Sport

„Es war fast wie beim Kennedy“

06.09.2020 • 12:50 Uhr
„Es war fast wie beim Kennedy“
Jochen Rindt ist wohl der populärste österreichische Sportler aller Zeiten. APA

Am 5. September 1970 verunglückte Jochen Rindt in Monza tödlich.

Was für ein Mensch war Jochen Rindt?
Helmut Zwickl: Er war einer dieser seltenen Menschen, die wir als Extremisten bewundern, so wie Reinhold Messner, dem er mit seinem Mut um nichts nachstand. Jochen war ein Naturtalent, er hat alles in die Wiege gelegt bekommen, was sich die anderen, so weit das überhaupt möglich war, hart erarbeiten mussten. Jochen hatte vor allem die Reflexe – und die sind beim Rennfahren entscheidend.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Der Wiener Helmut Zwickl ist eine Ikone des Motorsport-Journalismus, bekam 2005 als einer von nur fünf Journalisten eine weltweite, legenslängliche Akkreditierung von der FIA und war über viele Jahre Wegbegleiter von Jochen Rindt. Zwickl

Rindt gilt auch heute noch als einer der Allergrößten.
Zwickl: Das wird auch immer so bleiben. Ich erinnere mich an einen Formel-Junior-Lauf im Jahr 1963 auf der Südschleife des Nürburgrings, da hatte Jochen einen schweren Unfall und hat sich überschlagen. Ich bin dann mit ihm im Opel Kapitän nach Adenau ins Krankenhaus gefahren. Wir haben die Sitze umgelegt, und er ist neben mir gelegen. Er hat gejammert, er war lädiert, hatte blaue Flecken. Ich sehe noch vor mir, wie er mit seinem Siegelring gespielt hat und sagte: „Das war mir eine Warnung. Ich bin nicht zum Rennfahrer geboren. Ich sollte aufhören.“ Doch wer, wenn nicht er, verkörperte das Rennfahren? Das sage ich im Wissen, wie alles endete. Seine Autobeherrschung war schlichtweg einzigartig. Er hatte alles, was einen Champion ausmacht.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Die Anfänge: Rindt 1965 am Nürburgring im Cooper Climax. Die Flügel waren noch nicht erfunden. Naturtalent Rindt hatte erst vier Jahre davor mit dem Rennfahren begonnen. Lothar Spurzem

Sein größter Sieg war sicherlich der von Monaco am 10. Mai 1970.
Zwickl: Das kann man wohl sagen. Er hat noch im Lotus 49, also dem Rennwagen aus der Vorsaison, vom achten Startplatz aus gewonnen. Er hat sie alle überholt und in den Schlussrunden den dreifachen Weltmeister Jack Brabham so unter Druck gesetzt, dass er in der letzten Kurve einen Fehler machte und rausgerutscht ist. Jochen konnte innen vorbei.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Rindt im Lotus 49, aufgenommen am 1. August 1969 beim Training . Lothar Spurzem

Es folgte ein Sommer, der als Sommer von Jochen Rindt in die Geschichte der Formel 1 einging.
Zwickl: Jochen hat vier weitere Rennen gewonnen. Dem Jackie Stewart hat er mal gestanden: „Der Lotus 72 ist so überlegen, wenn alles normal läuft, kann ich spazieren fahren.“ So gut war das Auto. Der Lotus 72 war ein Meilenstein. Aber er war auch voller Sargnägel. Die größte Schwachstelle waren die Bremswellen, sie verbanden die Räder mit den innenliegenden Scheibenbremsen. Das hat Teamchef Colin Chapman riskiert, um mehr Bodenhaftung zu bekommen. Das hat ja auch was gebracht, aber man hätte das mehr testen müssen.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Mit dem Lotus 72 hatte Rindt 1970, hier in Zandvoort, endlich ein siegfähiges Auto. Wenn er durchkam, gewann der Grazer in dieser Saison immer das Rennen. Der Lotus 72 hat die Formel 1 revolutioniert, war aber, wie es Zwickl nennt, voller Sargnägel. Joost Evers

Die Bremswellen waren hohl. Spätestens, als beim Grand Prix von Österreich, drei Wochen vor Monza, eine Bremswelle bei Rindts Teamkollegen John Miles brach, hätte Chapman reagieren müssen.
Zwickl: Ich bin in Zeltweg dazu gekommen, als sie bei Lotus das Auto von John Miles zugedeckt, ich sage: den Defekt versteckt haben. Die Bremswellen waren hohle Röhrchen, mir ist ganz anders geworden, als ich das gesehen habe. Lotus hatte in dem Jahr immer wieder Bremsprobleme, eigentlich in jedem Rennen, und das in Zeltweg war auch weit nicht der erste Bremswellenbruch. Nur ist es immer glimpflich ausgegangen, bis die Welle in Monza bei Jochen brach.

Rindt wollte vor Monza, dass die hohlen Bremswellen durch massive Stangen ersetzt werden und bot an abzunehmen, um den Gewichtsnachteil auszugleichen. Wie ist für Sie erklärbar, dass Chapman, der ja die Verantwortung trug, ablehnte?
Zwickl: Er war auch ein Extremist und verstärkte die Bremswellen erst nach Monza. Chapman hat nie Reue gezeigt nach Jochens Tod, weil er ein Hasardeur am Reißbrett war, die Grenzen bis aufs Letzte ausreizte. Er hat der Formel 1 große Revolutionen beschert, wenn was schiefging, bezahlten die Fahrer für sein Risiko.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Rindt mit seinem Lotus-Teamchef Colin Chapman. Das Verhältnis der beiden war angespannt, weil Chapman alle Sicherheitsbedenken von Rindt ignorierte. Rindt verlangte von Chapman, dass er die hohlen Bremswellen durch stabile Stangen ersetzt. Hasardeur Chapman lehnte ab, was Rindt in Monza beim Anbremsen der Parabolica zum Verhängnis wurde. Joost Evers

Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung an den 5. September 1970, den Todestag von Jochen Rindt?
Zwickl: Das ist das oft zitierte letzte Interview von Jochen. Ich bin an der Boxengasse gestanden und habe ihm für unsere Motorama-Sendung das Mikrofon in die Hand gedrückt, er sollte eine Ansage machen. Das Training hatte schon begonnen, es war laut, und gegen Schluss hin sind seine Worte im Lärm untergegangen. Er hat mir das Mikro zurückgegeben, und bevor er ging, sagte er zu Lucky Schmidtleitner: „Hör dir’s an, ich fahr’ drei Runden, dann bin ich wieder zurück. Ich glaube, ich mach das noch mal.“ Die Motorsport-Fans kennen diese Begebenheit, ich habe aber eine andere Perspektive, ich war dabei. Es war das letzte Mal, dass ich Jochen gesehen habe. Er ist nicht mehr zurückgekommen.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Zwickl im Interview mit Rindt nach dessen Motorschaden beim Grand Prix von Österreich in Zeltweg am 16. August 1970. Es sollte Rindts letzter Rennstart in der Formel 1 bleiben. 20 Tage später starb der Mann mit dem Raubvogelgesicht im Abschlusstraining von Monza. Youtube

Wie nahe standen Sie Rindt?
Zwickl: Wir hatten schon eine persönliche Verbindung. In den Jahren 1963 und 1964 ist er immer wieder bei mir vorbei gekommen in Simmering, ich wollte oft schon schlafen gehen, und er ist unten gestanden mit seinem Jaguar und hat gesagt: „Komm runter, fahren wir in die Stadt, ein bisserl driften.“ Dann sind wir mit 120 über die Ringstraße geblasen. Wenn du das heute machst, wirst du nicht nur verhaftet, sondern psychiatriert. (lacht)

Welche Atmosphäre herrschte in Monza nach dem Tod von Rindt?
Zwickl: Das Training wurde kurz unterbrochen, aber eine Dreiviertelstunde später hat Jackie Stewart seine Trainingszeit verbessert, obwohl Jochen sein bester Freund im Rennsport war. Es ging alles weiter. Wenn man nicht gewusst hätte, was passiert war, hätte man geglaubt, es ist ein normaler Trainingstag.


Wie schwer war es für Sie, über die Geschehnisse zu berichten?

Zwickl: (atmet tief durch) Es war sehr schwierig, ich habe unter Tränen gearbeitet. Ich fand noch am selben Nachmittag die Unfall­ursache heraus. Als Reporter in der Formel 1 zu arbeiten, war wie Kriegsberichterstattung. Es gab immer wieder Tote. Beim Jochen wussten wir, dass er in einem Auto saß, das mehr Unfälle als jedes andere F1-Auto hatte. Aber für uns war er unsterblich, so eine Autobeherrschung hatte er. Und er begann seine Risikobereitschaft durch Reife zu ersetzen.

War es dennoch leichtsinnig, in Monza ohne Flügel zu fahren?
Zwickl: Hilfreich war es nicht, als das Auto ausgebrochen ist – aber was hilft schon, wenn bei knapp 300 die Bremswelle bricht? In England hielten sie Chapman lange die Treue, sagten, Jochen sei selbst schuld. Das war völliger Schwachsinn.

Wäre vor der Parabolica wenigstens die linke Bremswelle gebrochen, wäre er nach rechts ausgebrochen, wo mehr Auslauf war.
Zwickl: Der Wagen wäre mit etwas Glück in die offene Kurve geschlittert, doch das Glück hatte Jochen verlassen. Als sein Auto ins Schlingern kam, hat er sicher gemerkt, dass was gebrochen war, aber er hatte keine Chance. Sein Tod war ein Schock, das ganze Land hat Trauer getragen.

30.000 Menschen kamen zum Begräbnis am Grazer Zentralfriedhof, das live im ORF übertragen wurde.
Zwickl: Jochen war so populär, weil er einer zum Angreifen, so cool und charismatisch war. Alle Burschen wollten so sein wie er. Jeder, ob Großmutter oder Zehnjähriger, wusste, wo er war, als er von Jochens Tod erfuhr. Es war fast wie beim John F. Kennedy.

„Es war fast wie beim Kennedy“
Die Grabstätte von Jochen Rindt am Grazer Zentralfriedhof. APA

Wie ist es nach dem Tod von Jochen Rindt in der österreichischen Motorsportszene weitergegangen?
Zwickl: Es war klar, dass mit Jochen der Motorsport in Österreich gestorben war. Wir hatten zwar jetzt zwei Rennstrecken, aber das interessierte niemanden mehr. Österreich war im Sommer 1970 voller Euphorie, im Rindt-Fieber, das Land war weltweit in den Schlagzeilen, wenn Rindt gewonnen hat, haben alle Österreicher gewonnen. Rindt war am Weg zur WM, und dann stirbt er.


Haben Sie Rindts Witwe Nina nach Monza nochmals gesehen?
Zwickl: Ja, beim Begräbnis, und da ist mir eingefallen, wie ich 1963 in Monza war beim Formel-Junior-Grand-Prix. Ich bin mit Jochen die Boxen entlang geschlendert, und da ist ein wunderschönes Mädchen gesessen. Jochen sagte: „Heast, kennst du den Hasen?“ Ich kannte sie nicht, aber später konnte ich ihm sagen, das ist die Tochter von Curt Lincoln. Jochen hat damals ein Auge auf Nina geworfen, so hat alles begonnen mit den beiden. Sieben Jahre später wurden sie genau in Monza vom Schicksal auseinandergerissen.

Können Sie zum Abschluss noch eine Anekdote erzählen?
Zwickl: Ich bin mit Jochen in Zeltweg auf dem Militärflugplatz zweimal mitgefahren. Einmal im Ferrari LM von Gotfrid Köchert, mit dem er den Großen Sportwagen-Preis von Österreich gewonnen hat, und einmal im Ford GT40. Er ist lachend durch die Kurven gedriftet und sagte: „Na, ist des klass?“ So war er, der Jochen, und dass man sich heute noch an ihn erinnert, nach 50 Jahren, das ist großartig. Dadurch lebt Jochen Rindt weiter.