Politik

“Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut”

11.05.2025 • 08:00 Uhr
"Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut"
Elisabeth Kuster wurde im März zur Bürgermeisterin von St. Gallenkirch gewählt. hartinger

Als erste Bürgermeisterin im Montafon spricht Elisabeth Kuster im NEUE-Interview über ihre Vorbildrolle, wie sich ihr Beruf mit der Familie vereinbaren lässt und aktuelle Themen in St. Gallenkirch.

Wie verliefen Ihre ersten Wochen im Amt?
Elisabeth Kuster: Ich habe meinen Vorgänger Josef Lechthaler gefragt, ob er mich in der Übergangsphase bis zur Angelobung in die Strukturen, Abläufe und aktuellen Projekte einführen kann. Dazu hat er sich dankenswerterweise bereit erklärt. Somit ist der Start leichter gefallen, als wenn man einfach die Schlüssel in die Hand bekommt.

Wie ist die Stimmung zwischen den Fraktionen in St. Gallenkirch? Ihre Partei, die ÖVP, ist ja nicht stärkste Kraft.
Kuster: Angesichts des Wahlergebnisses war mein Vorschlag, dass Walter Summer von der Offenen Liste den Vizebürgermeister macht, weil sie mit 44 Prozent die meisten Stimmen haben. Dazu hat er sich auch bereit erklärt. So wie es in der Gemeindevertretung läuft, ist es super. Man spricht offen und respektvoll miteinander und so soll es weitergehen.

"Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut"
Die Kommunikation in St. Gallenkirch läuft gut. hartinger

Sie sind die erste Frau in einem Bürgermeisteramt im Montafon. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Kuster: Mir ist bewusst, dass ich hier eine besondere Rolle eingenommen habe. Ich bin gelernte Installateurin, ich war 15 Jahre auf dem Bau und kenne es nicht anders, als unter Männern zu sein. Dort wurde ich akzeptiert, es wurde gar nie darauf eingegangen, dass ich eine Frau bin. Ich ließ mich auch nicht zur Wahl aufstellen, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich mich in der Kompetenz für dieses Amt sehe. Ich sehe es gleichermaßen als Chance und als Verantwortung: Einerseits kann ich zeigen, dass Frauen in der Kommunalpolitik sehr wohl eine Führungsrolle übernehmen können. Andererseits möchte ich mit Kompetenz und Dialogbereitschaft über alle Generationen Vertrauen aufbauen. Gerade die ältere Generation blickt gemischt auf das Frauenthema. Früher wäre es nie in Betracht gezogen worden, dass eine Frau in der Gemeinde oder in einem Unternehmen eine Führungsrolle übernimmt.

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Die erste Frau an der Spitze einer Montafoner Gemeinde. hartinger

Wurden Sie mit Vorurteilen konfrontiert?
Kuster: Über andere habe ich Vorurteile gehört, aber persönlich wurde ich nie darauf angesprochen. Aber natürlich bin ich in dieser Rolle ein Vorbild für junge Frauen und Mädchen, die den Schritt in die Politik gehen wollen.

Seit der Gemeindewahl gibt es nur noch vier Frauen in Vorarlberg im Bürgermeisteramt. Ist die Vereinbarkeit dieses Berufs mit der Familie ein Problem?
Kuster: So, wie man das Amt bisher gestaltet hat, ist noch eine große Hemmschwelle da. In dieser Männerdomäne sind manche einfach nicht so resistent. Hin und wieder fliegen Ausdrücke, es geht ein bisschen gröber zu. Frauen müssen sich mehr zutrauen. Für mich war im Wahlkampf klar: Ich habe ein Kind, ich habe einen Hund, ich habe einen Mann, und ich verstelle mich deswegen nicht für ein Amt. Meiner Meinung nach ist es eine Organisationssache. Männer sind ja auch Väter. Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut.

"Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut"
Elisabeth Kuster hat ihre Labrador-Hündin Quiana ins Bürgermeisterbüro mitgebracht.hartinger

Diese Woche sorgte die Wahl des Standesrepräsentanten im Montafon für Wirbel. Eigentlich wäre Helmut Pechhacker (Bürgermeister von St. Anton) für das Amt vorgesehen gewesen, am Ende wurde es doch Daniel Sandrell (Bürgermeister von Gaschurn). Wie blicken Sie auf die Ungereimtheiten?

Kuster: Wir sind in einer Demokratie, da stehen Wahlen an und wer gewählt wird, ist nun einmal Standesrepräsentant. Wenn jemand einen zusätzlichen Wahlvorschlag einbringt, ist das legitim. Schlussendlich entscheidet die Mehrheit.

Die Finanzlage ist vielerorts angespannt. Wie steht es um die Gemeindefinanzen von St. Gallenkirch?
Kuster: Egal, wo man hinschaut, ist die Finanzlage eher schlecht. Wir stehen vor schwierigen Zeiten, das ist im Bund, im Land und in den Gemeinden klar. Als Gemeinde müssen wir handlungsfähig bleiben, Prioritäten setzen und offen mit der Bevölkerung kommunizieren. Man muss verantwortungsvoll wirtschaften, aber immer mit Augenmaß. Überall kann man nicht sparen – wir brauchen Infrastruktur, Kinderbetreuung und Pflege.

"Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut"
Nicht überall könne man sparen, betont die Bürgermeisterin. hartinger

Welche Wünsche haben Sie in diesem Zusammenhang an Bund und Land?
Kuster: Der Bund schaut immer auf die Städte, aber wir müssen die Verordnungen als Gemeinden auch umsetzen. Da sehe ich ein bisschen Realitätsverlust. Wir müssen mehr mit dem Bund und dem Land zusammenarbeiten. Was für eine große Stadt beschlossen wird, funktioniert bei uns auf dem Land so einfach nicht.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Kuster: Die ganzen Bauverordnungen, Umwidmungen. Auch die Maisäß-Situation müsste man sich ansehen und eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit Eigentümer nicht einfach einen Abbruchbescheid hingeworfen bekommen. Hinter den Maisäßen steckt kulturelle Geschichte und viel Leidenschaft und Geld der Eigentümer. Klar, man kann nicht einfach einen Stall ohne Bewilligung umbauen und dann den Abriss verweigern. Aber wenn das Maisäß einen geschichtlichen Hintergrund hat, muss es eine Sonderlösung geben.

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In der Vergangenheit sorgte das Avenida-Ressort in St. Gallenkirch für Schlagzeilen. Aktuell steht an dieser Stelle nur ein Loch aus Beton, die Investoren haben den Bau des Projekts gestoppt. Wie soll es damit weitergehen?
Kuster: Aktuell gibt es keine Informationen. Die Investorenseite hat meinen Vorgänger hingehalten, Versprechungen gemacht, dass es weitergeht, doch dazu ist es leider nie gekommen.

"Wenn ein Mann Bürgermeister ist, fragt niemand, wer auf seine Kinder schaut"
Baugrube statt Investoren-Prachtbau am Ortseingang von St. Gallenkirch. hartinger

Gab es zwischen Ihnen und den Investoren schon Kontakt?
Kuster: Noch nicht, aber mein nächstes Thema ist, dort Kontakt zu knüpfen und abzuklopfen, wie es weitergeht. Allerdings hat die Silvretta Montafon das Recht, das Grundstück zurückzukaufen, wenn langfristig nichts weitergeht. Das wäre auch in meinem Sinne.

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Was bedeutet das für zukünftige Investorenprojekte?
Kuster: Ich glaube, dass man das Avenida-Projekt falsch angegangen ist. Man hätte eine klarere Linie fahren müssen. Wir haben als Gemeinde St. Gallenkirch nun gesagt, wir wollen keine Investorenprojekte mehr. Man sieht, was herauskommt. Wenn man ein Bauloch am Ortseingang hat, ist das einfach sehr schade.

zur person

Elisabeth Kuster (30) hat nach einer Lehre im väterlichen Betrieb die Ausbildung zur GWH-Installateurin an der HTL Jenbach abgeschlossen. Darüber hinaus absolvierte sie ein Fernstudium im Bereich Energie- und Umwelttechnik. 2025 kandidierte die Mutter einer einjährigen Tochter als Bürgermeisterin für die ÖVP-Liste St. Gallenkirch und setzte sich bei der Wahl gegen Lucas Bargehr (FPÖ) durch.