Wird die Jugend brutaler?

Ausschreitungen in der Silvesternacht haben auch in Vorarlberg eine Debatte zur Jugendgewalt entfacht.
Die Ermittlungen gegen und Verurteilungen von Jugendlichen wegen Gewaltverbrechen sinken seit Jahren. Nachdem zuletzt unter Verweis auf mehrere Einzelfälle berichtet worden war, die Gewaltintensität sei dennoch gestiegen, stellt die FPÖ im Landtag nun eine Anfrage. Jugendstraftaten stellten „ein nicht zu unterschätzendes Problem dar“, heißt es darin. Auffallend dabei sei die auch von Experten bestätigte Tendenz zu mehr brutalen Gewaltdelikten, wobei ein Verweis auf die genannte Expertise fehlt. Weite Teile der Anfrage fallen auch nicht in die Zuständigkeit des Landes. „Zu befürchten ist, dass gerade bei diesen schweren Gewalttaten der Anteil der ausländischen Straftäter besonders hoch ist und sich diese – aufgrund der massiven Asylwelle – in Zukunft noch weiter steigern werden“, so die Freiheitlichen weiter. Die Frage, ob die Jugendgewalt steigt oder brutaler wird und welche Rolle migrantische Jugendliche spielen, lässt sich indes am ehesten anhand der Kriminalitätsstatistik beantworten:
Gibt es mehr Jugendgewalt?
Für das vergangene Jahr liegt noch keine Kriminalitätsstatistik vor. Innen- und Justizministerium veröffentlichen die entsprechenden Daten teils erst mit monatelanger Verzögerung. Die bisherigen Zahlen zeigen aber einen kontinuierlichen Rückgang der Gewaltverbrechen. Seit 2001 hat Österreich trotz Bevölkerungswachstum bei Straftaten gegen Leib und Leben einen Rückgang von über zwölf Prozent verzeichnet. Wurden gegen Jugendliche im Jahr 2019 bundesweit noch in 5915 Fällen Ermittlungen wegen Gewaltelikten geführt, sank diese Zahl bis 2021 auf 4923. In Vorarlberg wurden 2021 insgesamt 1926 Personen aller Altersgruppen wegen Körperverletzung oder schweren Körperverletzung angezeigt, davon waren 175 Jugendliche – das wären 0,2 Prozent der 14- bis 17-Jährigen im Land gewesen, wenn man davon ausginge, dass jedem Verdächtigen nur eine Körperverletzung vorgeworfen wurde. Weitere 176 Verdächtige waren zwischen 18 und 21 Jahre alt. Von den 1926 der Körperverletzung und schweren Körperverletzung Verdächtigten aller Altersgruppen waren 1530 Männer und 773 keine Österreicher.
In anderen Bundesländern kam es lokal in den vergangenen Jahren aber zu Anstiegen bei der Jugendgewalt, wie eine parlamentarische Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2020 belegt: In Linz stieg demnach die Zahl der jugendlichen Opfer von Körperverletzungen zwischen 2017 und 2019 von 172 auf 256, die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen von 98 auf 217. Die Zahl der verdächtigten jugendlichen Räuber explodierte in Linz geradezu von 14 auf 105, wobei Einzelfälle mit mehreren Beteiligten mehrfach gezählt werden.
Wird die Jugendgewalt brutaler?
Dafür, dass von Jugendlichen in Vorarlberg verübten Straftaten brutaler werden, gibt es aktuell keine statistischen Belege. 2021 wurden in Vorarlberg 58 Verbrechen, also schwere Straftaten gegen Leib und Leben angezeigt, davon waren sieben mutmaßliche Täter unter 21 Jahre alt, zwei waren dagegen Jugendliche. Die Tatsache, dass 2020 noch 13 Jugendliche wegen Gewaltverbrechen angezeigt worden waren, deutet eher auf einen Rückgang in der Intensität der Taten hin. Bei den weniger streng bestraften Delikten geht es auch nicht stets um klassische Schlägereien. Auffallend ist, dass bei den 18- bis 21-jährigen Vorarlbergern über ein Drittel der angezeigten Straftaten gegen Leib und Leben im Straßenverkehr begangen wurde.
Werden Jugendliche häufiger wegen Gewalttaten verurteilt?
Die Zahl der Verurteilungen liegt, wie bei allen Delikten und Altersgruppen, auch bei jugendlichen Gewalttätern deutlich unter der Zahl der Anzeigen. Waren 2019, unabhängig von der Art des Delikts, bundesweit noch 1996 gerichtliche Strafen gegen Jugendliche verhängt worden, waren es 2021 nur noch 1537. Die Zahl der inhaftierten Jugendlichen sinkt seit 2016 kontinuierlich. 2021 saßen in Feldkirch nur zwei Jugendliche in Haft, bundesweit waren es 86.
Werden migratische Jugendliche häufiger zu Haftstrafen verurteilt?
Die Zahl der ausländischen Häftlinge in Österreich stieg vor allem nach der EU-Ost-Erweiterung stark an, die Fluchtbewegung des Jahres 2015 machte sich hier hingegen statistisch kaum bemerkbar. Bei den Haftzahlen von Jugendlichen und jungen Erwachsen (18- bis 27-Jährige) zeigte sich in den vergangenen Jahren ein höherer Ausländeranteil, als bei den übrigen Altersgruppen. Von 38.777 Unter-27-Jährigen, die zwischen 2015 und 2019 in Österreich wegen verschiedener Delikte in Strafhaft, Anhaltung oder Untersuchungshaft saßen, waren nur 36,6 Prozent Österreicher. Auf einen hohen Anteil an jungen Häftlingen mit Migrationshintergrund deutet auch hin, dass 48,3 Prozent von ihnen angaben, sunnitische oder schiitische Muslime zu sein.
Wie wahrscheinlich ist es, von Unbekannten angegriffen zu werden?
Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, in Vorarlberg von Unbekannten Jugendlichen oder Erwachsenen tätlich angegriffen zu werden, nicht sehr hoch. Laut Innenministerium standen 2021 in nur 35,8 Prozent der angezeigten Fälle Opfer und Täter von Körperverletzungen in keinem Verhältnis. Bei der deutlich selteneren schweren Körperverletzung waren es 66,3 Prozent. Zahlen für das Jahr 2018 weisen auf ähnlich häufige Täter-Opfer-Bekanntschaften in Vorarlberg hin, wobei die Zahl der unbekannten Täter bei schweren Körperverletzungen im Bundesvergleich niedriger lag. Selbst wenn das Opfer den Täter nicht kennt, bedeutet das für diesen noch lange keine Straffreiheit. Dafür spricht die mit 93,7 Prozent im Ländle sehr hohe Aufklärungsquote bei strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben.