„Dann sprechen wir von Materialdoping“

Head-Rennsportleiter Rainer Salzgeber offenbart im Interview, wie chaotisch aktuell das Fluor-Verbot im Skiweltcup umgesetzt wird – und wirft Fragen auf.
Wie sehr schmerzt und ärgert es Sie, dass Ragnhild Mowinckel am Samstag vor zwei Wochen in Sölden wegen einer Überschreitung des Fluor-Grenzwerts disqualifiziert wurde?
Rainer Salzgeber: Das sind genau die richtigen Ausdrücke – es hat uns extrem geärgert und geschmerzt. Die Thematik hat sogar den Rennsieg von Lara Gut-Behrami völlig überlagert, über diesen Sieg hat an dem Tag intern keiner gesprochen. Am meisten hat uns das Warum beschäftigt. Wir wussten nicht, warum der Ski von Mowinckel den Grenzwert überschritten hatte. Wenn die Bindungsplatte zu hoch ist und es deshalb eine Disqualifikation gibt, dann weißt du innerhalb kürzester Zeit, wo der Fehler lag. Aber in diesem Fall konnten wir es uns nicht erklären. Es hat am Renntag bis zum Abend gedauert, bis wir eine Fährte hatten, was schnell und nicht schnell war. In so einer Situation brauchst und willst du sofort Antworten. Die Erklärung war, dass der Kork, mit dem die letzte Wachsschicht poliert wurde, kontaminiert war.
Sie wirken nicht ganz überzeugt von dieser Erklärung.
Salzgeber: Trotz der vielen Tests, die wir gemacht haben, bin ich es auch nicht zu hundert Prozent. Weil der Ski an der Spitze absolut im grünen Bereich war, da hatten wir einen Spitzenwert. Aber unter der Bindung waren die Werte zu hoch. Ich verstehe schon, dass es bei einem Ski unterschiedliche Werte geben kann, aber vorne regulär und in der Mitte irregulär ist unlogisch für mich. Dann kommt noch dazu: Nach ein Mal bürsten war der gesamte Ski grün, also regulär. Wir haben dann am Dienstag nach dem Rennen mit den Norwegern viele Tests gemacht und dabei wichtige Erfahrungen gesammelt. Wir testeten zum Beispiel ein Produkt, das vom Hersteller als fluorfrei bezeichnet wird, trotzdem hat das Testgerät sehr hohe Werte angezeigt, weil die Software die Messwerte nicht einordnen konnte. Die Software ist zumindest lernfähig, man kann die Messdaten von so einem Produkt hinterlegen, das trotz Fluorfreiheit hohe Werte anzeigt, dann lernt die Software, dieses Datenspektrum als fluorfrei zu erkennen.

Das klingt ja nach einem Horrorszenario für Sie als Ausrüster.
Salzgeber: Wir haben uns über diese Problematik nie Gedanken gemacht, wir gingen davon aus, wenn ein Produkt grün ist, dann ist und bleibt es grün, also regulär. Aber so ist es aktuell nicht. Das ist für die Serviceleute kein Zustand, die können ja nicht mehr ruhig schlafen. So, wie die Dinge jetzt sind, stellt sich für die Serviceleute die Frage, ob sie überhaupt noch die Verantwortung übernehmen können – und wollen. Wir haben sie jetzt angewiesen, dass sie nur noch Produkte verwenden sollen, die von der FIS geprüft sind, was eigentlich gar nicht notwendig wäre, weil ja fluorfrei genügen würde.
Wie hektisch lief es damals am Renntag nach der Disqualifikation am Berg ab?
Salzgeber: Wir haben im Anschluss an den ersten Durchgang den Ski von Mowinckel nach dem Test nicht zurückbekommen, da war uns klar, dass irgendwas nicht stimmt. Der Rennleiter meinte, wir würden im Ziel diskutieren. Das Ganze war miserabel organisiert, ein Fernsehteam hat bei dem Gespräch sogar mitgefilmt. Es war einfach niemand auf so eine Situation vorbereitet, auch wir nicht, unser Servicemann hat das Set-up zwei Tagen vor dem Rennen getestet – und da war nichts. Am Renntag überschreitet der Ski plötzlich den Grenzwert.
Kann man in so einer Situation überhaupt den Messdaten glauben, die zur Disqualifikation geführt haben?
Salzgeber: Man muss es. Wir haben noch am Renntag sehr viel Support vom norwegischen Rennteam bekommen. Die haben uns ihr Messgerät zur Verfügung gestellt, unser Servicemann hatte sowohl noch das Heißwachs, das er verwendet hatte, als auch das Finishing, also das Hartwachs, das er als äußerste Schicht aufgetragen hat. Dadurch konnten wir das verwendete Material vor Ort selbst testen – das Ergebnis war, dass alles regulär war. Was uns erleichtert hat und die Quelle für die Kontaminierung einschränkte, bis wir eben auf den Kork gestoßen sind. Der Tag war jedenfalls so hektisch, dass ich den geplanten Start meiner Kolumne verschieben musste. Aber den holen wir nach.
Wie hat Ragnhild Mowinckel auf die Disqualifikation reagiert?
Salzgeber: Sie war sehr deprimiert, man darf nicht vergessen, sie lag nach dem ersten Durchgang auf Rang sechs, und dann wird sie aus dem Rennen genommen. So was wirkt natürlich nach. Primär treffen solche Disqualifikationen nämlich die Athleten, die überhaupt nichts dafür können. Denen legt man am Start den Ski hin, sie schnallen den Ski an und versuchen, so schnell wie möglich den Berg hinunter zu fahren. Grundsätzlich glaube ich, dass diese Fluor-Thematik dem Skisport nicht weiterhilft, weil es beim Fluor nicht darum geht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Bei den Temperaturen in Sölden hat es überhaupt keine Auswirkung auf die Performance, ob Fluor im Wachs ist oder nicht. Unterschiede gibt es bei feuchten Bedingungen im Frühjahr, wenn es wärmer wird. Außerdem ist doch klar, dass beim ersten Saisonrennen, bei dem erstmals das Fluor-Verbot greift, keines der Ausrüsterteams einen Fehler machen will und sicherlich keiner absichtlich Grenzen auslotet. Da ist jeder übervorsichtig. Gerade weil im Sommer die Tests haarsträubend verlaufen sind, da hatten wir schon Angst, dass wir mit dem bestehenden Material überhaupt keine regulären Werte erreichen können. Die FIS hat dann die Software verbessert, aber sie liefert immer noch nicht so nachvollziehbare und kalkulierbare Ergebnisse, wie das unbedingt notwendig ist. Es gibt noch Lücken – und das geht nicht.

Wurde das Fluor-Verbot zu schnell eingeführt?
Salzgeber: Ich glaube, das ist noch nicht mal der entscheidende Aspekt bei der Thematik. Beschlossen wurde das Fluor-Verbot bei einem FIS-Council, als noch Gian-Franco Kasper FIS-Präsident war. Die Frage ist, ob man sich überhaupt bewusst war, was man da beschließt, wie man dieses Verbot kontrollieren soll und was das für Auswirkungen hat. Natürlich steht die Gesundheit der Mitarbeiter und die Umweltverträglichkeit im Vordergrund, aber bei der so geringen enthaltenen Fluor-Menge im Wachs war das eine minimale theoretische Gefahr. Klar, man kann sagen, dass auch diese Mini-Gefahr noch zu groß ist, das ist legitim. Doch dann sollte die Öffentlichkeit auch wissen, was im Beipackzettel der Wachsprodukte steht, die nach dem Fluor-Verbot aufgekommen sind. Das ist nämlich der Hammer – da steht: „Leicht entzündbar“, „kann bei Eindringen in die Atemwege tödlich sein“, „giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung“. Da muss mir doch keiner erzählen, dass beim Fluor-Verbot die Gesundheit oder die Umweltverträglichkeit im Vordergrund gestanden sind.
Sondern?
Salzgeber: Der FIS-Council, bei dem auch Peter Schröcksnadel noch dabei war, hat sich damals über den Tisch ziehen lassen. Zum Beispiel von Martti Uusitalo, der Mitglied des FIS-Councils und gleichzeitig der Boss der Wachsfirma Vauthi ist. Wenige Tage nachdem das Fluor-Verbot beschlossen wurde, hat Vauthi eine fluorfreie Wachslinie herausgebracht. Das ist zumindest eine sehr, sehr unglückliche Optik. Man könnte durchaus vermuten, und die Gerüchte gehen in diese Richtung, dass die FIS da einer Interessengruppe auf den Leim gegangen ist. Es gibt sechs- und achtkettiges Fluor, soweit ich weiß, sind viele Imprägnierungsmittel auf C6-Basis, die FIS hat aber nicht nur das viel bedenklichere achtkettige Fluor verboten, sondern ein generelles Fluor-Verbot beschlossen. Wenn ich jetzt höre, dass gewisse Skiverbände einen Chemiker engagiert haben, dann frage ich mich doch: Warum tut das ein Skiverband? Weil man das Reglement ausreizen und Lücken finden will? Eine andere Erklärung gibt es fast nicht, es kann eigentlich nur darum gehen, dass diese Chemiker Grauzonen finden sollen – und dann sprechen wir von Materialdoping. Es heißt, das Fluorverbot hätte man auch beschlossen, um Chancengleichheit zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Kleine Verbände können sich doch keine hochkomplexe chemische Detailforschung leisten.