jedes Jahr Studierende und da merke ich schon, wie die teils an ihre Grenzen kommen.“

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Sabrina Bacher und Claudia Amann begegnen bei den Vorbereitungen schon ihren Schülern vor der Schule, die ihnen freudig zurufen. Hartinger

Die Einrichtung der Klasse deutet schon dahin, wie in Lorüns unterrichtet wird. Die Tische stehen in U-Form, so kann die Lehrerin dazwischen auf einen Stuhl sitzen und den unterschiedlichen Gruppen oder einzelnen Schülern ihre Aufgaben erklären. An der Tafel steht Bacher selten – da alle Schüler andere Aufgaben haben.

Die Schüler sind zwar in manchen Fächern wie Englisch, Deutsch, Mathe und Werken in zwei Gruppen geteilt. Doch andere Fächer wie Sachunterricht, Kunst oder Musik oder Religion werden altersübergreifend unterrichtet. Dann wird etwa mit allen Schulstufen das Thema Mittelalter durchgenommen – nur mit diversen Herangehensweisen. Dafür können dann keine herkömmlichen Schulbücher eingesetzt werden, da darin ein Thema meist nur in einer Schulstufe behandelt wird. So müssen schulstufengerechte Materialien zum gleichen Thema erstellt werden. Während die Erstklässler etwa die schon geschriebenen Antworten zum Thema Burgen aufkleben, müssen die Viertklässler die Antworten als Texte verfassen.

Direktorin Sabrina Bacher zeigt uns die Schule, die nur eine Klasse hat und zwei Lehrkräfte
Sabrina Bacher im Gespräch mit der NEUE. Hartinger

Dabei können die Kleinen von den Großen lernen, wenn diese ihnen etwas erklären. Gleichzeitig lernen die Älteren, wenn sie etwas Erklären dürfen. Doch nicht nur Wissen können sie sich voneinander aneignen – auch die sozialen Kompetenzen werden besonders gestärkt.