„Solche Zöpfe gehören abgeschnitten“

Vizemeister Alpla HC Hard startet morgen zu Hause gegen Vöslau in die neue HLA-Saison. Trainer Hannes Jón Jónsson über Hards Umbruch und was Ex-Goalie Goalie Möstl fehlte.
Blicken wir zu Beginn auf die alte Saison zurück. Hard war im entscheidenden Finalspiel drei gegen Linz so dicht dran am Meistertitel, wie man es nur sein kann. Ihre Mannschaft führte in der Verlängerung mit 29:27 – wie schwierig ist es, so eine verpasste Chance aus den Köpfen zu kriegen?
Hannes Jón Jónsson: Ich glaube, so eine verpasste Chance kriegt man nicht aus den Köpfen raus. Das soll man auch gar nicht. Alle von uns, die bei dem Spiel dabei waren, sollen diese Erfahrung als Motivation mitnehmen. Ich sehe es so: Damit wir so eine große Chance auf den Meistertitel haben konnten, mussten wir vieles richtig machen in der der vergangenen Saison. Das bedeutet, wir müssen nicht alles von Grund auf ändern, sondern es reicht, wenn wir uns in Details verbessern. Das ist eine gute Ausgangslage. Ich weiß schon, damit widerspreche ich der typischen Floskel im Sport: Wir haben die Niederlage abgehakt und schauen nach vorne. Aber so funktioniert das nicht. Du nimmst als Sportler immer alles mit in das nächste Spiel, das nächste Turnier, die nächste Saison: Erfolge und Misserfolge. Wobei ich die Vorsaison wirklich nicht als Misserfolg sehe.
Weil Sie Ihren Fokus auf das Erreichte legen?
Jónsson: Ja. Du darfst natürlich nicht ausblenden, dass es am Ende nicht gereicht hat. Die Frage ist, warum es nicht gereicht hat. In unserem Fall mussten wir im entscheidenden Spiel ohne zwei Leistungsträger spielen: Ivan Horvat war schon im zweiten Finalspiel nicht mehr dabei, nachdem er im ersten Finale der prägende Spieler war. Karolis Antanavicius hat uns im dritten Spiel mit einer Muskelzerrung mehr oder weniger gefehlt. Karolis hat es zwar versucht in dem Spiel, weil es eben um den Meistertitel ging, aber mit so einer Verletzung kannst du auf dem Niveau nichts ausrichten. Als sich Karolis vor dem dritten Finalspiel verletzt hat, wusste ich, dass es schwierig wird. Wir haben es trotzdem bis in die Verlängerung geschafft, waren da plus zwei vorne. Das ist schon sehr positiv, und das dürfen wir uns, bei aller Enttäuschung über den verpassten Meistertitel, weder selbst schlechtreden noch von außen schlechtreden lassen. Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Es gibt Schattierungen und Abstufungen.
Luca Raschle meinte in der NEUE in seinem Abschiedsinterview über das Finalspiel drei: „Ich glaube, mit einer Standardtorhüter-Leistung, wie wir sie über die gesamte Saison hin immer mindestens hatten, hätten wir das Spiel relativ locker gewonnen.“ Hatte er recht?
Jónsson: Zu 100 Prozent. Im letzten Spiel hätte es meiner Meinung nach gereicht, wenn einer dieser drei Faktoren eingetreten wäre: Constantin Möstl liefert eine normale Leistung ab, Ivan Horvat kann spielen, oder Karolis Antanavicius ist im Vollbesitz seiner Kräfte dabei. Aber Sie haben nach der Torhüterleistung gefragt. Consti Möstl hat leider in den drei entscheidenden Saisonspielen nicht funktioniert: Im ÖHB-Cup-Halbfinale beim Final Four in Schwaz, beim Finalspiel zwei in Linz und beim dritten Finalspiel zu Hause. In den anderen 33 Spielen stimmte unsere Torhüterleistung. Aber nicht, als es wirklich darauf ankam. Das ist ein sehr bitteres Fazit.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Möstl in den entscheidenden Spielen schwächelte?
Jónsson: Zunächst einmal muss ich sagen, dass Möstl in der Vorsaison bei uns auf der Torhüterposition dominiert hat. Er war so stark, so dominant, dass Golub Doknic praktisch raus war aus dem Tor. Selbst bei durchschnittlichen Leistungen war Möstl mega stark, er wurde zum Torhüter und besten Spieler der Saison gewählt – und das völlig zu Recht, es gab keinen Besseren als ihn. Aber: Er hat sehr früh in der Saison, noch im Winter, direkt nach der EM, für den Sommer bei Lemgo Lippe unterschrieben. Mein Eindruck ist, dass es ihm danach etwas an der Bindung zum Alpla HC Hard gefehlt hat. Ich meine damit dieses Gefühl, das man braucht, um für seinen Verein zu kämpfen. Das war nicht mehr da. Weil Hard nicht mehr der Verein seiner Zukunft war, außerdem war er ja erst seit Sommer 2023 bei uns. Ich meine das gar nicht als Vorwurf. Aber wenn Sie mich fragen, will ich nicht drumherum reden. Die totale Identifikation mit seinem Klub kann in entscheidenden Momenten schon eine Rolle spielen – weil man sich für die Mannschaft, die Organisation mit allen Mitarbeitern und Helfern buchstäblich zerreißt, man nicht nur Erfolge für sich, sondern für alle feiern will, und deshalb noch mehr gibt. Dieses Musketier-Motto „Einer für alle – alle für einen“ ist keine leere Phrase, es ist eine Lebenseinstellung, die eigentlich alles verändert. Und genau diese Einstellung hat bei Consti Möstl in den entscheidenden drei Spielen gefehlt. Es hat ihm ja auch selbst leid getan, dass er genau in den drei wichtigsten Spielen nicht mal eine durchschnittliche Leistung abrufen konnte. Also ja, Luca Raschle hat das völlig richtig gesagt, eine Standardleistung von Möstl hätte gereicht.

Muss man eine Saison dennoch auch weitläufiger analysieren, losgelöst von einzelnen Spielen, um das große Ganze im Blick zu haben?
Jónsson: Das musst du als Meister und als Vizemeister. Du musst bei der Analyse immer die ganze Saison bewerten, und damit hast du einen ganz weiten Zeitraum und ein ganz weites Feld zu bewerten. Trotzdem, du kannst analysieren, wie du willst: Am Ende bist du abhängig davon, dass deine Leistungsträger fit sind in der entscheidenden Saisonphase, was du nur zum Teil mit der richtigen Belastungssteuerung lenken kannst, aber einfach auch eine Frage von Glück und Pech ist. So ungern man das ausspricht. Und du bist in den Schlüsselspielen auch abhängig von den individuellen Leistungen der Schlüsselspieler. Deshalb ist der Sport so unberechenbar – und deshalb kannst du die Bewertung einer Saison nicht nur davon abhängig machen, ob du Titel gewonnen hast oder nicht. Weil für Titelgewinne auch die Faktoren stimmen müssen, die du nicht oder nur kaum beeinflussen kannst. Wir haben den Grunddurchgang gewonnen, waren im Viertel- und Halbfinale stark, hatten herausragende Momente in den Finalspielen. Das alles abzuwerten, weil am Ende ein oder zwei Würfe nicht gut waren oder ein oder zwei Blocks nicht funktioniert haben, wäre völlig falsch.
Das heißt?
Jónsson: Wie Sie es richtig gesagt haben, es geht um das große Ganze. Wir haben es geschafft, junge Talente in die HLA-Mannschaft einzubauen. Lennio Sgonc ist zum Newcomer der Saison gewählt worden – der Junge war 19 Jahre alt! Lukas Fritsch, Jahrgang 2006, hat in den Play-offs bis auf Finalspiel drei in allen Spielen im Abwehr-Innenblock gespielt, Jakob Achilles, ebenfalls Jahrgang 2006, war über die gesamte Saison hinweg unser zweiter Kreisläufer. Robin Lürzer war unser zweiter Linksaußen, er hat zwar etwas weniger gespielt als die anderen Jungen, war aber im Trainingsbetrieb voll integriert und sehr wichtig. Er ist als Spieler gewachsen. Das meine ich damit, dass es viel Positives mitzunehmen gibt.

Schwingt da ein Aber mit?
Jónsson: Wir haben die OP von Ivan Horvat zu Weihnachten verkraftet, unsere Neuzugänge Dejan Babic und Ante Tokic haben eine riesige Rolle gespielt und waren auch als Charaktere sehr wichtig. Aber, und das haben Sie völlig richtig herausgehört, wenn ich die Chance hätte, die Saison nochmals zu erleben, würde ich gewisse Dinge anders machen. Das ist eine Erfahrung, die ich ganz persönlich mitnehme.
Was würden Sie anders machen?
Jónsson: Spieler, die nicht bereit sind, ein Teil der Mannschaft zu sein und alles zu investieren, würde ich aus dem Kader streichen. Solche Zöpfe gehören abgeschnitten, obwohl es dabei um gute Handballer ging. Bevor Sie nachfragen: Ich nenne keine Namen.
Mit Dominik Schmid, Luca Raschle und Frederic Wüstner haben drei Vereinsikonen aufgehört. Wie schwer ist es, diese Spieler und Typen zu ersetzen – ist das überhaupt möglich?
Jónsson: Das ist möglich. So unsentimental das klingt: Sportlich kannst du praktisch jeden Spieler ersetzen, da mache ich mir keine Sorgen. Und als Typen? Sie waren außergewöhnliche Persönlichkeiten, speziell Dominik Schmid und Luca Raschle waren als Kapitän und Co-Kapitän echte Leader, man kann das aber auch von einer ganz anderen Perspektive sehen. Wenn so arrivierte Spieler den Verein verlassen, tut sich viel Raum für andere Spieler auf, um sich zu entfalten. Zumal auch Golub Doknic immer mehr ins Trainerteam rückt, der als Typ auch sehr viel Platz im Team eingenommen hat. Jetzt können neue Leader heranwachsen, sie sollen dabei niemanden kopieren, sondern ihre eigenen Charaktere und Qualitäten einbringen. Die Kultur und das Klima wird sich mannschaftsintern ändern. Bei der Kapitänsentscheidung gehen wir in Zukunft auch neue Wege, wir haben mit Nico Schnabl und Ante Tokic zwei gleichwertige Kapitäne, Co-Kapitän gibt es bei uns keinen mehr.

Was bedeutet das, dass Doknic ins Trainerteam aufrückt?
Jónsson: Er gehört weiterhin dem Torhüterteam an, aber er hat jetzt seine Trainerausbildung abgeschlossen und wird die Verantwortung für unser Future Team übernehmen. Bei Doknic macht es keinen Unterschied, ob er individuell trainiert oder fünf Mal in der Woche mit der Mannschaft trainiert, drei Mal oder nur ein Mal, seine Leistung am Samstag beim Spiel ist immer gleich. Er wird an jedem Spieltag in der Halle sein, mal als Spieler im Dress, mal als Trainer im Polo-Shirt.
Doknic wird also Trainer des Future Teams?
Jónsson: Es ist so, dass wir keine zwei Trainingsgruppen haben. Das Future Team trainiert seit dem 22. Juli mit der Kampfmannschaft mit. Nach Saisonstart wird es so sein, dass wir eine Einheit mit dem HLA-Kader machen, da können natürlich auch einige Spieler vom Future Team dabei sein, die wir für das anstehende Spiel einplanen. Aber der Stamm des Future Teams absolviert an diesem Tag eine eigene Einheit, und diese Einheit wird hauptverantwortlich Doknic leiten, und er wird auch bei den Spielen des Future Teams als Cheftrainer an der Seitenlinie stehen. Er bekommt dabei von mir und dem gesamten Trainerteam jede Unterstützung, die er braucht.
Auch im Verein selbst hat sich viel getan: Mit Heimo Lindner hat ein neuer Geschäftsführer von Markus Köberle übernommen, Pressesprecherin Nina Amann hat den Verein ebenfalls verlassen, dadurch wurde das Marketing neu aufgestellt, und mit Mareike Kocar hat der Verein erstmals eine hauptberufliche Nachwuchskoordinatorin. Wie erleben Sie die Neuordnung im Verein?
Jónsson: Der Zeitpunkt für diese Veränderungen ist genau richtig. Die Mannschaft steht vor einem Umbruch in der Hierarchie, und auch der Verein ist im Wandel. Heimo Lindner ist ein völlig anderer Typ, als es Markus Köberle war, Valentina Fink und Claudia Rettenbacher haben im Marketing neue Ideen. Und Mareike Kocar als hauptberufliche Nachwuchskoordinatorin ist sowieso ein Jackpot für den Alpla HC Hard, sie hat eine Aufbruchstimmung im Nachwuchs entfacht, die jungen Spieler werden sehr von ihrem Einsatz profitieren. Es herrscht generell viel frischer Wind bei uns, ich finde, es entwickelt sich alles sehr positiv.

Ist der Alpla HC Hard titelfähig in der Saison 2024/25?
Jónsson: Wir wollen nicht nur, wir werden ganz oben mitspielen. Wir gehen als Vizemeister in die Saison, 2023 hatten wir zwar Pech in den Play-offs, wurden aber Cupsieger, 2022 standen wir im Finale. Parallel dazu haben wir die Mannschaft jedes Jahr verjüngt. Das ist nämlich die Herausforderung, der wir uns stellen: Wir wollen junge Spieler aus unserem Nachwuchs einbauen und trotzdem jedes Jahr um die Titel mitspielen. In diesem Sommer haben wir beim Altersschnitt einen großen Sprung nach unten gemacht, trotzdem sage ich, dass es mindestens so realistisch ist wie in den Vorjahren, dass wir Titel gewinnen.
Sprechen wir über die Zugänge.
Jónsson: Samuel Wendel ist für mich der zweitbeste österreichische Linksaußen nach Seppo Frimmel. Samuel bringt alles mit, Professionalität, Robustheit, Treffsicherheit. Ich glaube, er lief bei vielen etwas unter dem Radar, weil er in Deutschland mit Konstanz in der zweiten und teilweise sogar nur der dritten Liga gespielt hat. Ich bin überzeugt davon, dass viele Augen machen werden, wenn sie Samuel bei uns spielen sehen. Mit Matthias Hild haben wir auf halbrechts einen wurfstarken Spieler, der uns lange gefehlt hat. Mit ihm haben wir ganz neue Möglichkeiten, vor allem entlastet er damit auf der linken Seite Ivan Horvat und Karolis Antanavicius. Es wird schwieriger, uns zu verteidigen, weil wir auf beiden Seiten wurfstarke Spieler haben. Tumi Rúnarsson ist ein klassischer skandinavischer Spielmacher mit einem super Ballgefühl. Er ist einer, der seine Mitspieler besser macht. Rúnarsson wird als Dirigent der Mannschaft eine sehr wichtige Rolle spielen. Lukas Gurskis ist mit fast zwei Metern sehr groß für einen Torhüter, er ist mit 26 in einem guten Alter. Ihm ist bewusst, dass er lernen und sich auf das Tempo der Liga einstellen muss. Lukas hat in den Testspielen einen guten Eindruck hinterlassen, leider war er zehn Tage angeschlagen, jetzt ist er wieder voll im Training.

Braucht das neue Team Zeit?
Jónsson: Ich glaube, es kann sofort funktionieren. Sicher nicht ideal war, dass wir aufgrund von Verletzungen, Belastungssteuerungen und Abstellungen für die U18-EM bis vor ein paar Tagen die ganze Vorbereitung ohne Kreisläufer trainieren mussten, das ist wie Abfahrtstraining ohne Skistöcke – weil der Mann in der Mitte fehlt. Aber wir werden am Freitag beim Saisonstart zu Hause gegen Vöslau bereit sein.
Das Saisonziel?
Jónsson: Sie wollen hören, dass wir Meister werden wollen – und ich verneine das nicht. Aber es ist verdammt schwierig, im August über ein Ziel zu sprechen, das man erst im nächsten Juni erreichen kann. Dazwischen passiert so viel. Wir machen das dieses Mal anders. Unser erstes Ziel ist es, mit einer guten Form zu starten. Nach sieben Spielen setzen wir uns zusammen und besprechen den Saisonstart. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt, der am Beginn einer Spielpause liegt, in der Tabelle weit oben stehen. Die Zahl der freien Tage während der Spielpause hängt auch davon ab, ob wir unser erstes Ziel erreicht haben. Bei der Besprechung geben wir die Ziele für die nächsten sieben Spiele aus. Dann ist Weihnachten, danach stehen noch acht Spiele im Grunddurchgang an, für die wir neue Ziele ausgeben. Anschließend beginnen die Play-offs. Als ich in Hard Cheftrainer wurde, hatte Hard einen Torschnitt von unter 26 pro Partie, inzwischen erzielen wir im Schnitt über 31 Tore und erhalten die wenigsten Gegentore. Wenn wir diesen Trend fortsetzen, wird ganz automatisch etwas Gutes rauskommen.