Ein vergiftetes Baby, eine zerstörte Niere, eine nicht notwendige OP: Drei Fälle mit Anwalt Patrick Beichl

12.05.2025 • 09:04 Uhr
Ein vergiftetes Baby, eine zerstörte Niere, eine nicht notwendige OP: Drei Fälle mit Anwalt Patrick Beichl
Anwalt Patrick Beichl im NEUE-Gespräch. Hartinger

Anwalt Patrick Beichl spricht in der NEUE_Serie “Hinter den Kulissen des Rechts: Drei Fälle mit …” über Behandlungen, die schiefgegangen sind – und davon, wie schwer es ist, medizinische Fehler überhaupt nachzuweisen.

Fall 1: Das vergiftete Baby

Ein besonders aufwühlender Fall betrifft ein Neugeborenes, das im Sommer 2021 im Dornbirner Stadtspital zur Welt kam. Die Geburt verlief ohne Komplikationen, das Kind war zunächst stabil, schrie kräftig und wirkte wach. Doch wenige Stunden später änderte sich der Zustand plötzlich. „Das Baby wurde apathisch, zeigte kaum noch Reaktionen und musste schließlich sogar beatmet werden“, erinnert sich Beichl. Eine Harnprobe, die im LKH Feldkirch analysiert wurde, ergab Hinweise auf das Schlaf- und Beruhigungsmittel Midazolam – allerdings ohne Rückschluss auf die Dosierung. Die Vermutung, die Substanz könnte über die Mutter auf das Kind übertragen worden sein, konnte durch eine weitere Untersuchung ausgeräumt werden.

Ein vergiftetes Baby, eine zerstörte Niere, eine nicht notwendige OP: Drei Fälle mit Anwalt Patrick Beichl
Der Feldkircher Anwalt Patrick Beichl bearbeitet fast ausschließlich Arzthaftungsfälle. Hartinger


Dass dieser Verdacht überhaupt im Raum stand, ärgert Beichl bis heute. Für ihn steht fest: „Man versuchte, es der Mutter in die Schuhe zu schieben. Das Krankenhaus hatte kein Interesse daran, aufzuklären, was wirklich passiert ist.“
Im Zivilprozess, den die Eltern des Babys gegen die Stadt Dornbirn als Spitalsträgerin führten, stellte ein Gerichtsgutachter auf Basis einer eingelagerten Blutprobe des Babys fest, dass es sich um eine „exzessiv erhöhte Dosierung“ handelte – vergleichbar mit der Menge, die normalerweise für Erwachsene vorgesehen ist. In der Spitalsdokumentation fand sich dazu kein Eintrag. Letztlich wurde im Verfahren ein Behandlungsfehler festgestellt, weil keinerlei medizinische Indikation für die Gabe des Medikaments bestand. „Der schlechte Zustand des Babys war zweifellos darauf zurückzuführen“, sagt Beichl.

Ein vergiftetes Baby, eine zerstörte Niere, eine nicht notwendige OP: Drei Fälle mit Anwalt Patrick Beichl
Hartinger


Die ersten Monate seien für die Familie extrem belastend gewesen. „Die Ungewissheit, was mit ihrem Kind passiert ist, war für sie schwer auszuhalten.“ Inzwischen gehe es dem Buben gut, mögliche Spätfolgen sollen später durch ein weiteres Gutachten abgeklärt werden. Die Familie klagte auf 36.000 Euro Schadenersatz, mittlerweile wurde jedoch ein Vergleich erzielt. Geld sei für die Eltern aber nicht ausschlaggebend gewesen, sagt Beichl. „Sie wollten wissen, was im Krankenhaus passiert ist – und vor allem sicherstellen, dass es nicht wieder passiert.“ Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen fahrlässiger Körperverletzung, stellte das Verfahren jedoch ein – weil die Täterschaft nicht geklärt werden konnte. Beichl geht davon aus, dass die verantwortliche Person bis heute in der betreffenden Abteilung des Dornbirner Spitals arbeitet.

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Fall 2: Eskalation am OP-Tisch

Der zweite Fall beginnt mit einem routinemäßigen Eingriff in einem Krankenhaus im Osten Österreichs – und endet mit einer Notoperation und lebensbedrohlichen Komplikationen. Die Gallenblase eines Patienten sollte entfernt werden, doch im Operationssaal gerieten die Abläufe außer Kontrolle. „Es kam zu einer völligen Eskalation am OP-Tisch“, sagt Beichl. Die Leberarterie wurde verschlossen, der Gallengang beschädigt, die Hohlvene zur Hälfte zugenäht. „Eine Thrombose folgte – die rechte Niere ging verloren. „Mein Mandant musste notoperiert werden. Er wäre fast gestorben“, erinnert sich Beichl.
Ein Gerichtsgutachter stellte später gravierende Sorgfaltsmängel fest. Die OP sei unübersichtlich geführt und zudem schlecht dokumentiert worden. Als besonders problematisch bezeichnete der Gutachter, dass die Operateurin auch Monate später keine Einsicht zeigte. „Man wollte die Sache unter den Tisch kehren“, sagt Beichl.
Für den Patienten hatte der Eingriff schwerwiegende Folgen: chronische Schmerzen, dauerhafte Einschränkungen, Verlust eines Organs. Die Gegenseite bestritt die Vorwürfe bis zuletzt. Erst nach mehreren Gutachten kam es zu einem außergerichtlichen Vergleich – mit einer Zahlung von rund 300.000 Euro.

Ein vergiftetes Baby, eine zerstörte Niere, eine nicht notwendige OP: Drei Fälle mit Anwalt Patrick Beichl
Patrick Beichl: „Ich lerne mit jedem Fall dazu.“ Hartinger


Fall 3: OP ohne Notwendigkeit

Nicht jeder Fehler geschieht während einer Operation. Manchmal liegt er davor – in der Aufklärung. So war es im Fall einer Frau, die an Endometriose litt. Das ist eine chronische Frauenkrankheit, bei der sich Gewebe außerhalb der Gebärmutter ansiedelt und starke Schmerzen verursachen kann. In einem der Vorarlberger Landeskrankenhäuser wurde ihr zu einer Operation geraten. Über Behandlungsalternativen sei sie nicht aufgeklärt worden, sagt Beichl.
Die Folgen waren gravierend: Komplikationen, Folgeeingriffe, dauerhafte Katheterisierung und ein künstlicher Darmausgang ohne Möglichkeit zur Rückverlegung. „Die Operation hat das Leben meiner Mandantin vollkommen verändert“, sagt der Anwalt.
Die Operation selbst wurde laut einem chirurgischen Gutachten regelhaft und fachlich korrekt durchgeführt – der Fehler lag in der Aufklärung. „Die Mandantin wurde nicht darüber informiert, dass die OP gar nicht zwingend erforderlich gewesen wäre“, erklärt Beichl. Der Fall wurde letztlich außergerichtlich verglichen. Über die Höhe der Zahlung darf Beichl nichts sagen – sie sei aber „außergewöhnlich hoch gewesen“.

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Nicht das ganze System infrage stellen

Die drei Fälle stehen exemplarisch für das, womit Beichl in seiner Arbeit regelmäßig konfrontiert ist. Gleichzeitig ist ihm wichtig, nicht das ganze System infrage zu stellen. „Allein im LKH Feldkirch werden meines Wissens nach rund 45.000 Operationen im Jahr durchgeführt“, sagt er. Die allermeisten davon seien unproblematisch. Doch jedes Jahr gebe es auch eine spürbare Zahl an Behandlungen, bei denen etwas nicht wie geplant verläuft, bei denen Menschen zu Schaden kommen und Fragen offenbleiben. Er selbst gehe ohne Vorurteile ins Krankenhaus, wenn er medizinische Hilfe brauche, sagt Beichl. „Auch wenn ich weiß, dass nicht alle Ärzte begeistert sind von dem, was ich mache“.


Studien aus Deutschland gehen davon aus, dass bei rund einem Prozent aller Krankenhausbehandlungen ein Behandlungsfehler vorliegt. In Österreich fehlen belastbare Zahlen – und oft auch der Wille zur Aufarbeitung. Für Beichl ist das Alltag und Ansporn zugleich. „Die Arbeit geht mir nicht aus und ich lerne mit jedem Fall dazu.“