Über die Kunst des optimalen Timings

470er-Segler Lukas Mähr reiste am Montag nach Marseille zu den Olympischen Spielen. In seinem letzten vorolympischen Gastbeitrag erklärt der Vorschoter, wie er und seine Steuerfrau Lara Vadlau den Formaufbau angelegt haben.
Am Montag war es so weit – mit der Abreise nach Marseille begannen die Olympischen Spiele für mich. Ich habe während meiner gesamten Sportlerkarriere auf diesen Wettkampf hingearbeitet, es war immer mein großes Ziel, bei den Spielen dabei zu sein. In den vergangenen Monaten durfte ich Euch auf diese Reise mitnehmen. Ich habe zurückgeschaut und von Rückschlägen berichtet, ich habe vorausgeblickt, was es vor den Spielen für mich und meine Steuerfrau Lara Vadlau noch zu tun gilt. Jetzt ist die Vorbereitung abgeschlossen. Jetzt geht es an die Umsetzung.
Rückhalt
Ich wurde in den vergangenen Tagen oft gefragt, ob ich nervös bin. Doch Nervosität ist der falsche Ausdruck. Ich empfinde eine sehr große Freude, Österreich vertreten zu dürfen. Am Freitag fand im Yachtclub Bregenz die Verabschiedung von Benjamin Bildstein, David Hussl und mir statt. Viele Weggefährten kamen, um uns Glück zu wünschen und um zu verdeutlichen, dass sie hinter uns stehen. Einen solchen Rückhalt wünschst du dir als Athlet, ganz besonders natürlich familiär, ohne den du niemals einen solchen Weg gehen könntest. Meine Frau und unsere Kinder mussten in den vergangenen Monaten sehr oft auf mich verzichten. Ich war oft wochenlang in Marseille, um zusammen mit Lara die Charakteristiken der olympischen Bucht kennenzulernen.
![ABD0070_20230814 – DEN HAAG – NIEDERLANDE: ++ HANDOUT ++ Lara Vadlau und Lukas Mhr (470er) am Montag, 14. August 2023, im Rahmen der Segel-Weltmeisterschaft vor Den Haag. – FOTO: APA/OESV/DOMINIK MATESA – ++ WIR WEISEN AUSDRCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRNDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEFHRTEN ZWECK […]](/2024/07/ABD0070-20230814-1-768x513.jpg)
Diese Trainingscamps wurden zumeist nur von einem kurzen Abstecher in die Heimat unterbrochen. Das war eine große Herausforderung, denn die Gefahr ist groß, dass man sich irgendwann überdrüssig wird, wenn man wochenlang von morgen bis abends zusammenarbeitet und gegenseitig auch der einzige Anker im Alltag ist. Wir mussten und konnten uns immer aufeinander verlassen, der Weg war immer das Ziel. Eine solch enge Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn man sich in den Tagesrandzeiten auch Zeit und Raum für Abstand schafft. Das heißt, nach dem gemeinsamen Abendessen hat sich Lara und habe ich mich in unsere eigene kleine Welt zurückgezogen. Ich hatte dann immer Kontakt mit meiner Familie und habe so vom Thema Segeln und Olympische Spiele auch mal zwischendurch loslassen können.
Anekdote
Wir fühlen uns als Team sehr gut vorbereitet. Dazu möchte ich Euch eine Anekdote erzählen. Zum vierten Mal, beginnend mit den Spielen in London 2012, durfte ich eine Olympia-Vorbereitung absolvieren. Ich erlebte, wie andere Athleten auf die Spiele hinarbeiteten, ich erlebte, wie ich selbst um die Teilnahme kämpfte. Diese Vorbereitungszeiten, die im historischen Sinne Olympiade genannt werden, hatten ein wiederkehrendes Merkmal: Drei Monate vor den Spielen habe ich beobachtet, wie manche Athleten es geschafft haben, die Intensität zu erhöhen. Sie haben plötzlich Reserven aktiviert, die sie in den knapp vier Jahren davor im Training aufgebaut haben, und waren von ihrem Leistungspotenzial fast nicht mehr wiederzuerkennen. Und dann wiederum habe ich Sportler kennengelernt, bei denen die Spannung vor den Spielen so langsam abgefallen ist.

Das optimale Timing, also in der Woche X voll am Punkt zu sein, auf dem maximal höchsten Niveau kompromisslos abliefern zu können, ist die wahre Kunst. Der Weg dorthin, der Verlauf der Kurve und die Frage wie man sie aufbaut, wie steil, wie flach man sie ansetzt, ist unterschiedlich.
Unsere Wettkampf-Ergebnisse im Frühjahr waren nicht so am Punkt, wie wir es gerne gehabt hätten – auch weil wir unseren Formaufbau nicht auf die so frühe WM im Februar ausgerichtet haben oder die EM im Mai. Die Veranstaltungen wurden vor den Spielen angesetzt, damit sie im Regattakalender dieses Jahr noch Platz haben. Für Lara und mich waren diese beiden Wettkämpfe in erster Linie nur Formchecks. Wir haben den Fokus vor allem auf Marseille gelegt, wo wir die letzten drei Monate fast durchgehend trainiert haben. Revierspezifisch nochmals die Details herauszuholen, sich wie zu Hause im Olympiarevier zu fühlen. Ich denke wir konnten so noch mal einen großen Schritt nach vorne machen, den es aber auch braucht, um bei Olympia am Punkt zu sein. Am 2. August beginnen unsere Bewerbe.
![ABD0131_20240228 – PALMA DE MALLORCA – SPANIEN: ++ HANDOUT ++ ZU APA0357 VOM 28.2.2024 –
sterreichs 470er-Duo Lara Vadlau und Lukas Mhr hat sich bei der Segel-WM in der olympischen Klasse vor Palma de Mallorca (ESP) souvern am Mittwoch, 28. Februar 2024 fr die Goldflotte qualifiziert. Mit den Rngen zehn und fnf in den abschlie§enden […]](/2024/07/ABD0131-20240228-1-768x459.jpg)
Die Ergebnisse von unseren Vorwettkämpfen und Trainingsregatten in Marseille waren vielversprechend. Wir sind jetzt, da es darauf ankommt, auf einer sehr positiven Welle unterwegs. Das heißt natürlich nicht, dass wir fix eine Medaille holen. Aber das heißt, dass wir unsere Vorbereitung ideal genutzt haben, alles machten, was möglich war. Wenn wir jetzt in Marseille optimal in den Rhythmus finden und uns der Wind gut steht, dann freuen wir uns, zeigen zu können, wofür wir gemeinsam die drei und ich persönlich 15 lange Jahre hart gearbeitet habe.
Eindrücke
Ich melde mich kommenden Sonntag aus Marseille, um Euch die letzten Eindrücke vor dem Start unseres Wettkampfs zu geben. Die Spiele können kommen, wir sind bereit. Der Rest ist dann vielleicht auch ein bisschen Schicksal.
Gastbeitrag von 470er-Segler Lukas Mähr.