Politik

Kontroverse um Merz und Stocker: Hat Vorarlberg ein Problem mit dem Stadtbild?

HEUTE • 15:17 Uhr
Kontroverse um Merz und Stocker: Hat Vorarlberg ein Problem mit dem Stadtbild?
Orten die Landespolitiker dieselben Missstände im Stadtbild wie die Kanzler in Österreich und Deutschland? canva/hartinger

Nach den Aussagen von Friedrich Merz und Christian Stocker zu irregulärer Migration und dem „Stadtbild“ hat die NEUE die Landesparteichefs gefragt, wie sie die Situation in Vorarlberg beurteilen.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz ist ein Mann der knalligen Worte. Vor rund zwei Wochen ließ er bei einem Termin verlauten, dass die deutsche Regierung in der Migrationspolitik viel erreicht habe, dann fügte er hinzu: „Aber wir haben natürlich immer noch im Stadtbild dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister dabei, jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Wenig später fügte er auf Nachfrage hinzu: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, wie das gemeint war.“ Der Stadtbild-Sager sorgte im Nachbarland für scharfe Kritik von der Opposition und sogar von Koalitionspartner SPD, sogar Demonstrationen gab es aufgrund der Aussage in mehreren Städten.

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In Berlin wurde unter dem Titel “Wir sind die Töchter” gegen die Stadtbild-Aussage von Merz demonstriert. APA/AFP/MACDOUGALL

In einem Interview mit dem „Kurier“ stimmte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) seinem deutschen Amtskollegen zu: „Es wäre falsch, so zu tun, als würde es das alles nicht geben. Und ich finde auch nichts Diskriminierendes an dieser Aussage – das ist eine Beschreibung der Wirklichkeit.“ Spätestens seither ist die Stadtbild-Debatte auch in Österreich angekommen. Die NEUE fragte daher bei den Parteichefs aller fünf Landtagsfraktionen, wie sie die Aussagen von Stocker und Merz beurteilen und ob es auch in Vorarlberg ein derartiges Problem mit dem Stadtbild gibt.

Marte: “Stadtbild hat sich verändert, auch in Vorarlberg”

Innerhalb der ÖVP spielte Landeshauptmann Markus Wallner den Ball an Klubobfrau Veronika Marte weiter. Sie befindet: „Die Aussagen von Friedrich Merz und Bundeskanzler Christian Stocker bringen ein Thema zur Sprache, das viele Menschen bewegt – auch bei uns in Vorarlberg. Das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren verändert, insbesondere durch Gruppen junger Männer mit migrantischem Hintergrund an öffentlichen Plätzen. Viele Bürgerinnen und Bürger berichten von einem Rückgang ihres subjektiven Sicherheitsgefühls. Diese Wahrnehmung nehmen wir sehr ernst.“

Kontroverse um Merz und Stocker: Hat Vorarlberg ein Problem mit dem Stadtbild?
ÖVP-Klubobfrau Veronika Marte hartinger

Gerade deshalb ist sei es „richtig und notwendig“, dass Innenminister Gerhard Karner „das geltende Asylrecht konsequent vollzieht“, so Marte. „Wer kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen – das ist eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber allen, die einen aufrechten Aufenthaltstitel in Österreich haben und der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats. Dass Österreich mit Rückführungen nach Afghanistan und Syrien europaweit vorangeht, ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu begrüßen. In Vorarlberg stehen wir für eine klare Linie: Integration braucht, wie im Vorarlberg Kodex definiert, klare Regeln – und wer sich nicht daran hält, muss mit Konsequenzen rechnen.“

Bitschi: “Schubumkehr in der Asyl- und Migrationspolitik”

Grundsätzlich könne man meinen: „Einsicht ist der erste Weg zur Besserung“, erklärt FPÖ-Chef und Landesstatthalter Christof Bitschi. „Tatsache ist aber, dass der längst überfällige Kurswechsel in der Asyl- und Migrationspolitik nicht durch leere Worte, sondern nur konsequentes und entschlossenes Handeln vollzogen werden kann.“ Von diesem Handeln seien die Bundesregierungen in Deutschland und Österreich jedoch „meilenweit entfernt“, urteilt der Landesstatthalter.

Landhaus
FPÖ-Landeschef und Landesstatthalter Christof Bitschi hartinger

Zur Frage, wie sich das Stadtbild in Vorarlberg abzeichnet, meint Bitschi: „Dass die falsche Asylpolitik seit dem Jahr 2015 auch bei uns im Land zu massiven Problemen geführt hat, liegt auf der Hand und ist für jeden sichtbar und spürbar. Die notwendige Veränderung zum Guten schaffen wir nur mit einer echten Schubumkehr in der Asyl- und Migrationspolitik.“Der FPÖ-Landesparteichef fordert daher: „Schluss mit der illegalen Zuwanderung unter dem Deckmantel Asyl und konsequente Rückführung von Kriminellen und jenen, die kein Recht haben, bei uns zu sein.“

Zadra: “Auffällig im Stadtbild sind leerstehende Geschäfte”

Der Klubobmann der Grünen, Daniel Zadra, sieht die Äußerungen von Merz und Stocker kritisch: „Ein Bundeskanzler, der Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt, sollte auf eine besonnenere und überlegtere Wortwahl achten. Ich halte derart unreflektierte Aussagen für verfehlt, wir müssen gesellschaftliche Probleme ansprechen, ohne Feindseligkeiten zu schüren.“ Zadra erklärt, er sei „stolz und froh in Vorarlberg leben zu dürfen.“ Und weiter: „Unsere Städte leben von der Vielfalt, und die Vielfalt hat uns reich gemacht.“

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Grünen-Klubobmann Daniel Zadra steurer

Auf die Frage danach, wie er das Stadtbild in den Vorarlberger Städten sieht, antwortet Daniel Zadra, dass für ihn die „vielen leerstehenden Geschäfte“ auffällig seien. Dazu erklärt der Klubobmann der Grünen weiter: „Unsere Zentren sollten sich zu Herzen der Gemeinden entwickeln, in denen sich alle Menschen gerne aufhalten.“ Er fordert dahingehend: „Das Land sollte die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dabei unterstützen, attraktive und lebendige Ortskerne mit Fußgängerzonen, Plätzen und einem reichen Angebot an Lokalen und Geschäften zu schaffen.“

Leiter: “Verrät mehr über eigenes Menschenbild”

Wenn Politiker davon sprechen, dass Menschen ein ‚Problem im Stadtbild‘ sind, dann verrät das mehr über ihr eigenes Menschenbild als über die Realität in unseren Städten“, konstatiert SPÖ-Klubobmann Mario Leiter. „Eine solche Wortwahl hat nur das Ziel, zu spalten. Man bedient damit eine Ausländer-raus-Stimmung, bietet keine Lösungen an und stiftet damit sozialen Unfrieden.“

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SPÖ-Klubobmann Mario Leiter hartinger

Vorarlbergs Städte seien „lebendig und vielfältig“, ordnet Leiter ein. „Vielfalt ist generell einmal keine Bedrohung, sondern eine Stärke. Integration war immer schon mit klaren Spielregeln verknüpft. Dort, wo sie gebrochen werden, braucht es klare Konsequenzen.“ Bei den vielen Fällen, wo Integration problemlos gelinge, liege der Schlüssel aber „im Miteinander und nicht im Gegeneinander“ so Leiter, der hinzufügt: „Unser Vorarlberg der letzten Jahrzehnte und auch der Gegenwart ist voll von solchen Beispielen.“ Weiter erklärt der sozialdemokratische Klubobmann: „Ich bin stolz auf den respektvollen Umgang miteinander im Ländle, wo man einander hilft und bei Problemen nicht wegschaut. Das ist das wahre Stadtbild, das wir fördern müssen.“

Gamon: “Kann die Debatte absolut nachvollziehen”

Die Klubobfrau der Neos, Claudia Gamon, findet die Wortwahl von Friedrich Merz und Christian Stocker „unpassend“ und „schlecht kommuniziert“, kann die Debatte dahinter aber „absolut nachvollziehen.“ Weiter erklärt sie: „Über Jahrzehnte haben sich massive Probleme bei Migration und Integration aufgestaut, die jetzt – oft in der zweiten Generation – sichtbar werden.“ Die Aussage finde deshalb breite Zustimmung, weil viele erkannt hätten, dass die Annahme aus 2015 – „das wird sich schon irgendwie alles ausgehen“ – falsch gewesen sei.

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Neos-Klubobfrau Claudia Gamon steurer

Auch in Vorarlberg könne man „die Thematik nicht verschweigen“, so Gamon. „Sie findet bei uns nur eine andere Ausprägung: Als Frau alleine am Bahnhof oder in der Stadt beim Fortgehen – das Gefühl der Unsicherheit ist in Vorarlberg tägliche Realität.“ Gamon verweist auf die Arbeit ihrer Partei in Wien: „Gerade deshalb haben wir Neos im Regierungsprogramm erreicht, dass das Integrationssystem von Grund auf neu aufgesetzt wird, um Kontrolle wiederzuerlangen: mit klaren Chancen für alle, die sich integrieren wollen – und erstmals mit wirksamen Sanktionen für jene, die unsere Werte ablehnen, sich nicht integrieren wollen oder das Deutschlernen verweigern.“